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2. Guttings
Die
Wien, Samstag,
Seite 42.
er von ihm schrieb: „Er stammt aus Griechenland, nicht aus
Es ist auch in diesen Dichtungen wieder
Friedrichshagen“
manches, vorauf in der sparsamen und weichen Zeichnung der
zarten Profile weiblicher Köpfe, das an die goldenen Contouren
der duldenden und plandernden Mädchen bei Sophokles oder Theokrit
denken lässt..
Was bindet diesen Dichter an Wien? Ich möchte nicht
die Sentimentalität des Nichtwieners nach dem Wienerischen als
die charakteristische Linie seines Wesens aufgreifen, wie Hermann
Bahr und andere nach ihm; obwohl auch dieser Zug für Schnitzler
bezeichnend genug ist. Wichtiger scheint mir schon, wie ich eben
andeutete, dass doch eigentlich die Lebensstimmung, die seine Werke
ausathmen, und die ich vorhin zu umschreiben versuchte, in einem
gewissen Sinne congruent ist mit einer typischen österreichischen
Stimmung, die als ein Erbe aus den Tagen des Vormärz auch
aus unserem Blut noch nicht gewichen ist; doch fehlt es nicht an
guten Zeichen, dass wir jetzt eben im Begriffe sind, sie endgiltig zu
überwinden. Ich meine jene tiefe Bangigkeit vor dem
Leben, die unseren Grillparzer und die ganze Cultur, die ihn
umgab, niedergehalten hat, das Bedrückte und Aengstliche, Ver¬
schüchterte und Kleine jener Zeit, für die das Bildnis des armen
Spielmanns ein rührendes und unvergessliches Symbol ist...
Aber das Wiener Gemüth, wo Helles und Dunkles räthselhaft
ineinander rinnen, zeigt bekanntlich ein Doppelantlitz; eine sehr selt¬
same Fusion des bajuvarischen mit slavomagyarischen Elementen hat
sich hier seit Jahrhunderten vollzogen, so dass dicht neben dem un¬
zerstörbaren, lebenbejahenden Frohsinn des einen — der in dem
„Es kann dir nix g'scheh'n“ des pantheistischen Steinklopferhaus
auch die gedehnte Schwer¬
seine lapidare Formel gefunden hat —
muth etwa der Volkslieder der anderen vernehmlich wird. Als ihr
reinstes und liebenswürdigstes Sinnbild hat ja diese Mischung den
Wiener Walzer hervorgebracht. Wird unser Dichter auch jenen
hellen Partien der Wiener Seele gerecht? In einer ähnlichen Weise
wie Grillparzer durch die Erschaffung der Hero. Auch in seinen
Dichtungen blinken die blonden Scheitel einiger anmuthumlagerten
Mädchenköpfe, in denen er seine reinste und tiefste Empfindung dieser
Seite des Wiener Wesens essenzhaft abgezogen und versammelt hat.
Merkwürdiges Gesetz des Gegensatzes, wonach, halkyonisch
über den trüben Tiefen schwebend, gerade in dieser dunkeln und
melancholischen Seele das Glück und alle wundervolle Leichtigkeit
und Farbigkeit des Wienerthums sich am hellsten abspiegeln muss!
Aufgeschlagen wie ein Buch, ruht auch hier ein Stück der Seele
und der übermächtigen Schönheit einer großen, zauberhaft ver¬
wirrenden Stadt.
Hermann Ubell.
Graz.
Meister Olbrich.
enn man jetzt zeitlich in der Früh an die Wien kommt, kann
4 man dort, wo es, hinter der Akademie, aus der Stadt zum
Theater geht, jeden Tag eine Menge Leute sich um einen neuen
Bau drängen sehen. Es sind Arbeiter, Handwerker und Weiber,
die zu ihrer Arbeit sollen, aber hier stehen bleiben, verwundert
schauen und sich nicht abwenden können. Sie stannen, sie fragen,
sie besprechen das Ding. Es kommt ihnen sonderbar vor, so etwas
haben sie noch nicht gesehen: es befremdet sie, sie sind recht betroffen.
Ernst und nachdenklich gehen sie dann, kehren sich wieder um, sehen
noch einmal zurück, wollen sich nicht trennen und zögern, an ihr Ge¬
schäft zu enteilen. Und das hört jetzt dort den ganzen Tag nicht auf.
Der Bau ist das neue Haus der Secession, von dem jungen Archi¬
tekten Olbrich. Es soll am 4. November der Stadt übergeben werden;
am selben Tage wird die erste Ausstellung darin beginnen. Ich
glaube, es wird dann ein großes Gehenl sein, die dummen Leute
werden toben. Ich will also lieber jetzt schon das Nöthige sagen.
Jetzt kann das noch ruhig und unleidenschaftlich geschehen, später
wird gerauft werden.
Treten wir ein. Wir kommen zuerst in einen Raum, der uns
feierlich stimmt. Man könnte von Propyläeu sprechen. So ist er
gedacht: als ein Vorhof, in dem sich der Eintretende vom Täglichen
reinigen, zum Ewigen stimmen soll, die Sorgen oder Lannen der
gemeinen Weit ablege und sich zur Andacht bereite, als eine stille
Clausur der Seele sozusagen.
Dann gelangen wir in das Gebäude. Hier ist alles nur
vom Zweck allein beherrscht. Es wird hier nicht versucht, auf
eine leichtfertige Art zu gefallen, zu prahlen oder zu blenden.
Das will kein Tempel und kein Palast sein, sondern ein Raum,
der fähig sein soll, Werke der Kunst zu ihren größten Wirkungen
unswereter:
Teicht loocnen, Soufe en.
die „Flächenkunst“ von der „Raumkunst“ verdrängt wird, es ist
vorgesehen worden, wenn es nothwendig wird, sofort das Werk, wie
durch einen Zauber, auf einen Schlag verändern und jeder neuen
Forderung wieder anpassen zu können. Dies alles ist mit der größten
Hingebung an den Zweck geschehen. Nichts kann hier weg oder dazu,
nichts auch nur einen Moment anders gedacht werden, hier ist alles
nothwendig und selbstverständlich. Nehmen wir die Absichten der
Secession der Reihe nach her, ziehen wir die Forderungen, die sie
ergeben, und setzen sie als bestimmte Größen an, so kommt, wie
bei einer Rechnung, ein nothwendiges Resultat heraus: dieses hat
der Künstler ausgedrückt. Man kann da nicht sagen: es gefällt mir
oder es gefällt mir nicht; es handelt sich da nicht mehr um Ange¬
nehm oder Unangenehm, es handert sich da um Wahr oder Falsch.
Das Wahre erkannt und seinen Ausdruck, den einzigen und
unersetzlichen Ausdruck, den es haben kann, geschaffen zu haben,
das ist die That unseres jungen Architekten.
Endlich kommen wir in einen Raum derselben ernsten und
feierlichen Architektur, die jener Vorhof hat. Will jener vorbereiten
so soll dieser nachstimmen. Bevor wir wieder ins Leben gehen?
mögen wir noch in den Gefühlen der Kunst nachdenklich verweilen,
sie betrachten, uns beruhigen. Ihren Nachklang wollen wir hier bei
uns aufbewahren. Dann können wir entlassen werden.
Sehen wir uns nun das Haus von außen an. Was soll die Façade?
Wir verlangen von ihr, wahr zu sein: sie soll uns das Wesen des Inneren
auf eine kurze und fassliche Art, wie durch ein Motto, erkennen
lassen. Sie ist gut, wenn wir von ihr sofort vernehmen, was hinter
ihr ist. Sie ist schlecht, wenn sie lügt oder verheimlicht. Es genügt
aber nicht, dass sie wahr ist. Wir wünschen dann auch noch, dass
sie decorativ sei: sie soll das Einzelne dieses Hauses nun ins Ganze
des Platzes oder der Straße fügen. Jedes Werk der Künstler soll
ja so sein, wie ein jedes Leben der Menschen ist. Unser Leben hat
zwei Bedeutungen: eine für uns selbst, als die Entwickelung unserer
Potenzen zum Höchsten, und eine andere im großen Spiel des
Schicksals, als eine bloße Rolle in seinem Ensemble. Wie wir die
beiden Bedeutungen versöhnen, ist unser Problem. So darf auch
das Werk des Künstlers nicht vergessen, indem es seinem eigenen
Zwecke auf die größte Weise dient, doch auch im Ganzen der anderen
decorativ zu sein. Also zwei Fragen. Ist das Haus der Secession
wahr? Und: ist es decorativ? Jene bejahen wir sofort: man sieht ihm
auf den ersten Blick sein inneres Wesen an. Dies kann gar nichts
anderes als ein Aufenthalt von Kunstwerken sein; wir erblicken
sogleich die drei Theile: unter dem Lorbeer den Vorhof zur Reinigung
der Gemüther, dann den Raum für die Werke, endlich die Architektur
zur Besinnung und Andacht, die Kapelle. Das kommt uns nun freilich
ganz fremd und seltsam vor, so verdorben sind wir. Bei uns schaut
ja ein Haus zum Wohnen wie ein Palast zum Prangen aus, ein
der Arbeit gewidmetes wie ein für Feste bestimmtes. Die Häuser
verheimlichen ihr Wesen: wir haben ganz verlernt, was eine Facade
ist. Wir haben uns angewöhnt, sie als ein bloßes Spiel mit Säulen,
Gebälk und Ornamenten hinzunehmen. So werden wir uns erst
besinnen müssen, um die Wahrheit dieses Hauses zu erkennen. Aber
ist es auch decorativ? Dies wird von manchen verneint. Sie be¬
klagen sich, es sei monoton; sie vermissen die Farbe und es heißt,
man könne von keiner Stelle zu einem ruhigen Gefühl des Ganzen
kommen. Wir wissen nämlich das Decorative gar nicht mehr vom
G'schnas zu trennen: alles soll unruhig, bunt, capriciös sein. Für
die edle Wirkung großer Flächen haben wir keinen Sinn, gar
keinen Gedanken mehr. Das Bauen ist eine leere Spielerei mit
hübschen Formen geworden, die keinen Sinn hat, es ist zum
Feuilletonistischen entartet, wir haben uns angewöhnt, dass es Witze
machen und Pointen haben soll. Alle Würde, der gebietende Ernst
ihres Wesens, die Hoheit ist dieser Kunst, der strengsten von allen,
entwendet worden. Und dann wird auch vergessen, dass unser Haus
in einer Landschaft stehen soll, die erst werden wird: die Wien wird
gedeckt, drüben wird dann ein großer Platz sein, dem Andenken der
Kaiserin gewidmet; die Straße links vom Hause verschwindet, ein
Garten ist rings, mit schweren dunklen Bäumen. Kommt man
dann von der Karlskirche her, tritt auf den Platz und sieht das
Haus, wenn seine Krone in der Sonne glänzt, dann wird es mit
dem Weiß und Gold im Grünen wie eine leuchtende Insel sein,
eine selige Insel im Tumult der Stadt, zur Zuflucht aus der täg¬
2. Guttings
Die
Wien, Samstag,
Seite 42.
er von ihm schrieb: „Er stammt aus Griechenland, nicht aus
Es ist auch in diesen Dichtungen wieder
Friedrichshagen“
manches, vorauf in der sparsamen und weichen Zeichnung der
zarten Profile weiblicher Köpfe, das an die goldenen Contouren
der duldenden und plandernden Mädchen bei Sophokles oder Theokrit
denken lässt..
Was bindet diesen Dichter an Wien? Ich möchte nicht
die Sentimentalität des Nichtwieners nach dem Wienerischen als
die charakteristische Linie seines Wesens aufgreifen, wie Hermann
Bahr und andere nach ihm; obwohl auch dieser Zug für Schnitzler
bezeichnend genug ist. Wichtiger scheint mir schon, wie ich eben
andeutete, dass doch eigentlich die Lebensstimmung, die seine Werke
ausathmen, und die ich vorhin zu umschreiben versuchte, in einem
gewissen Sinne congruent ist mit einer typischen österreichischen
Stimmung, die als ein Erbe aus den Tagen des Vormärz auch
aus unserem Blut noch nicht gewichen ist; doch fehlt es nicht an
guten Zeichen, dass wir jetzt eben im Begriffe sind, sie endgiltig zu
überwinden. Ich meine jene tiefe Bangigkeit vor dem
Leben, die unseren Grillparzer und die ganze Cultur, die ihn
umgab, niedergehalten hat, das Bedrückte und Aengstliche, Ver¬
schüchterte und Kleine jener Zeit, für die das Bildnis des armen
Spielmanns ein rührendes und unvergessliches Symbol ist...
Aber das Wiener Gemüth, wo Helles und Dunkles räthselhaft
ineinander rinnen, zeigt bekanntlich ein Doppelantlitz; eine sehr selt¬
same Fusion des bajuvarischen mit slavomagyarischen Elementen hat
sich hier seit Jahrhunderten vollzogen, so dass dicht neben dem un¬
zerstörbaren, lebenbejahenden Frohsinn des einen — der in dem
„Es kann dir nix g'scheh'n“ des pantheistischen Steinklopferhaus
auch die gedehnte Schwer¬
seine lapidare Formel gefunden hat —
muth etwa der Volkslieder der anderen vernehmlich wird. Als ihr
reinstes und liebenswürdigstes Sinnbild hat ja diese Mischung den
Wiener Walzer hervorgebracht. Wird unser Dichter auch jenen
hellen Partien der Wiener Seele gerecht? In einer ähnlichen Weise
wie Grillparzer durch die Erschaffung der Hero. Auch in seinen
Dichtungen blinken die blonden Scheitel einiger anmuthumlagerten
Mädchenköpfe, in denen er seine reinste und tiefste Empfindung dieser
Seite des Wiener Wesens essenzhaft abgezogen und versammelt hat.
Merkwürdiges Gesetz des Gegensatzes, wonach, halkyonisch
über den trüben Tiefen schwebend, gerade in dieser dunkeln und
melancholischen Seele das Glück und alle wundervolle Leichtigkeit
und Farbigkeit des Wienerthums sich am hellsten abspiegeln muss!
Aufgeschlagen wie ein Buch, ruht auch hier ein Stück der Seele
und der übermächtigen Schönheit einer großen, zauberhaft ver¬
wirrenden Stadt.
Hermann Ubell.
Graz.
Meister Olbrich.
enn man jetzt zeitlich in der Früh an die Wien kommt, kann
4 man dort, wo es, hinter der Akademie, aus der Stadt zum
Theater geht, jeden Tag eine Menge Leute sich um einen neuen
Bau drängen sehen. Es sind Arbeiter, Handwerker und Weiber,
die zu ihrer Arbeit sollen, aber hier stehen bleiben, verwundert
schauen und sich nicht abwenden können. Sie stannen, sie fragen,
sie besprechen das Ding. Es kommt ihnen sonderbar vor, so etwas
haben sie noch nicht gesehen: es befremdet sie, sie sind recht betroffen.
Ernst und nachdenklich gehen sie dann, kehren sich wieder um, sehen
noch einmal zurück, wollen sich nicht trennen und zögern, an ihr Ge¬
schäft zu enteilen. Und das hört jetzt dort den ganzen Tag nicht auf.
Der Bau ist das neue Haus der Secession, von dem jungen Archi¬
tekten Olbrich. Es soll am 4. November der Stadt übergeben werden;
am selben Tage wird die erste Ausstellung darin beginnen. Ich
glaube, es wird dann ein großes Gehenl sein, die dummen Leute
werden toben. Ich will also lieber jetzt schon das Nöthige sagen.
Jetzt kann das noch ruhig und unleidenschaftlich geschehen, später
wird gerauft werden.
Treten wir ein. Wir kommen zuerst in einen Raum, der uns
feierlich stimmt. Man könnte von Propyläeu sprechen. So ist er
gedacht: als ein Vorhof, in dem sich der Eintretende vom Täglichen
reinigen, zum Ewigen stimmen soll, die Sorgen oder Lannen der
gemeinen Weit ablege und sich zur Andacht bereite, als eine stille
Clausur der Seele sozusagen.
Dann gelangen wir in das Gebäude. Hier ist alles nur
vom Zweck allein beherrscht. Es wird hier nicht versucht, auf
eine leichtfertige Art zu gefallen, zu prahlen oder zu blenden.
Das will kein Tempel und kein Palast sein, sondern ein Raum,
der fähig sein soll, Werke der Kunst zu ihren größten Wirkungen
unswereter:
Teicht loocnen, Soufe en.
die „Flächenkunst“ von der „Raumkunst“ verdrängt wird, es ist
vorgesehen worden, wenn es nothwendig wird, sofort das Werk, wie
durch einen Zauber, auf einen Schlag verändern und jeder neuen
Forderung wieder anpassen zu können. Dies alles ist mit der größten
Hingebung an den Zweck geschehen. Nichts kann hier weg oder dazu,
nichts auch nur einen Moment anders gedacht werden, hier ist alles
nothwendig und selbstverständlich. Nehmen wir die Absichten der
Secession der Reihe nach her, ziehen wir die Forderungen, die sie
ergeben, und setzen sie als bestimmte Größen an, so kommt, wie
bei einer Rechnung, ein nothwendiges Resultat heraus: dieses hat
der Künstler ausgedrückt. Man kann da nicht sagen: es gefällt mir
oder es gefällt mir nicht; es handelt sich da nicht mehr um Ange¬
nehm oder Unangenehm, es handert sich da um Wahr oder Falsch.
Das Wahre erkannt und seinen Ausdruck, den einzigen und
unersetzlichen Ausdruck, den es haben kann, geschaffen zu haben,
das ist die That unseres jungen Architekten.
Endlich kommen wir in einen Raum derselben ernsten und
feierlichen Architektur, die jener Vorhof hat. Will jener vorbereiten
so soll dieser nachstimmen. Bevor wir wieder ins Leben gehen?
mögen wir noch in den Gefühlen der Kunst nachdenklich verweilen,
sie betrachten, uns beruhigen. Ihren Nachklang wollen wir hier bei
uns aufbewahren. Dann können wir entlassen werden.
Sehen wir uns nun das Haus von außen an. Was soll die Façade?
Wir verlangen von ihr, wahr zu sein: sie soll uns das Wesen des Inneren
auf eine kurze und fassliche Art, wie durch ein Motto, erkennen
lassen. Sie ist gut, wenn wir von ihr sofort vernehmen, was hinter
ihr ist. Sie ist schlecht, wenn sie lügt oder verheimlicht. Es genügt
aber nicht, dass sie wahr ist. Wir wünschen dann auch noch, dass
sie decorativ sei: sie soll das Einzelne dieses Hauses nun ins Ganze
des Platzes oder der Straße fügen. Jedes Werk der Künstler soll
ja so sein, wie ein jedes Leben der Menschen ist. Unser Leben hat
zwei Bedeutungen: eine für uns selbst, als die Entwickelung unserer
Potenzen zum Höchsten, und eine andere im großen Spiel des
Schicksals, als eine bloße Rolle in seinem Ensemble. Wie wir die
beiden Bedeutungen versöhnen, ist unser Problem. So darf auch
das Werk des Künstlers nicht vergessen, indem es seinem eigenen
Zwecke auf die größte Weise dient, doch auch im Ganzen der anderen
decorativ zu sein. Also zwei Fragen. Ist das Haus der Secession
wahr? Und: ist es decorativ? Jene bejahen wir sofort: man sieht ihm
auf den ersten Blick sein inneres Wesen an. Dies kann gar nichts
anderes als ein Aufenthalt von Kunstwerken sein; wir erblicken
sogleich die drei Theile: unter dem Lorbeer den Vorhof zur Reinigung
der Gemüther, dann den Raum für die Werke, endlich die Architektur
zur Besinnung und Andacht, die Kapelle. Das kommt uns nun freilich
ganz fremd und seltsam vor, so verdorben sind wir. Bei uns schaut
ja ein Haus zum Wohnen wie ein Palast zum Prangen aus, ein
der Arbeit gewidmetes wie ein für Feste bestimmtes. Die Häuser
verheimlichen ihr Wesen: wir haben ganz verlernt, was eine Facade
ist. Wir haben uns angewöhnt, sie als ein bloßes Spiel mit Säulen,
Gebälk und Ornamenten hinzunehmen. So werden wir uns erst
besinnen müssen, um die Wahrheit dieses Hauses zu erkennen. Aber
ist es auch decorativ? Dies wird von manchen verneint. Sie be¬
klagen sich, es sei monoton; sie vermissen die Farbe und es heißt,
man könne von keiner Stelle zu einem ruhigen Gefühl des Ganzen
kommen. Wir wissen nämlich das Decorative gar nicht mehr vom
G'schnas zu trennen: alles soll unruhig, bunt, capriciös sein. Für
die edle Wirkung großer Flächen haben wir keinen Sinn, gar
keinen Gedanken mehr. Das Bauen ist eine leere Spielerei mit
hübschen Formen geworden, die keinen Sinn hat, es ist zum
Feuilletonistischen entartet, wir haben uns angewöhnt, dass es Witze
machen und Pointen haben soll. Alle Würde, der gebietende Ernst
ihres Wesens, die Hoheit ist dieser Kunst, der strengsten von allen,
entwendet worden. Und dann wird auch vergessen, dass unser Haus
in einer Landschaft stehen soll, die erst werden wird: die Wien wird
gedeckt, drüben wird dann ein großer Platz sein, dem Andenken der
Kaiserin gewidmet; die Straße links vom Hause verschwindet, ein
Garten ist rings, mit schweren dunklen Bäumen. Kommt man
dann von der Karlskirche her, tritt auf den Platz und sieht das
Haus, wenn seine Krone in der Sonne glänzt, dann wird es mit
dem Weiß und Gold im Grünen wie eine leuchtende Insel sein,
eine selige Insel im Tumult der Stadt, zur Zuflucht aus der täg¬