VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Julius Bab, Seite 2

1. Panphlets offbrints
Instinkte und Konventionen in ein und derselben Menschenbrust. Nur
daß Fred wohl zu sehr vom sicher nachgezeichneten Gesellschaftlich¬
Formalen ausgeht, um uns in solche seelischen Tiefen zu ziehen, wo
wir warm werden; das Stück spielt weniger unter Menschen als in
„Gesellschaft“ — schon äußerlich. Erster Akt: Eine Hotelhalle mit
Wintersport; zweiter Akt: Ein Kostümfest; dritter Akt: Ein Wohl¬
tätigkeitsbazar. Das schließt schon beinah technisch aus, daß eine
Atmosphäre entsteht, in der die Menschen wirklich dichterisches Leben
gewinnen — es bleiben Fälle, Beispiele, Typen. Aber auch so könnte
(wenn die Inszenierungsarbeit manche Breiten ausmerzt, manche
Einschnitte verschärft) ein intelligentes Konversationsstück entstehen,
das als wienerisch originaler Sproß aus der französischen Wurzel
unserm Theater willkommen sein sollte.
Stärker in der szenischen Spannung und in der individuellen
Herausarbeitung der Figuren ist Freds zweite Arbeit: „Der Unbe¬
stechliche“. Wieder werden allerlei gute, psychologische Bemerkungen an¬
gebracht, diesmal über den Fall des Theaterkritikers Pauli, dessen
Unbestechlichkeit sich als ein Laster entpuppt. In der Tat liegt hier ein
sehr verzwicktes Problem. Den Sinn einer unbestochenen Haltung
macht es nämlich nicht aus, daß man von den Objekten seiner Kritik
keine Geschenke annimmt; auch nicht, daß man seine guten Freunde
prinzipiell verreißt; nicht einmal, daß man mit raffinierterer Mechanik
sie abwechselnd lobt und verreißt — sobald Bewußtsein, Prinzip und
Moral in der Sache herrscht, ist sie schon faul, und nur die einheitliche,
instinktsichere Persönlichkeit, die aus einem und demselben Grunde mit
einem Kunstwerk oder einem Privatmenschen Freundschaft schließt,
wird hier völlige Sicherheit für ein rein objektives, das heißt: sub¬
jektiv reines Urteil bieten. Die untauglichen Versuche, mit denen Leute
mindern Instinktes sich diese Objektivität nach äußern Kriterien kon¬
struieren wollen, geben ganz gewiß einen guten Komödienstoff her. Aber
das müßten doch Leute feineren Geistes und besserer Absicht sein —
Fred macht sich die Sache zu leicht und nimmt seinem Thema das tiefere
Interesse, indem er seinen Pauli zu einem ziemlich eindeutigen Lumpen
formt, der kleine Schauspielerinnen erst anpumpt, um sie dann zur
Ehre seiner Unbestechlichkeit ausdrücklich zu verreißen; der zweifelhafte
Wechselgeschichten begeht und schließlich seine langjährige Geliebte mit
ihrem gemeinsamen Kind im Stich läßt, um sich durch eine plumpe
Geldheirat zu sanieren. Die halbwahren Klugheiten, die er im letzten
Akt über die Notwendigkeit des Geldbesitzes redet, werden ihn wohl
nicht einmal selber ganz über seine unqualifizierbare Person täuschen.
So wird es eine recht gewöhnliche Schwindler= und Lumpenkomödie.
Aber die lebendige und diskrete. Zeichnung mancher Nebenfigur ver¬
rät, daß Fred vielleicht doch der Mann wäre, solch ein Thema noch
einmal mit zarteren Fingern anzugreifen.
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box 36/7
Auf weniger klaren Wegen als Fred wandelt vorläufig ein junger
wiener Autor namens Walter von Molo. Von seinen Dramen (die
bei Georg Müller in München erschienen sind) geht „Das gelebte Leben“
noch ganz und gar auf den Bahnen Ibsens, des großen Rattenfängers,
der unseren dramatischen Nachwuchs glauben machte, es sei möglich,
ein lyrisch=revolutionäres Pathos aus der analytischen Behandlung
psychologischer Gegenwartsprobleme herausspringen zu lassen. Dabei
war diese Germanisierung der französischen Technik nur ihm, dem
Ibsen selber möglich, und auch ihm nicht immer. Der junge Molo, der
mit Benutzung einiger anderer Ibsenmotive, die Geschichte der „Nora¬
noch einmal schreibt, der Frau, die die Erbärmlichkeit ihres Ehemanns,
die Kerkermäßigkeit ihres Ehelebens, ihr Recht zu freier Selbstentfal¬
tung erfährt, dieser Molo bleibt vielfach tief im Konventionell=Rhetori¬
schen stecken, gibt erregte Debatten statt gestalteter Leidenschaften.
Aber innerhalb dieses schwachen Ibsen stehen gut wienerische Züge von
künstlerisch echter Art. Besonders gibt es da im zweiten Akt eine Ver¬
führungsszene, gegen die sich dramaturgisch und geistig einiges ein¬
wenden läßt — der reinlichere Ibsen brauchte keine erotischen Zwischen¬
spiele, um seine Nora aufzuklären — die aber künstlerisch das weitaus
Stärkste an diesem Drama ist, eine Szene voll verhaltener Vibration,
voll dumpfer Steigerung und hell aufzuckender Intellektualitäten.
Diese Spuren eines Talents, das seine Richtung, seinen Ton,
seinen Stil noch nicht gefunden hat, sind vielleicht noch stärker in dem
Drama „Die Mutter“; nur hat hier Molo einen höchst unglücklichen
Stoff gegriffen. Die Mutter, die sich in grenzenloser Liebe für das
Glück des Sohnes aufreibt, kann gewiß immer wieder von einem
starken Dichter eine erschütternde Gestaltung erfahren — aber daß
dieser Sohn dramatischer Dichter, und das Glück, das ihm erkämpft
werden muß, eine Aufführung seines Stückes ist, das ist mißlich. Die
jungen Leute, die absolut die erfolgreiche Premiere brauchen, um
ihrem dramatischen Beruf erhalten zu bleiben, sind wohl weniger
Dichter als Theaterschriftsteller; und daß an dem sehr nervösen
und launischen jungen Mann sonst ein Genie verloren gehen würde,
vermag uns Molo auch nicht fühlbar zu machen. Etwas Dilettantisches
steckt von vornherein wie in der Idee, daß das Jawort eines Dramatur¬
gen nun schon die Aufführung eines, obendrein bei den Kapitalisten des
Theaters mißbeliebten, Werkes verbürge, so in dieser ganzen Auf¬
fassung von Dichter und Dichten; und die aufopfernde Tat der Mutter
scheint deshalb sowohl in ihrem nächsten praktischen wie in ihrem wei¬
teren menschlichen Erfolg fraglich. Aber zwischen all diesem Unreifen,
Verworrenen und Ueberlauten stehen wieder viele feine und leise
menschliche Wendungen, die an das Talent Molos glauben lassen.
Aus dieser Freude, dieser hingegebenen Lust an der buntverwor¬
renen Welt ist nun aber das schönste, das süßeste Werk gewachsen, das
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Simtur maman