VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Josef Körner Spätwerk, Seite 33


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Panphlets Offorints
II.
An Fülle des Gehalts, an gedanklicher Problematik können
sich die drei Novelken, die uns Arthur Schnitzler in den letzten
Jahren geschenkt hat, mit den beiden neuen Dramen gar nicht
messen. Aber die verhältnismäßige Armut wird ihnen zum
künstlerischen Getinn. Sie sind einheitlicher, konzentrierter,
geschlossener; in jedem Sinne Meisterwerke deutscher Er¬
zählungskunst.
Untereinander sind sie ungleich in Art und Form; und
sind vor allem in technischer Hinsicht genan so gut ein Beweis
für Schnitzlers Annäherung an das Kunstschaffen und Kunst¬
wollen einer jüngeren Generatien, wie die Dramen es vor¬
züglich in ideeller Hinsicht waren. Dabei fehlt es aber auch
wieder nicht an gehaltlichen und selbst stofflichen Bezügen
zwischen diesen und jenen. Besonders auffällig ist da die durch
nahezu sämtliche Spätwerke Schnitzlers durchgehende Vision
des nackten Frauenleibes. Leonilda, die hüllenlos im Monden¬
schein um den Phallusstein tanzt; Aurelie, die ihre Nacktheit
Gysars Aug und Pinsel darbietet, der orgiastische Ball in
der Traumnovelle, und endlich die exhibitionistische Wahn¬
sinnstaldes Fräulein Else — das sind im letzten Grunde
identische Motive. Und ist nicht dieses Fräulein Else eine
Schwester Aureliens? Das schöne geistreiche Mädchen, das
den Sommer bei reichen Verwandten fern den schmählichen
Sorgen des zerrütteten Elternhauses so angenehm verbringt,
wird plötzlich vor die garstige Aufgabe gestellt, für den vom
Friminal bedrohten Vater, der anvertraute Mündelgelder
unterschlagen hat, von einem fremden Herrn die Darleihung
eines Vermögens zu erbitten; sie tut's, und sie, das in
seiner Frauenehre noch nie gekränkte Mädchen, muß die
Zumutung hinnehmen, als Preis für die Geldhilfe den Anblick
ihres nackten Leibes zu gewähren. Zarter als Aureiie geht
sie schon an so leichter Verletzung ihrer Keuschheit zugrunde,
stürzt, wie Aurelie erst nach erschütternderen Erlebnissen, in
Wahnsinn und Selbstmord.
Die Mittel, mit denen Schnitzler diese Geschichte gestaltet,
sind nicht neu; mit subtilster Psychologie ist sie gearbeitet,
Leid und Tat der Heldin wird mit größter Sorgfalt, ja mit
Umständlichkeit motiviert. Die Zumutung des Herrn Dorsday
bringt, physikalisch gesprochen, nur die Auslösung eines schon
zur Explosion herangereiften Spannungszustands. Die trost¬
lose Einsamkeit von Elses durch ungeordnete Familien¬
verhältnisse bedrückten Daseins hat sie oft schon mit Selbstmord¬
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gedanken spielen lassen; vage Sehns
heit doch verlangenden Frauenkörp
dazu kommt die physiologische Erreg
und endlich fehlt auch erbliche Be
jüngster Bruder, dem Else sogar
fünszehn Jahren umgebracht.
Das Motiv der bedingung
Menschen erscheint in der Novell
vertieft, als Einsamkeit innerhalb
„Ein bißchen Zärtlichkeit, wenn man
bißl Besorgtheit, wenn man Fieber hag
sie einen, und zu Hause lernt man Klay
Sommer geht man aufs Land, und
Geschenke, und bei Tisch reden sie übe
vorgetzt und was in mir wühlt und
darum je gekümmert?“
Diese anklägerischen Worte rich
an ihre Angehörigen. An ihrer Leich
die Frage ausseufzen können, die
Wegrat der toten Schwester gönnt:
von uns allen? Wer kümmert si
andern?“ — So groß und weh ist
daß es selbst den grobschlächtigen L#
er monologisiert:
„Ist doch traurig, so gar niemanden
Der Papa und die Mama und die Kl
der Bruder — aber was ist denn i
sie mich ja, aber was wissen sic dem
mach', daß ich Karten spiel' und dast
über sonst? Daß mich manchmal
ionen ja doch nicht geschrieben.“
Mit dem „Leutnant Gustl“
andere Uebereinstimmungen; bis
Else wie die in der früheren E
Mannheimer getaufte Südinnen
merkt“. Dem Leutnam Gustl, der 1
mord gedrängt wird, den er schließ
das schwache Mädchen gegenüber,
schweren Tat reift und sie wagt.
reden, daß er als Ehrenmann die
dem eigenen Blut abwaschen mu
der Welt außer ihm von dem
sobald der Täler und einzige Wis
trägt Gustl sein Leben und des
Else hingegen, die, einiger zuchtl
wegen, sich vor dem eignen Gen
schöpf, ein Luder nennt, ist in W
daß sie an der ersten Berührung
grunde geht.