VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Julius Bab, Seite 1

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1. Panphletsoffbrints

Wiener Nachwuchs von Julius Bab (Schiut
er von den jungen oesterreichischen Autoren weniger lyrisch
und metaphysisch als episch und psychologisch veranlagt ist,
ern Schnitzler nach.
der folgt nicht Hofmannsthal,
Er sucht nicht in märchenhaft wunderbaren Fernen ein Symbol für
das wunderbar Verworrene der ihn umgebenden Welt, er sucht diese
Welt selber mit all ihren durcheinandergleitenden Impulsen darzu¬
stellen; er gibt nicht eine musikalische Abstraktion, sondern nur eine
stilisierte Malerei von seinem Weltgefühl.
Den reinsten Typus in dieser Richtung stellen vielleicht die dra¬
matischen Versuche von W. Fred dar, von dem ich zwei noch unver¬
öffentlichte Stücke in Händen hatte. Den reinsten Typus, weil sie die
Verwandtschaft mit den Franzosen, die schon bei Schnitzler so deutlich
ist, aufs stärkste hervorspringen lassen, und, weil sie zugleich den Weg
zur Komödie einschlagen, die sicherlich für dies wienerische Grund¬
gefühl die bessere dramatische Chance bedeutet. Fred kommt zur Bühne
vor allem als der Beobachter des Welttreibens, der ein höchst umfang¬
reiches Buch über die „Lebensformen geschrieben hat. Wie die Formen
der Gesellschaft, Sitten, Moralen, Anschauungen bald Waffe und bald
Kette, bald Gesicht und bald Maske von wirklich Lebendigen sind, wie
Lüge und Wahrheit, Verrat und Treue sich in einem Menschen und
einer menschlichen Handlung unentwirrbar mischen — das zu skiz¬
zieren, ist seine Neigung, das ist die individuelle Form, die das spiele¬
rische Stannen des Wienertums bei ihm annimmt. Er stellt psycho¬
logische Gesetze auf, illustriert sie an einer Reihe von Beispielen und
entwickelt sie im entscheidenden Augenblick sehr ausführlich durch den
Mund seiner Raisonneure — nach rechter Franzosenart. In seinem
Lustspiel „Die betrogenen Männer wird mit ernsthafter Ironie das
alte französische Grundthema von der ehelichen Untreue gleichsam in
die zweite Potenz erhoben, oder besser: es wird die doppelte Negation
gezeigt, die sich zu einer Bejahung aufhebt. Es wird gezeigt (und
Schnitzlers „Einsamer Weg' leuchtet von fern herüber), daß zuletzt nicht
die Ehemänner, sondern die Liebhaber die Betrogenen sind; daß es
zuletzt wenig und wesenlos ist, was der Junggesell erhält, daß das
Ernste, Entscheidende, Wesentliche des Menschen doch dem Manne
zukommt, mit dem man nicht ein paar schöne Stunden, sondern ein
Leben baut. Das Geliebe vergeht, aber die Ehe besteht; unter den gleich¬
sam gesellschaftlichen Brauch der „Untreue setzt sich als eine natürliche
Kraft die Treue durch. Das ist die im Grunde sehr moralische These,
die Fred an vier durcheinandergeschlungenen Paaren und einigen
Einspännern demonstriert. Der menschlich=dichterische Anteil gilt dabei
den merkwürdigen Verschlingungen und Ueberkreuzungen verschiedener
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