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Banb.offerints
hannes Vockerat es ersehnt, schaffen sie zwischen sich eine unüber¬
brückbare Kluft.
Nur wenn Schnitzlers Dramen in die Vergangenheit gehen,
verstärken sich die Gegensätze, schlägt das Herz seiner Menschen
kräftiger, wie schon im „Ruf des Lebens“ der um 1850 spielt.
Das Stück aus der Zeit, als Rapoleon in Schönbrunn thronte,
Schnitzlers „Medardus“ gibt einer tragischen Darstellerin sogar
Anlaß zu leidenschaftlichem Ausbruch. Die Bewegtheit des
Barocks kündigt sich in dem Drama aus der Renaissance „Der
Schleier der Beatrice“ an. Aber viel willenskräftigere Menschen
führt in jäherer Bewegung Wedekind vor, wenn er in seinem
„Erdgeist“ eine Frauenseele von verwandtem Gepräge bildet.
Ibsen, selbst Hauptmann und, mehr als beide, Wedekind
wühlen den Miterleber tiefer auf. Schnitzler scheint über den
Dingen, die er dramatisch formt, zu schweben. Er treibt ein fühl¬
bares künstlerisches Spiel mit seinen Gestalten. Weil er sie mit
einer Ruhe beschaut, die sich nicht zu gewaltsamen Wendungen
hinreißen lassen will, beginnen seine Lippen sich spöttisch zu kräu¬
seln, sobald er menschliche Schwächen zu zeichnen hat. Er hält
nicht zurück mit seiner Ironie. Er ist imstande, seinen „Pro¬
fessor Bernhardi“, der sich zwar eine Komödie nennt, aber alle Be¬
dingungen eines Anklagestücks in sich trägt, mit einem Witz zu
schließen, mit einem Achselzucken über unentwegte Apostel der
Wahrheit. Und im „Zwischenspiel“ erschüttert er an einer ge¬
fährlichen Stelle die Täuschung, die von der Bühne geweckt werden
muß, wenn nicht das Miterleben tragischer Vorgänge leiden soll.
Romantische Ironie erwacht in Schnitzler zu neuem Leben.
Die Dichtung, die zur Zeit von Schnitzlers Anfängen sich durch¬
setzte, wurde auch Neuromantik genannt. Er selbst ist im strenge¬
ren Sinn des Worts der alten deutschen Romantik verwandt, so¬
weit sie gern mit der Welt, mit der Bühne, mit sich selbst ihr
spöttisches Spiel trieb. Abermals ist ihm der Boden seiner
Vaterstadt eine wichtige Stütze. Der Wiener, der in schlimmster
Lage noch einen Witz, und wäre er noch so frivol, übrig hat, um
sich innerlich zu befreien, ist der geborene romantische Ironiker.
Ludwig Tieck hätte seine Freude an den unerschöpflichen Ab¬
schattungen, in denen Schnitzler mit der Bühne sein Spiel treibt.
Was im „Zwischenspiel“ einmal angetönt wird, erhebt sich in
anderen Stücken Schnitzlers zum eigentlichen Zweck: das Spiel
mit der Bühnentäuschung.
Der Zuschauer erlebt einen Bühnenvorgang mit stets wechseln¬
dem Gefühl der Echtheit des Erschauten und Gehörten. Jetzt sieht
er mit Bewußtsein nur Bühne und Schauspieler vor sich, gleich
darauf fühlt er sich erschüttert, als erblicke er wirkliche Vorgänge,
ja, er kann gelegentlich meinen, sich und sein eigenes Erleben auf
der Bühne vorgeführt zu finden. Schnitzler bringt diesen Wechsel
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hannes Vockerat es ersehnt, schaffen sie zwischen sich eine unüber¬
brückbare Kluft.
Nur wenn Schnitzlers Dramen in die Vergangenheit gehen,
verstärken sich die Gegensätze, schlägt das Herz seiner Menschen
kräftiger, wie schon im „Ruf des Lebens“ der um 1850 spielt.
Das Stück aus der Zeit, als Rapoleon in Schönbrunn thronte,
Schnitzlers „Medardus“ gibt einer tragischen Darstellerin sogar
Anlaß zu leidenschaftlichem Ausbruch. Die Bewegtheit des
Barocks kündigt sich in dem Drama aus der Renaissance „Der
Schleier der Beatrice“ an. Aber viel willenskräftigere Menschen
führt in jäherer Bewegung Wedekind vor, wenn er in seinem
„Erdgeist“ eine Frauenseele von verwandtem Gepräge bildet.
Ibsen, selbst Hauptmann und, mehr als beide, Wedekind
wühlen den Miterleber tiefer auf. Schnitzler scheint über den
Dingen, die er dramatisch formt, zu schweben. Er treibt ein fühl¬
bares künstlerisches Spiel mit seinen Gestalten. Weil er sie mit
einer Ruhe beschaut, die sich nicht zu gewaltsamen Wendungen
hinreißen lassen will, beginnen seine Lippen sich spöttisch zu kräu¬
seln, sobald er menschliche Schwächen zu zeichnen hat. Er hält
nicht zurück mit seiner Ironie. Er ist imstande, seinen „Pro¬
fessor Bernhardi“, der sich zwar eine Komödie nennt, aber alle Be¬
dingungen eines Anklagestücks in sich trägt, mit einem Witz zu
schließen, mit einem Achselzucken über unentwegte Apostel der
Wahrheit. Und im „Zwischenspiel“ erschüttert er an einer ge¬
fährlichen Stelle die Täuschung, die von der Bühne geweckt werden
muß, wenn nicht das Miterleben tragischer Vorgänge leiden soll.
Romantische Ironie erwacht in Schnitzler zu neuem Leben.
Die Dichtung, die zur Zeit von Schnitzlers Anfängen sich durch¬
setzte, wurde auch Neuromantik genannt. Er selbst ist im strenge¬
ren Sinn des Worts der alten deutschen Romantik verwandt, so¬
weit sie gern mit der Welt, mit der Bühne, mit sich selbst ihr
spöttisches Spiel trieb. Abermals ist ihm der Boden seiner
Vaterstadt eine wichtige Stütze. Der Wiener, der in schlimmster
Lage noch einen Witz, und wäre er noch so frivol, übrig hat, um
sich innerlich zu befreien, ist der geborene romantische Ironiker.
Ludwig Tieck hätte seine Freude an den unerschöpflichen Ab¬
schattungen, in denen Schnitzler mit der Bühne sein Spiel treibt.
Was im „Zwischenspiel“ einmal angetönt wird, erhebt sich in
anderen Stücken Schnitzlers zum eigentlichen Zweck: das Spiel
mit der Bühnentäuschung.
Der Zuschauer erlebt einen Bühnenvorgang mit stets wechseln¬
dem Gefühl der Echtheit des Erschauten und Gehörten. Jetzt sieht
er mit Bewußtsein nur Bühne und Schauspieler vor sich, gleich
darauf fühlt er sich erschüttert, als erblicke er wirkliche Vorgänge,
ja, er kann gelegentlich meinen, sich und sein eigenes Erleben auf
der Bühne vorgeführt zu finden. Schnitzler bringt diesen Wechsel
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