VI, Allgemeine Besprechungen 1, 5, Völker Krieg als Erziehung, Seite 1

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1. Panp.ts OffprS
(Quellenangspe ohne Geyähr.)
terreichische Zundschau, Wien
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Der Krieg als Erzieher zum deutschen Idealismus.
Von Privatdozent Dr. Karl Völker.
Die großen Wendepunkte in der Geschichte der Staaten und Völker sind
die Kriege, die Siege wie Niederlagen, Die Wandlungen der Weltgeschichte
lassen sich, ohne daß man den Tatsachen Gewalt antun müßte, in diesem
Rahmen darstellen, denn die Kriege entspringen dem übrigen Gesamtgeschehen.
Man greift zu den Waffen, wenn die Auseinandersetzung widerstreitender
Gedankenzusammenhänge — und die Menschheitsgeschichte setzt sich aus solchen
zusammen — auf friedlichem Wege nicht mehr möglich erscheint. Es sind im
allgemeinen keine neuen Ideen, die der Krieg hervorbringt, aber er wird ge¬
führt, um lebenskräftigen zum Durchbruch zu verhelfen und veraltete, von
den Zeitumständen überholte, beiseite zu schieben. Der Krieg stellt das Kräfte¬
verhältnis fest. Er schafft Verhältnisse, welche es ermöglichen, daß eine Idee,
wenn auch nicht sofort, Wirklichkeit wird. Die Idee war längst vor Ausbruch
des Krieges vorhanden, aber über ihre Lebensfähigkeit wird auf den Schlacht¬
feldern entschieden. Nur einige Belege hiefür: die Reformatoren haben die
Zertrümmerung der mittelalterlichen Einheit von Staat und Papstkirche ge¬
fordert; im Augsburgischen Religionsfrieden 1555 wird das Luthertum als
gleichberechtigte Kirchengemeinschaft neben dem römischen Katholizismus an¬
erkannt. Ferdinand I. hätte dem nie zugestimmt, wenn er sich nicht hätte über¬
zeugen müssen, daß die Protestanten die Kraft besaßen, gegebenenfalls ihre
Forderung mit den Waffen durchzusetzen. Deutschland zerfiel in eine Reihe von
konfessionell streng abgegrenzten Gebieten. Aber auch diese Idee hat sich über¬
lebt. Hin und her wird das friedliche Zusammenleben der beiden Konfessionen
erwogen. Aber erst der blutige Dreißigjährige Krieg, in welchem sich beide
überzeugt haben, daß sie zu schwach seien, um den andern zu beseitigen, machte
dies möglich. Die Vorkämpfer der Aufklärung setzten sich mit aller Wärme
für den Duldungsstaat ein, der neben der herrschenden Kirche auch andere
religiöse Gemeinschaften zuließ; es mußte der spanische Erbfolgekrieg und der
nordische Krieg kommen, um die konfessionelle Frage in den Hintergrund zu
schieben, ehe der Toleranzstaat in Erscheinung treten konnte. Das moderne
Verfassungsleben ist ohne die Napoleonischen Kriege kaum denkbar; erwogen
wurde die neue Staatsform lange vor der französischen Revolution. Ohne den
deutsch=französischen Krieg 1870/71 kein geeinigtes Deutschland. In Versaillen
reifte nur aus, was Tausende vorher ersehnt und erbeten hatten.
Aber an keinen Krieg der Weltgeschichte wurden so viele Wünsche und
weitreichende Pläne geknüpft, wie an den gegenwärtigen. Elf Staaten haben
zu den Waffen gegriffen in der Überzeugung, daß ihre Staatsidee es also er¬
fordere. Die Neutralen, welche nicht unmittelbar in den Krieg eingreifen, sind
noch nie dermaßen in Mitleidenschaft gezogen worden, wie diesmal. England
will seine unbeschränkte Weltherrschaft zur See sichern, Frankreich durch die
Wiedergewinnung von Elsaß=Lothringen und die Zertrümmerung des angeb¬
lichen preußischen Militarismus die französische Sprachgrenze möglichst weit
nach dem Osten hinausschieben, Rußland träumt von der Vereinigung sämt¬
licher Slawen unter des Zaren Zepter (Panslawismus), zu deren Erfüllung
der Besitz von Konstantinopel ihm notwendig erscheint, Serbien hofft auf die
Errichtung des großserbischen Reiches an der Adria, Italien begeht einen in
der Weltgeschichte beispiellosen Treubruch zwecks „Befreiung“ der „unerlösten“.
Stammesgenossen, Japan glaubt, der Zeitpunkt sei für den Imperialismus der
gelben Rasse gekommen; die Vereinigten Staaten von Nordamerika werden
alsdann nicht ruhige Zuschauer bleiben dürfen, wenn sie nicht auf ihre bisherige