VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Josef Körner Spätwerk, Seite 29


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Pamphlets Oofforints
Der Logiker wird diese Art von Durchlöcherung des
Determinismus kaum gelten lassen und darin nur einen un¬
tauglichen Versuch erblicken, auf voluntaristischem Wege einer
intellektuellen Notwendigkeit zu entfliehen. Da aber strenger
Determinismus und moralische Verantwortung einander aus¬
schließen, mußte bei Schnitzler, solange er einem sittlichen
Relativismus huldigte, die Willensfreiheit verneint, sie mußte
in dem Augenblick, da er absoluter Sittlichkeit sich annähert,
wieder stärker bejaht werden. Und wie Schnitzlers neueste
Schriften überhaupt ihn unentschieden inmitten des Wegs vom
Impressionismus zum Expressionismus zeigen, so ist er auch
in der Erörterung des Freiheitsproblems schwankend geworden,
und das geht nicht ohne offensichtlichen Widerspruch ab. Der
Kanzler glaubt an menschliche Verantwortung und sittliche
Selbstbestimmung:
Sehnsucht, die geheim uns folgt,
Haß, der uns nachschleicht, Traum, durch den wir gehen:
Und abnen's nicht einmal —, dies alles webt
An unserm Schicksal mit. So ist gesorgt,
Daß niemand schuldlos sei.
Wär' ich mir nicht bewußt,
Daß sich am Schicksalssturm, durch den ich sause,
Mit jedem freien Atem auch in mir
Die gleiche Schicksalskraft entzünde, — wahrlich,
Mich litt's nicht einen Tag in solcher Welt,
Die nichts von Schuld und doch von Sühne wüßte,
Nichts vom Verdienst und doch vom Lohn der Tat.
Ich fühle nicht geheimnisschwer vom Schicksal
Mich überhangen. Über mir die Wolke
Ist auch nur Nebeldunst aus Menschenland,
Und am Verhängnis über mir braut so
Mein Will' auch mit.
Und dennoch läßt der Dichter diesen Mann bisweilen in
alter Weise von Schicksalsbestimmung reden („Der Gang zum
Weiher“ S. 107, 109):
Aber auch der Determinismus hat seinen Vertreter im
„Weihergang“. Es ist Anselma, die den Bruder freispricht
von dem törichten Schuldgesühl, durch allzu gute Wacht über
ihre weibliche Ehre sie und den Kaiser um das schönste Lebens¬
glück betrogen zu haben.
Glaubst du, es gab
Jemals ein Glück auf Erden stark genug,
Um deines hoben Freund's verschloss’nen Sinn
Aus Düsternis und Einsamkeit zu lösen?
Und wär ich nicht geschaffen, wie ich bin,
Denkst du, daß brüderliche Strenge je,
Je eines Gatten Liebestyrannei
Ein Weib in Fesseln unzerreißbar schlug,
Das in sich selbst nicht fest gebunden war
Von Arbeginn?
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