VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Josef Körner Spätwerk, Seite 2

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Pamphlets offprints
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Arthur Schnitzlers Spätwerk
von Josef Körner, Prag
er Ruf nach neuer Gemeinschaft, der heut lauter als je
die Welt durchtost, ist der Notschrei der Einsamkeit.

Die feelische und materielle Pein der Kriegs= und Nach¬
kriegszeit hat die frohe Geselligkeit glücklicherer Zeiten völlig
zerstört, und noch hat sich keine neue gebildet. Freilich ergeht
die Forderung des Tages nicht nach bloßer Wiederkunft eines
Gewesenen und Verlorenen. Gemeinschaft will eine engere
und tiefer verpflichtende Bindung, als die mit höflicher Ge¬
bärde und Rede sich beqnügende Geselligkeit des Salons ver¬
langt hat. Aber jene ist Wunsch und diese war Wirklichkeit. Als
der Deutsche so arm und unglücklich war, daß er vor der
erbärmlichen Realität die Augen schloß und ganz hinüber¬
flüchtete ins Land der Ideale, Wünsche, Hoffnungen, wollte
er auch alles Gewesene an seinen Träumen messen — da
konnte der Dichter, der vor allen anderen das vielleicht ge¬
ringe, aber immerhin anmutige Zeitalter unbedrohter Gesell¬
schaftsfreude zum süß=schwermütigen Märchen gestaltet hatte,
nicht länger bestehen und ward als allzu weltlich=nüchtern
und spielerisch verworfen. Aber das ersehnte neue Ideal ward
nicht verwirklicht, wir haben nur verloren, nichts gewonnen,
und schon wendet sich die alles verschönende Sehnsucht und
Erinnerung mit neidischem Blick dem einst Besessenen wieder
zu. Der zauberhafte Klang und Duft, mit dem Arthur Schnitzler
eine versunkene Lebensform vor uns aufsteigen läßt, umfängt
und betäubt uns zu holdem Rausche, wir vergessen für einen
Augenblick gern alles Schwere und Entsetzliche, das seit der
Weltwende über uns hereingebrochen ist, und lauschen mit
wehem Lächeln dem Märchenerzähler, der da anhebt: „Es
war einmal.
Ein heimlicher Märchendichter war Arthur Schnitzler schon
immer gewesen, nur hatte er sein Wesen verhüllt mit dem
Scheine zeitgerechter Wirklichkeitspoesie. Weil die tiefste und
reichste Gabe seiner Jugend, das Wunderspiel von der schönen
Männerbetörerin Beatrice, einer nur auf die Abschilderung des
eigenen Tages erpichten Epoche nicht zusagen wollte, hat er
nahezu sämtliche nachfolgende Werke in der Gegenwart ange¬
siedelt, Verwirrung und Weisheit des ewigen Spiels von
Liebe, Tod und Schicksal als zufälliges Geschehen eines Jetzt
und Hier dargestellt. Wenn er aber sein Tiefstes zu sagen
hatte über Menschenart und Menschenleid, so flüchtete er
dennoch immer wieder in die idealere Ferne hingeschwundener
großer Zeiten, kleidete in ein buntes historisches oder pfeudo¬
historisches Gewand nicht bloß kleine und große Theaterstücke,

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