hle
1. Panph
Offprints
Dichtung (1890—1914)
en und Topen
t Cysarz (Wien)
stamm, der in den Tagen Walthers
und des Nibelungenlieds die köst¬
deutschen Erde getragen hatte, hat
ers nur noch zweimal die Führer¬
and ergriffen: im Barock des XVI.,
Emus des scheidenden XIX., däm¬
Wien ist die Metropole des euro¬
etropole des deutschen Impressionis¬
kontinentale Barock fast ebenso viel,
orenz und Rom bedeuten, und es
essionismus, was für den Natura¬
beide Seelen= und Ausdruckslagen
verbunden: wie das Barock in
ds I. Zeiten manch impressionisti¬
uch noch im Sierbelied der Donau¬
engeren Thema der folgenden Sich¬
wiegend nur die Kunstform, zutiefst
er Lebensform. Solcher Zusammen¬
lener von ihren Vätern, den Pariser
er großartigen Fülle des äußeren
hte ins Innere treiben, desgleichen
tschen Brüdern, deren Impressionis¬
und verschwimmt mit dem Natura¬
noch Dauthendey, selbst die Grieg¬
Waterkant: zum Beispiel Frenssens
mpressionismus hingegen hängt tief
it der internationalen Neuromantik:
ordine Paul Verlaines und den
laires, den Chopinischen Dämmerun¬
bebungen, Schattungen Arthur Rim¬
d dem „subcurrent“ Charles Swin¬
hit der lodeskundigen, todessüchtigen
d seiner vlämischen Nachbarn. Und
Glied dieser neuromantischen (zum
pe fügt sich die Wiener Pocsie um
besamtentwicklung ein — während
en
Geistesgeschichte vorzüglich als
begenpol zum Grobianismus und
sten in weitere Wirkung tritt ...
nmung des Gegenstands!
ünstlerischen Vielfalt aber bleibt die
berührten Heimatsinns, der freilich
an Haus und Herd sich heftet als
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Alt=österreichs letzte Dichtung (1890—1914.)
an die bunteste Großstadt des buntesten Großstaats, nicht einmal
an die Sprache, auch nicht an die Landschaft, selten selbst an die
Schutz= und Trutzgemeinschaft geschichtlicher Schicksale, vielmehr
geradezu an die asphaltenen Labyrinthe, an die hundertzüngige
Gesellschaft, an das unnennbare psychologische Fluidum der schier
an sich Symbol gewordenen Kaiserstadt. Boden und Luft sind
geschwängert von unermeßlichen seelischen Erbmassen: Es ist
der Hochsitz der letzten abendländischen Universalmonarchie, zu
Stein geronnenes Gemeingeschick eines von Stefansdom und
Hofburg überkuppelten Chaos der Völker und der Jahrhunderte,
zusammengeheiratet von den Gespenstern des Schweizerhofs
und zusammenregiert von den Geistern der Kapuzinergruft, be¬
herrscht von dem letzten weltgeschichtlichen Habsburger, dessen —
echt Habsburgisch — phänomenal unpersönliche Persönlichkeit
die apostolische Majestät des Escorial, vor der jahrhunderte¬
lang der Erdkreis gebebt hat, noch einmal in Würde und Treue
verkörpert Wer zählt die Stämme, nennt die Namen, die
zeugend hier zusammenkamen? Formlose Schwaden des
Slawentums ziehen herauf, das Gedächtnis der Türkenkriege
spukt nach, alle Zauber der italienischen Bau= und Theaterkunst
leuchten zurück, der müde Doppelaar hält noch in seiner Agonie
die Zeichen der Macht und des Prunks in eisernen Fängen. Und
all dies wird umsponnen und umspielt von der purpurnen
Abendschönheit verhaltener Rokoko=Farben, von einem Nach¬
sommer voll gelber Nachmittage des Glücks, von Biedermeier¬
Tönen Waldmüllers und Schuberts, von Hero=und=Leander¬
Zwielichtern aus Stifterischem Licht und Lenauischer Nacht ...
Zunächst sei nun dem dichterischen Werden dieser Welt ein
eiliger Rückblick gegönnt! Durch den österreichischen Dichterwald
hat nie ein Sturm und Drang gebraust — weder im XVIII. noch
auch im XIX. Jahrhundert kennt Wiener Literatur etwas wie
einen Sturm und Drang: sie hat keinen Klopstock und keinen
Herder, keinen Klinger und keinen Heinse, keinen Gerstenberg und
keinen Hamann. Nicht die revolutionäre und radikale Früh¬
romantik findet um 1800 in Oesterreich Eingang, sondern die
restaurative und legitimistische Spätromantik. Und als dann
Grillparzer den Eigenstrom des österreichischen Theaiers in den
Hauptstrom der antikisierend=klassischen Tragödie leitet, knüpft
er sein Drama nicht an Schillers Drama an (von seinem puerilen
Erstling „Blanca von Kastilien“ abgesehen, der ohne Folgen
bleibt), nicht an das Schiller=Drama, dessen Helden (so leer und
selbst schief sie gezeichnet sein mögen) voll unbezwinglichen
Willens einem granitenen Fatum dienen, dessen Wahlspruch
lautet „Ducunt volentem fata, trahunt nolentem“, das in seiner
grandiosen pragmatischen (natürlich nicht charakterologischen)
Richtigkeit ein ewiges Parzenlied spinnt: die Offenbarung des
Weltgeists in menschlichem Planen und Wollen; vielmehr
schließt sich Grillparzer — und das ist Wiener Humus bis auf
Preußische Jahrbücher. Bd. CCXIV. Heft 1.
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1. Panph
Offprints
Dichtung (1890—1914)
en und Topen
t Cysarz (Wien)
stamm, der in den Tagen Walthers
und des Nibelungenlieds die köst¬
deutschen Erde getragen hatte, hat
ers nur noch zweimal die Führer¬
and ergriffen: im Barock des XVI.,
Emus des scheidenden XIX., däm¬
Wien ist die Metropole des euro¬
etropole des deutschen Impressionis¬
kontinentale Barock fast ebenso viel,
orenz und Rom bedeuten, und es
essionismus, was für den Natura¬
beide Seelen= und Ausdruckslagen
verbunden: wie das Barock in
ds I. Zeiten manch impressionisti¬
uch noch im Sierbelied der Donau¬
engeren Thema der folgenden Sich¬
wiegend nur die Kunstform, zutiefst
er Lebensform. Solcher Zusammen¬
lener von ihren Vätern, den Pariser
er großartigen Fülle des äußeren
hte ins Innere treiben, desgleichen
tschen Brüdern, deren Impressionis¬
und verschwimmt mit dem Natura¬
noch Dauthendey, selbst die Grieg¬
Waterkant: zum Beispiel Frenssens
mpressionismus hingegen hängt tief
it der internationalen Neuromantik:
ordine Paul Verlaines und den
laires, den Chopinischen Dämmerun¬
bebungen, Schattungen Arthur Rim¬
d dem „subcurrent“ Charles Swin¬
hit der lodeskundigen, todessüchtigen
d seiner vlämischen Nachbarn. Und
Glied dieser neuromantischen (zum
pe fügt sich die Wiener Pocsie um
besamtentwicklung ein — während
en
Geistesgeschichte vorzüglich als
begenpol zum Grobianismus und
sten in weitere Wirkung tritt ...
nmung des Gegenstands!
ünstlerischen Vielfalt aber bleibt die
berührten Heimatsinns, der freilich
an Haus und Herd sich heftet als
box 36/6
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Alt=österreichs letzte Dichtung (1890—1914.)
an die bunteste Großstadt des buntesten Großstaats, nicht einmal
an die Sprache, auch nicht an die Landschaft, selten selbst an die
Schutz= und Trutzgemeinschaft geschichtlicher Schicksale, vielmehr
geradezu an die asphaltenen Labyrinthe, an die hundertzüngige
Gesellschaft, an das unnennbare psychologische Fluidum der schier
an sich Symbol gewordenen Kaiserstadt. Boden und Luft sind
geschwängert von unermeßlichen seelischen Erbmassen: Es ist
der Hochsitz der letzten abendländischen Universalmonarchie, zu
Stein geronnenes Gemeingeschick eines von Stefansdom und
Hofburg überkuppelten Chaos der Völker und der Jahrhunderte,
zusammengeheiratet von den Gespenstern des Schweizerhofs
und zusammenregiert von den Geistern der Kapuzinergruft, be¬
herrscht von dem letzten weltgeschichtlichen Habsburger, dessen —
echt Habsburgisch — phänomenal unpersönliche Persönlichkeit
die apostolische Majestät des Escorial, vor der jahrhunderte¬
lang der Erdkreis gebebt hat, noch einmal in Würde und Treue
verkörpert Wer zählt die Stämme, nennt die Namen, die
zeugend hier zusammenkamen? Formlose Schwaden des
Slawentums ziehen herauf, das Gedächtnis der Türkenkriege
spukt nach, alle Zauber der italienischen Bau= und Theaterkunst
leuchten zurück, der müde Doppelaar hält noch in seiner Agonie
die Zeichen der Macht und des Prunks in eisernen Fängen. Und
all dies wird umsponnen und umspielt von der purpurnen
Abendschönheit verhaltener Rokoko=Farben, von einem Nach¬
sommer voll gelber Nachmittage des Glücks, von Biedermeier¬
Tönen Waldmüllers und Schuberts, von Hero=und=Leander¬
Zwielichtern aus Stifterischem Licht und Lenauischer Nacht ...
Zunächst sei nun dem dichterischen Werden dieser Welt ein
eiliger Rückblick gegönnt! Durch den österreichischen Dichterwald
hat nie ein Sturm und Drang gebraust — weder im XVIII. noch
auch im XIX. Jahrhundert kennt Wiener Literatur etwas wie
einen Sturm und Drang: sie hat keinen Klopstock und keinen
Herder, keinen Klinger und keinen Heinse, keinen Gerstenberg und
keinen Hamann. Nicht die revolutionäre und radikale Früh¬
romantik findet um 1800 in Oesterreich Eingang, sondern die
restaurative und legitimistische Spätromantik. Und als dann
Grillparzer den Eigenstrom des österreichischen Theaiers in den
Hauptstrom der antikisierend=klassischen Tragödie leitet, knüpft
er sein Drama nicht an Schillers Drama an (von seinem puerilen
Erstling „Blanca von Kastilien“ abgesehen, der ohne Folgen
bleibt), nicht an das Schiller=Drama, dessen Helden (so leer und
selbst schief sie gezeichnet sein mögen) voll unbezwinglichen
Willens einem granitenen Fatum dienen, dessen Wahlspruch
lautet „Ducunt volentem fata, trahunt nolentem“, das in seiner
grandiosen pragmatischen (natürlich nicht charakterologischen)
Richtigkeit ein ewiges Parzenlied spinnt: die Offenbarung des
Weltgeists in menschlichem Planen und Wollen; vielmehr
schließt sich Grillparzer — und das ist Wiener Humus bis auf
Preußische Jahrbücher. Bd. CCXIV. Heft 1.
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