VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Josef Körner Spätwerk, Seite 9


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1. Panphlets offorints
gesetzt, in Selbstquälerei getrieben wird, wie jener durch
Aureliens Wahl; beide alternden Männer befällt bei gleichem
Anlaß statt heller Freude bloß trübe Bedenklichkeit. Die
reine Umkehrung des Falles aber stellt die Novelle „Die
Fremde“ dar. Während Falkenir, töricht und hochmütig, ein
Glück verschmäht, nur weil ihm vom Schicksal nicht zugleich
die Dauer verbrieft war, heiratet Albert von Webeling die
unheimliche und unbeständige Katharina, trotz aller Warnungen
und in dem schicksalsergebenen Bewußtsein, daß ihm nur ein
fragwürdiges und kurzes Glück bevorsteht.
Nicht minder hat Aurelie ihre Schwestern. Es ist vielleicht
die eindrucksvollste Rede des ganzen Stücks, wenn sie dem trotz
allem einzig geliebten Falkenir die schlimmste Verwirrung
beichtet: „Du kennst mich nicht, Falkenir. Die du hier vor
dir siehst, das ist nicht Aurelie. Dieses Antlitz, diese Augen,
diese Stirn, all das trügt. Gott bildete nur meine Maske,
ein anderer erst bildete mich, wie ich bin.“ Nämlich Gysar, der
Maler und Geliebte. Als sie das vollendete Bild zum ersten¬
mal erblickte, schlug sie seinem Schöpfer wie einem Lügner
ins Gesicht. Aber wie sie die Orgie bei Gysar mitmacht, da
erlebt sie es: „Ich war mit einemmal nicht mehr ich. Ich war
das Bild, das Gysar gemalt . . . und wußte nun: dieses Bild
ich selbst aber, wie
log nicht ...; dies Bild ist Aurelie
hier siehst, bin nur ein Bild. Maske und Lüge
du mich
Ganz ähnliche Worte hat Schnitzler schon seiner
bin ich.“
„Frau mit dem Dolche“ (1900) in den Mund gelegt; so spricht
sie vor dem Bilde, das der Maler=Gatte von ihr geschaffen:
Ein Rätsel, blick ich selber mir ins Antlitz,
Nie schaut' ich also, doch so könnt' ich schau'n. —
Es ist, als wär' mir etwas aufbewahrt,
Das besser oder schlimmer ist als alles,
Was jemals ich gedacht und je getan,
Und eine lebensdurst'ge Möglichkeit
Verbirgt sich unter halbgeschloss’nen Lidern.
Solche lebensdurstige Möglichkeit will aus mancher
Schnitzlerschen Frauengestalt in die Wirklichkeit ausbrechen, sie
verwandelt die vom Gatten in die unerbetene Freiheit ent¬
lassene Heldin des „Zwischenspiels“ nicht anders als Aurelie:
alle Wünsche, die früher an ihr herabgeglitten sind wie an
einem fühllosen eisernen Panzer, jetzt leben und glühen sie in
ihr, mit ausgebreiteten Armen steht sie da und wartet der Aben¬
teuer, derer die Welt voll ist.
Aber welches ist das wahre Wesen? „Tausend Bilder
von dir, Aurelie, trag ich in mir“, spricht Falkenir. „Was
bedeutet jenes eine? Tausend Bilder drücken dicht nicht aus,
so wenig wie es tausend Worte vermöchten. Du bist da und
ich liebe dich. Das ist über allen Bildern und Worten.“
Schon in einem früheren Dramolet Schnitzlers, im ersten Teil
der Einaktertrilogie „Komödie der
im Vorbeigehen berührt. Dort waf
trügerischen Einbildung, einen 2
solange uns seine Züge hinter dem
Erlebnisse verschwimmen. Die Wa
liegt nicht in der Wirklichkeit ihr
wenn sie sich selbst nicht kennt,
richtige Aurelie ist, die in Unvers
die in Gysars Orgien Geschänd
Zweifel und Ungewißheit über sich
schreiber Fliederbusch, der keinen
heit kommt, ob er ein Fliederbe
juckt, einen Fink zu spielen, oder
durch einen Irrtum des Schicksa
Welt gekommen ist.
In der Journalistenkomödie
witzige Aporie; in der „Komödie d
schon zum Bersten voll gestopft ist
matik, war kein Raum, auch
erst in der „Traumnovelle“ bildet
Indem aber die Antithese von W
Schnitzler zum Problem wird, en
gutes Stück vom Impressionism
für den philosophischen Positivis
Tatsachen der Wirklichkeit eine n
Wahrheit nicht gab, und nähert
und Dichtweise, der es um das
deren überwirkliche Wahrheit. Fr¬
geht nicht völlig in sie ein. Wied
stehen, bei der Frage, beim Ob, bi
keit wird als unbefriedigend, als
gesetzt, die Wahrheit aber nur ge
gleitet der Dichter immer wieder
rück; statt das Wesen der Frau
menschliche Würde, erfaßt er sie
fährt dergestalt an dem wichtigsten
unserer Tage eben doch nur vol
freie Frau, aber über den schrech
Freiheit, über der Wirklichkeit ihre
sieht er die Möglichkeiten ihres
Persönlichkeit. Er starrt auf die
schlechtsunterschiedes, wodurch der
wehrt ist, es dem Manne gänz
nicht, was dem freien Weibeg
Freiheit gebrauchen und nutzen
Menschheit Heil. Statt dessen ve
überlebten Debatte: ob der Fra#
nicht, und indem er solche Fra