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Panphlets offorints
Theodor Reik
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sie aber sofort zurückzicht, sobald die Gefahr herantritt, größere
Libidomengen verausgaben zu müssen. So wird ein vorsichtiger
Börsenspieler geringere Summen riskieren, sich aber sehr besinnen,
einen größeren Einsatz zu wagen, wenn er sich nicht bedeutenden
und sicheren Vorteil verspricht. Die Übertragung einer dauernden
Neigung auf andere Objekte wird ihnen so schwer, daß sie immer
mehr und mehr brutale Egoisten zu sein scheinen. Denn alle
Erotiker, um die Schnitzler seine Vorgänge abspielen läßt — von
dem leichtsinnigen Melancholiker Anatol bis zu Hofreiter — gehören
niemandem ganz. Und die Tragik, die in Schnitzlers Werken allernde
Lebenskünstler umwittert, besteht eben darin, daß sie den Weg hinab
allein gehen müssen.
Hören wir, was ein Künstier, Herr von Sala, im „Einsamen
Wege seinem Freunde, der ebenfalls Künstler ist, vorzuwerfen hat:
„Haben wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht unsere Sinne
oder unsere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt hätte ... Hlaben wir je
unsere Ruhe oder unser Leben aufs Spiel gesetzt, nicht aus Laune
oder Leichtsinn. nein, um das Wohlergehen eines Wesens zu
fördern, das sich uns gegeben hatte . .. Und glauben Sie, daß wir
von einem Menschen — Mann oder Weib — irgendetwas zurück¬
fordern dürften, das wir ihm geschen!; hätten? ich meine keine
Perlenschnur und keine Rente und keine wohlfeile Weisheit, sondern
ein Stück von unserem Wesen — eine Stunde unseres Daseins, das
wir wirklich an sie verloren hätten, ohne uns gleich dafür bezahlt
zu machen, mit welcher Münze immer.& Die Künstler in Schnitzlers
Werken empfinden eine dauernde erotische Bindung als unverträglich
mit ihrem Künstlertume und ihre Ichbesetzung ist so groß, daß sie
auch über ihre Pflichten gegen die Geliebte hinweg ihren Weg
gehen, den Weg ins Freie (Georg im -Weg ins Freies, Heinrich
Bermann, Julian Fichtner im Einsamen Wege). Die Objekte ihrer
Liebe sind ihnen off nur gerade genug, um Material für ihr Werk
zu liefern (Remigio in -Die Frau mit dem Dolches). Sie fühlen aufs
stärkste ihr Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Unverantwortlichkeit.
So kommt ein Gefühl der Befreitheit beinahe jedesmal über Georg,
wenn er von der Geliebten Abschied nahm. Selbst als er Anna
an ihrem Haustor verlassen hatte, vor drei Tagen, an dem ersten
Abend vollkommenen Glückes, war er sich, früher als jeder anderen
Regung, der Freude bewußt geworden, wieder allein zu sein.e In
einem Gedichte Schnitzlers aus dem Jahre 1893 heißt es: oln uns zog
nie ein Selbstvergessen ein und uns’re Lust hat niemals uns ent¬
geistert.e
Wir kehren zur Allmacht der Gedanken“, wie sie sich uns in
vielen Motiven der Schnitzlerschen Dichtung gezeigt hat, zurück.
Wir sagten, sie sei aus der Bewahrung der narzibtischen Einstellung
zu erklären. Unser Ergebnis muß geeignet sein, uns einige dunkle
Punkte in Schnitzlers Werken zu erklären. In „Die Weissagunge
prophezeit ein jüdischer Taschenspieler einem Offizier sein ferneres
Di
Schicksal,e
mögliche Weis
Gelegenheit,
bringen könnt
gangen zu sei
er das Bild re
Doch alle Vo
führung vom
typischen Fall
Vorgeschichte,
W
iele
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Panphlets offorints
Theodor Reik
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sie aber sofort zurückzicht, sobald die Gefahr herantritt, größere
Libidomengen verausgaben zu müssen. So wird ein vorsichtiger
Börsenspieler geringere Summen riskieren, sich aber sehr besinnen,
einen größeren Einsatz zu wagen, wenn er sich nicht bedeutenden
und sicheren Vorteil verspricht. Die Übertragung einer dauernden
Neigung auf andere Objekte wird ihnen so schwer, daß sie immer
mehr und mehr brutale Egoisten zu sein scheinen. Denn alle
Erotiker, um die Schnitzler seine Vorgänge abspielen läßt — von
dem leichtsinnigen Melancholiker Anatol bis zu Hofreiter — gehören
niemandem ganz. Und die Tragik, die in Schnitzlers Werken allernde
Lebenskünstler umwittert, besteht eben darin, daß sie den Weg hinab
allein gehen müssen.
Hören wir, was ein Künstier, Herr von Sala, im „Einsamen
Wege seinem Freunde, der ebenfalls Künstler ist, vorzuwerfen hat:
„Haben wir jemals ein Opfer gebracht, von dem nicht unsere Sinne
oder unsere Eitelkeit ihren Vorteil gehabt hätte ... Hlaben wir je
unsere Ruhe oder unser Leben aufs Spiel gesetzt, nicht aus Laune
oder Leichtsinn. nein, um das Wohlergehen eines Wesens zu
fördern, das sich uns gegeben hatte . .. Und glauben Sie, daß wir
von einem Menschen — Mann oder Weib — irgendetwas zurück¬
fordern dürften, das wir ihm geschen!; hätten? ich meine keine
Perlenschnur und keine Rente und keine wohlfeile Weisheit, sondern
ein Stück von unserem Wesen — eine Stunde unseres Daseins, das
wir wirklich an sie verloren hätten, ohne uns gleich dafür bezahlt
zu machen, mit welcher Münze immer.& Die Künstler in Schnitzlers
Werken empfinden eine dauernde erotische Bindung als unverträglich
mit ihrem Künstlertume und ihre Ichbesetzung ist so groß, daß sie
auch über ihre Pflichten gegen die Geliebte hinweg ihren Weg
gehen, den Weg ins Freie (Georg im -Weg ins Freies, Heinrich
Bermann, Julian Fichtner im Einsamen Wege). Die Objekte ihrer
Liebe sind ihnen off nur gerade genug, um Material für ihr Werk
zu liefern (Remigio in -Die Frau mit dem Dolches). Sie fühlen aufs
stärkste ihr Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Unverantwortlichkeit.
So kommt ein Gefühl der Befreitheit beinahe jedesmal über Georg,
wenn er von der Geliebten Abschied nahm. Selbst als er Anna
an ihrem Haustor verlassen hatte, vor drei Tagen, an dem ersten
Abend vollkommenen Glückes, war er sich, früher als jeder anderen
Regung, der Freude bewußt geworden, wieder allein zu sein.e In
einem Gedichte Schnitzlers aus dem Jahre 1893 heißt es: oln uns zog
nie ein Selbstvergessen ein und uns’re Lust hat niemals uns ent¬
geistert.e
Wir kehren zur Allmacht der Gedanken“, wie sie sich uns in
vielen Motiven der Schnitzlerschen Dichtung gezeigt hat, zurück.
Wir sagten, sie sei aus der Bewahrung der narzibtischen Einstellung
zu erklären. Unser Ergebnis muß geeignet sein, uns einige dunkle
Punkte in Schnitzlers Werken zu erklären. In „Die Weissagunge
prophezeit ein jüdischer Taschenspieler einem Offizier sein ferneres
Di
Schicksal,e
mögliche Weis
Gelegenheit,
bringen könnt
gangen zu sei
er das Bild re
Doch alle Vo
führung vom
typischen Fall
Vorgeschichte,
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