VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Josef Körner Gestalten und Probleme, Seite 13

1
——
box 36/6
PanphletsOfforints
Nesti von Lyro-Wollek: Stille
1008
Sterblicher noch, der Namen habe ich viele,
Geburten haben diesen Ausgang. Georg
Bestimmung nennen mich die Aber¬
steht verständnislos vor einem Unbegreif¬
gläubischen, die Toren Zufall und die
baren. Das, was seinem Kinde geschehen
Frommen Gott. Denen aber, die sich die
war, war sinnlos, widerwärtig, ein Hohn
Weisen dünken, bin ich die Kraft, die am
von irgendwoher, wohin man keine Frage
Anfang aller Tage war und weiter wirkt
und keine Antwort senden konnte. Wozu,
unaufhaltsam in die Ewigkeit durch alles
wozu das alles?... Wozu nach Gründen
Geschehen“. Da flucht der Jüngling dieser
suchen? Irgendein Gesetz ist wirksam,
unerkennbaren Kraft. Wenn dies alles
unbegreiflich und unerbittlich, an dem
geschehen mußte, der Warnung zum Trotz,
wir Menschen nicht rütteln können. Wer
wozu diese Warnung? „Da war dem
darf klagen, warum gerade mir das?
Jüngling, als fliehe an den Rändern des
Widerfährt es nicht ihm, so widerfährt es
unsichtbaren Himmels, von ungeheurer
eben einem andern — unschuldig oder
Antwort schwer und ernst, ein unbegreif¬
schuldig wie er. Ein bis zwei Prozent
liches Lachen hin. Doch wie er versuchte,
trifft es eben, das ist die himmlische Ge¬
rechtigkeit.“
ins Meite zu horchen, stürzt er hinab... in
ein Dunkel, darin alle Nächte lauerten,
Das Naturgesetz also ist das Schicksal!
die gekommen sind und kommen werden
Und jener tiefe Glaube des Dichters an
von Anbeginn bis zum Ende der Welten.“
das Fatum, der als Grundfarbe durch
Wer also ist der „Unbekannte“ der
alle bunten Gemälde seiner Einbildungs¬
Unsichtbare, der hier warnt und dort
kraft durchschimmert, der sich nicht zuletzt
richtet? Das Schicksal ist es, das sinn¬
in der eigenartigen Struktur der Burleske
lose Fatum, das unbegreiflich und uner¬
„Zum großen Wurstel“ verrät, ist nichts
bittlich über uns waltet. Das ist die unüber¬
anderes als das Bekenntnis zum unbe¬
windliche Wand, an die wir armen im
dingten Determinismus. Arthur Schnitzler,
Netz des Daseins gefangenen Schmetter¬
der als Arzt von der Naturwissenschaft
linge immerfort stoßen.
herkam, der als Schriftsteller (wie hier
Aber es ist ein anderes, ob der Grieche
zu zeigen versucht ward) die Arbeitsweise
„Schicksal“ sagte, oder ob es ein Mensch
der Naturwissenschaften auf seine Dichtung
übertrug, verkündet zuletzt die naturwissen¬
unserer Gegenwart sagt. Worte, die
schaftliche Weltanschauung.
Schnitzler der Hauptperson seines großen
Und indem er es verstand, diese seine
Romans in den Mund legt, geben die
bündigste Aufklärung über Umfang und
beste und tiefste Einsicht in den Zu¬
Inhalt seines zeitgemäßen Schicksals¬
sammenhang des Weltgeschehens als ernsten
begriffes.
Nahmen um das übermütige Fastnacht¬
spiel seiner eigenen Scheingestalten zu
Das Kind, das Anna Rosner ihrem
spannen, hat er mit dem Marionettenstück
Geliebten Georg gebiert, kommt tot zur
Welt. Es ist vom Nabelstrang erwürgt
„Zum-großen Wurstel“ mehr gegeben als
worden. Kaum ein bis zwei Prozent aller
eine witzige Autokarrikatur.
ag
Stille
Mir ist als hörte ich
So still ist rings die Nacht,
Vom hellen Himmelszelt
Daß ich vom Lindenbaum
Die Blätter fallen hör
Wie leis des Mondes Licht
Zur Erde niederfällt.
Am weichen Wiesensaum.
Und wie die Erde trinkt
Der Wald steht wie im Schlaf
Des nächt'gen Freundes Schein,
In tiefer Dunkelheit,
Es träumt in seinem Schoß
Zieht auch in meine Brust
Der süße Frieden ein.
Die Blume Einsamkeit.
Nesti von Lyro=Wollek
6