VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Alfred Kerr Arthur Schnitzler, Seite 4

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ALFRED KERR.
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Humor, eine Ehebruchsliebe die am Ende ist, eine andre, die nie bis zum
Anfang gedich, und ein letzter Nachtgast vor der Heirat, der unbequem ist und
vorübergehend zur Disposition gestellt wird. Epigrammatisches, Betrug,
Selbstbetrug, psychologisch feiner Witz, oft ein wundervolles, gelegentliches
„frevles Spiel“ mit „heiligen Gütern“ und Oberali schleierzarteste Stimmung.
Schade, dass manches eingestreut wird, das zwar fein geprägt, aber zu
abgerundet ist. Etwa: „Unglücklich sein — ist erst das halbe Unglück, be¬
das ist das ganze!“ „Man hat Ihnen zu viel verschwiegen,
dauert werden —
als Sie junges Mädchen waren — und hat Ihnen zu viel gesagt, seit Sie junge
Frau sind!“ „In der kleinen Welt werd' ich nur geliebt; in der grossen —
nur verstanden.“ Das ist Feuilletonismus grade wie Gabrielens jedesmalige
Bitte um die Packetchen, sobald Anatol dreister wird. Es nähern sich solche
Wendungen der Konvention. Und ihre Form — sie ist ja schliesslich ein
fremder Tropfen in unsrem Blut.
Der Mann, der durch alle sieben Situntionen geht, ist ein Verfallsmensch.
Wie thöricht, dem Dichter einen Vorwurf daraus zu machen. Als ob wir
nicht in gewissen Verhältnissen des Lebens Alle Verfallsmenschen wären.
Von der Müdheit französischer Abwärtslinge ist Anatol durch sorgloseren
Humor geschieden. Die trübe Grazie, mit der er, weit mehr ein Verwöhnter
denn ein Verkommener, seine süssen Missgeschicke trägt, erhebt ihn über die
matten, glanzäugigen Selbstquäler vom Stamm der Bourgetmänner. Was jene
mit gekniffenen Schwänzen beweinen, umklingelt er mit leiser Thorenschelle.
Den Zweifel freilich und die Reflexion hat dieser Zärtling mit ihnen gemein.
Vielleicht weil er Schriftsteller ist, wie sie selber so oft. Bourget weiss am
besten, „que lhomme de lettres, par exemple, aime ou désire, qu’il hait on
regrette autrement que le commercant etc. So hatte Schnitzler schon früher einen
zweifelnden Helden zum Schriftsteller gemacht, den nervösen Fedor Denner
im „Märchen“, der alle Pein und alle Grausamkeit misstrauischer Liebe fühlt
und fühlen lässt, der an das Märchen von der Gefallenen nicht mehr glaubt
und, als Bräutigam, an das Märchen von der Erhobenen noch weniger glauben
will, der sich und sie zweifelnd zugrundegerichtet. Aber hier war der Zweifel
von eigensinnigem Ernst. Spasslosere Schmerzen, eine mindere Stimmung, etwas
Unpersönlicheres. Noch fehlte dem tastenden Dramenversuch die höllische
Süsse und die himmlische Bitterkeit jener unnachahmlichen späteren Szenen.
IV.
Aus der Welt des Anatol ist die „Liebelei“ erwachsen, Dennoch ist es
eine verschiedene Welt. Alles ist hier zu hörerer Schlichtheit gereift, das
Spielerische ist verschwunden, eine einfache Tragik greift ans Herz, — hin¬
reissend, Tiefinnerstes aufrührend. Mit einem Schlage rückt der Dichter in
dieser innig menschlichen Lebenstragödie in den engen Kreis der Besten
unserer Gegenwart. Christin' ist die reinste und höchste Frauenseele, die er
geschaffen hat. Sie ist mehr als ein süsses Mädl. Diese blasse Violinspielers¬
tochter, die noch nicht geliebt hat und eine tiefe, unüberwindbar tiefe Neigung
zu einem leichtsinnig-schwermütigen Menschen fasst, der ihr in den Weg
kommt — sie leuchtet in so wunderbarster Schlichtheit, dass sie die
Geltung einer Einzelpersönlichkeit abstreift und zu einem wohlvertrauten, halb¬
umdämmerten, holden Urbild wird, wie es unsre Träume in Volksgestalten an
glücklichen Abenden sehen. Diese lautlos hingegebene Gestalt, die innig und
zurückhaltend, glücklos und selig und in jeder leisesten Regung Mädchen ist:
sie stammt aus dem Gefild, auf dem die herbere Schönheit früher und liebster
Gocthescher Mädchen wuchs. Wen soll man neben ihr heut nennen? Fontane’s
Lene. Die weiblichen Erscheinungen moderner Dichter sind, gegen Christine
gehalten, fast alle reflektiert und mittelbar. Wie schade, dass schliesslich,

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