VI, Allgemeine Besprechungen 1, 6, Josef Körner Spätwerk, Seite 35

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PanphletsOffarints
Am deutlichsten und gründlichsten ist die Uebereinstimmung
in der äußeren Form. In beiden Novellen wendet Schnitzler
die Technik des „inneren Monologs“ an, dessen Erfindung
sich Edouart Dujardin für seinen Roman „Les lauriers sont
coupés“ (1887) zuschreibt!) und der neuestens auch in um¬
fänglichen Romanen des Auslands (bei James Joyce, Valéry
Larbaud und anderen) häufiger begegnet. Nein technisch ist
„Fräulein Else“ zweifellos ein großer Fortschritt gegenüber
„Leutnant Gustl“. Dort war es nicht ganz gelungen, die
Vorgeschichte in das Selbstgespräch aufzulösen, die Ereignisse,
die zur Duellforderung mit dem jüdischen Doktor führen,
werden auf allzu primitive und darum störende Art in den
Monolog hineingezwungen. Solcher Ungeschicklichkeiten ist
„Fräulein Else“ ledig; als monologische Erzählung ein nicht
genug zu bewunderndes Virtuosenstück. Und der künstlerische
Wert der Novelle wird noch dadurch gesteigen, daß dem
Dichter mit der Heldin eine Gestalt gelungen ist, wie sie in
der Galerie seiner Frauenbilder gefehlt hat. Fräulein Else
ist die erste und bisher einzige von Schnitzlers Frauen, die
nicht einseitig vom Standpunkt des Mannes aus betrachtet,
nur mit den Augen eines männlchen Partners gesehen, bloß
als Sinnenwesen vorgestellt wird. Wir lernen sie kennen in
allen ihren Beziehungen zu Welt und Menschen — nicht nur in
den erotischen; wir erkennen in ihr einen Menschen, nicht nur
ein Weibchen. Schnitzler hat niemals eine plastischere Figur
gebildet.
Zu dieser psychologischen Feinstudie bildet das rechte
Gegenstück „Die Frau des Richters“ Hier wird ganz im
Sinne neuester Erzählungskunst der psychologische Kommentar
gar nicht geduldet, das seelische Geschehen will erraten sein
aus Taten und Gebärden. Und das erzählte Geschehnis ist
echtester Nopellenstoff, ist, Goethes Definition getreu, eine „un¬
erhörte sich ereignete Begebenheit“.
Thronwechsel in einem deutschen Duodezfürstentum des späten 18. Jahr¬
hunderts. Der neue Herzog, von Pariser Enzyklopädisten mit den Idealen der
Aufklärung erfüllt, tritt besten Willens sein hohes Amt an. Aber schon am ersten
Tage seines Waltens begegnet ihm so dte! Niedrigkeit und Bosheit, daß er der
Ansteckung erliegt und „in kurzer Frist ein Fürst wird von ganz ähnlicher Art,
wie seine Abnen es gewesen: Kein geradezu schlinnner Herr . . ., aber auch keiner
von den besten.“ Wie es um die Ehrbarkeit noch der bravsten seiner Untertanen
bestellt ist, erweist sich an der Geschichte des Richters Adalbert Wogelein. Dieser,
seit Kinkheitstagen unter der Botmäßigkeit des aufrührerischen und halbver¬
lumpten Tobias Klenk stebend, spielt vor seiner Fran den Revolutionär und
Helden, was der Hasenfuß keinen Augenblick wirklich ist, verstrickt sich in Lügen,
die ihn am Ende zu Boden schlagen und vor Gattin, Herzog und Freund in
seiner ganzen Erbärmlichkeit entlarven. Daß er weiterleben kann und den falschen
Schein der Achtbarkeit weiter tragen, verdankt er dem Umstand, daß auch der Fürst
und die Frau, die erst so entrüstet von ihm sich wenden, nicht viel besser sind;
bleibt doch Agnes, nachdem sie herzogliche Mätresse geworden, ruhig im Hause
1) Vgl. „Deutsche Rundschau“, November 1924, S. 219f.
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ihres Gatten, und läßt der Fürst den Knaf
jungen Wogelein aufziehen. Und die g
häßlichen Lauf der Dinge, und alle fühle
aber, der noch der Anständigste in dieser
am Galgen.
Ganz gegen sonstige Gepfio
nicht bloß einen „Fall“ dargel
Gestalten in echt epischer Erz
des Details ausgestattet, daß
Inhalts sehr umfangreich würd
die Jugendjahre des Freundes
ausgemalt, in einer Ausführlich
des folgenden keineswegs erfo
„Falke“ der Geschichte aber ist
Heldin aus bürgerlicher Wohlan
Wünschen.
Der Herzog, dessen gute 2
nichts gelitten hat, betritt infolge
leins Haus. Agnes, unbewußt i
schon entgleitend, unbewußt seit
Bilde des Herzogs erfüllt, reift
wußtsein ihrer Abwehr und S
Fürsten an. — Liest man die Ach
findet man den Umschwung der
motiviert, unmöglich. Genauer
anderem Urteil. Frau Agnes, d
deren Gatte auch ihren seelische
kann, erwacht aus der Dumpfh
mählich zur Klarheit. Frühling
den „Gartenmägdlein“, den
Herzogs, deren Haus nun aufge
und ihre Fantasie zugleich; und
gebracht, sieht Agnes genau so
Frau Beate, alles in lüsterner
das war plötzlich nicht mehr ein
gewesen. Es war ein Bild, das
dessen Anbrick sie süß erschauern
hatte sie es noch nicht beklagt,
war. Plötzlich empfand sie es
nächsten Augenblick wurde ein P
aus.“ Die neugeweckte sinnliche G
dem schönen edlen Herzog gilt,
heit zunächst auf ein falsches, näm
auf den Gatten; das ist der Sin
als Adalbert von der verhängnis
kommt (S. 73), und seine durch sa
Eisersucht spürt sofort heraus, de
Wahrheit nicht ihm gelte, sondern