1. Panphlets offbrints
diesmal vom wiener Nachwuchs anzuzeigen ist: „Die Milchbrüder von
Oscar Maurus Fontana. Der singt nicht Hofmannsthals staunendes
Klagelied, er treibt keine Schnitzlersche Seelenanalyse — und er hat
doch das ganze sanfte Staunen, die lässig träumende Verspieltheit des
Wieners im Blut. Aber mit einem wunderschönen, heitern Lächeln
entschließt sich Fontana, das Spiel zu spielen, das Staunen zu ge¬
nießen, den Traum schön zu finden, und er schreibt eine Komödie.
Ein ganz leichtes, helles, liebes Spiel von zwei Jungen, die in die
Welt fahren. Der Graf Engelbrecht und sein Milchbruder Xaver
werden mit einem sehr würdigen militärischen Erzieher auf die Reise
geschickt; aber sie brennen ihm durch, sie wollen das Leben auf eigene
Hand, ohne dazwischengeschalteie Buchgelehrtheit kennen lernen. Zu¬
sammen erobern sich die beiden drolligen Kerle eine kleine Schau¬
spielerin zur Reisegefährtin, zusammen reißen sie sich von ihr wieder
mannhaft los, um unter Leitung eines listigen alten Hochstaplers, der
sich an sie geheftet hat, weiter in die Welt zu fahren. Alles tun sie
zusammen, diese zwei kleinen Lebendsdurstigen, und das gibt all ihrem
Tun eine so rührend drollige Unschuld — bis schließlich der Bürger¬
liche der Brüder mit der Frau des Hochstaplers (die eigentlich den
Gräflichen in ihre Netze locken sollte) in eine denn doch ausgesprochen
individuelle Beziehung tritt. Er geht mit ihr auf und davon, und der
zurückgebliebene junge Graf wird darüber zum selbständigen Men¬
schen, der seine offiziellen und inoffiziellen Erzieher gleich kräftig
abzuschütteln vermag. Man könnte sich vielleicht den ernsthaften Sinn,
der in der Blutsverschiedenheit und der entsprechend verschiedenen
Selbsterziehung der beiden Freunde liegt, stärker hervorleuchtend
wünschen, aber man vergißt alles gern in der Freude über die ent¬
zückenden Blütenguirlanden, die Einfall um Einfall, Satz um Satz sich
durch diese fünf Komödienakte winden. Ein junger Künstler, der mit
zwei voraufgehenden Arbeiten noch recht unsicher zwischen allerlei
fremd Angefühltem und eigen Gewolltem umhertappte, fand an die¬
sem glücklichen Stoff mit eins den eigenen reinen Ton. Wenn dies
Blühen, Schwellen, Wuchern der Bilder, dies jede Wirklichkeit über¬
stürmende Phantasieren aller Gestalten an Herbert Eulenberg er¬
innert, so ist es doch weniger Nachahmung als Blutsverwandtschaft.
Denn Fontana hat doch garnichts von der blutdürstigen nervösen Wild¬
heit des Rheinländers und nichts von seiner pathetischen, herausfor¬
dernden Pose. Ein Zug liebenswürdigster Versöhnlichkeit liegt in all
dieser Schwärmerei — der Tropfen wiener Dialekt, der in die kühn¬
sten Metaphern gegossen wird, macht alles so erdennah, so vertraulich.
Dämonie ist nicht in dieser Dichtung, aber doch Seele, die Seele eines
wienerischen Romantikers. Dies Stück, das im Kostüm unsrer Tage
gespielt werden darf, und das doch ganz und gar ein Märchenstück ist,
weil die Lebensliebe junger Seelen überall die Welt zu ihrem Abbild
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—.
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wandelt — dies Stück erinnert an Waldmüller und an Schwind, an
Raimund und an den Komödiendichter Grillparzer, und, wenn man
ganz hoch greifen will, sogar an den Meister Mozart. Die beklommene
Weltbewunderung der Hofmannsthal und Schnitzler ist wieder in ein
reines Spiel der Weltfreude gelöst: unsre bettelarme Komödienbühne
hat an diesen „Milchbrüdern eine Heiterkeit von lebendigster Anmut
gewonnen — und das ist und bleibt wohl das Beste, was die Wiener
uns andern Deutschen zu geben haben.
Die Milchbrüder
von Oscar Maurus Fontana
ine Komödie, die Bab in dieser Nummer bespricht. Die folgende
,Szene bildet den Schluß des ersten Aktes.
Schauplatz ist der Speisesaal im Hotel einer kleinen, auch
als Sommerfrische dienenden Stadt. Graf Engelbrecht und sein
Milchbruder Xaver haben mit ihrem militärischen Mentor und dem
hochstapelnden „General de la Casa, der sich ihnen absichtsvoll attachiert
hat, sittsam zu Mittag gespeist, während am Nachbartische Schauspieler
des Stadt= und Kurtheaters (darunter Line Krüger) ihr sehr geräuschvolles
Wesen trieben. Die Kellner, sind mit ihren Arbeiten fertig und ver¬
lassen den Speisesaal. Der bleibt eine Zeit lang leer. Die Vor¬
frühlingssonne bescheint ihn. Pause. Dann kommen von rechts, zuerst
vorsichtig hereinlugend, dann keck hereinstürmend, nach Bubenart sich
an den Händen fassend, Engelbrecht und Xaver.
Xaver: Du, da ists leer.
Engelbrecht: Mutterseelenallein sind wir da, und niemand
kann uns jetzt was sagen.
Xaver: Ja, er schläft, tief und fest, Engerl. Und man kanns
draußen hören.
Engelbrecht: Laß ihn schlafen, er braucht seine Ruh.
Xaver: Du, Engerl, hast es gemerkt, wie's der andre, der so
ausschaut wie ein General im Geschichtsbuch — weißt, im Helden¬
zeitalter — hast es gemerkt, wie's der dem Herrn Präzeptor ge¬
geben hat?
Engelbrecht: Ja, Xaverl, aber laß ihn und ihn schlafen.
Daß wir für die kleine Weile wenigstens Ruhe haben — und, Xaverl,
weißt Du, es muß doch was da geben im Keller oder im Dach, was
auf uns wartet.
Xaver: Was zum Erlösen. Aber, Engerl, ich will nicht mehr
so recht daran glauben. Das ist schon der zehnte Tag, daß wir unter¬
wegs sind, und noch immer nichts.
Engelbrecht: Sie sind ja immer hinter uns her und wollen
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diesmal vom wiener Nachwuchs anzuzeigen ist: „Die Milchbrüder von
Oscar Maurus Fontana. Der singt nicht Hofmannsthals staunendes
Klagelied, er treibt keine Schnitzlersche Seelenanalyse — und er hat
doch das ganze sanfte Staunen, die lässig träumende Verspieltheit des
Wieners im Blut. Aber mit einem wunderschönen, heitern Lächeln
entschließt sich Fontana, das Spiel zu spielen, das Staunen zu ge¬
nießen, den Traum schön zu finden, und er schreibt eine Komödie.
Ein ganz leichtes, helles, liebes Spiel von zwei Jungen, die in die
Welt fahren. Der Graf Engelbrecht und sein Milchbruder Xaver
werden mit einem sehr würdigen militärischen Erzieher auf die Reise
geschickt; aber sie brennen ihm durch, sie wollen das Leben auf eigene
Hand, ohne dazwischengeschalteie Buchgelehrtheit kennen lernen. Zu¬
sammen erobern sich die beiden drolligen Kerle eine kleine Schau¬
spielerin zur Reisegefährtin, zusammen reißen sie sich von ihr wieder
mannhaft los, um unter Leitung eines listigen alten Hochstaplers, der
sich an sie geheftet hat, weiter in die Welt zu fahren. Alles tun sie
zusammen, diese zwei kleinen Lebendsdurstigen, und das gibt all ihrem
Tun eine so rührend drollige Unschuld — bis schließlich der Bürger¬
liche der Brüder mit der Frau des Hochstaplers (die eigentlich den
Gräflichen in ihre Netze locken sollte) in eine denn doch ausgesprochen
individuelle Beziehung tritt. Er geht mit ihr auf und davon, und der
zurückgebliebene junge Graf wird darüber zum selbständigen Men¬
schen, der seine offiziellen und inoffiziellen Erzieher gleich kräftig
abzuschütteln vermag. Man könnte sich vielleicht den ernsthaften Sinn,
der in der Blutsverschiedenheit und der entsprechend verschiedenen
Selbsterziehung der beiden Freunde liegt, stärker hervorleuchtend
wünschen, aber man vergißt alles gern in der Freude über die ent¬
zückenden Blütenguirlanden, die Einfall um Einfall, Satz um Satz sich
durch diese fünf Komödienakte winden. Ein junger Künstler, der mit
zwei voraufgehenden Arbeiten noch recht unsicher zwischen allerlei
fremd Angefühltem und eigen Gewolltem umhertappte, fand an die¬
sem glücklichen Stoff mit eins den eigenen reinen Ton. Wenn dies
Blühen, Schwellen, Wuchern der Bilder, dies jede Wirklichkeit über¬
stürmende Phantasieren aller Gestalten an Herbert Eulenberg er¬
innert, so ist es doch weniger Nachahmung als Blutsverwandtschaft.
Denn Fontana hat doch garnichts von der blutdürstigen nervösen Wild¬
heit des Rheinländers und nichts von seiner pathetischen, herausfor¬
dernden Pose. Ein Zug liebenswürdigster Versöhnlichkeit liegt in all
dieser Schwärmerei — der Tropfen wiener Dialekt, der in die kühn¬
sten Metaphern gegossen wird, macht alles so erdennah, so vertraulich.
Dämonie ist nicht in dieser Dichtung, aber doch Seele, die Seele eines
wienerischen Romantikers. Dies Stück, das im Kostüm unsrer Tage
gespielt werden darf, und das doch ganz und gar ein Märchenstück ist,
weil die Lebensliebe junger Seelen überall die Welt zu ihrem Abbild
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wandelt — dies Stück erinnert an Waldmüller und an Schwind, an
Raimund und an den Komödiendichter Grillparzer, und, wenn man
ganz hoch greifen will, sogar an den Meister Mozart. Die beklommene
Weltbewunderung der Hofmannsthal und Schnitzler ist wieder in ein
reines Spiel der Weltfreude gelöst: unsre bettelarme Komödienbühne
hat an diesen „Milchbrüdern eine Heiterkeit von lebendigster Anmut
gewonnen — und das ist und bleibt wohl das Beste, was die Wiener
uns andern Deutschen zu geben haben.
Die Milchbrüder
von Oscar Maurus Fontana
ine Komödie, die Bab in dieser Nummer bespricht. Die folgende
,Szene bildet den Schluß des ersten Aktes.
Schauplatz ist der Speisesaal im Hotel einer kleinen, auch
als Sommerfrische dienenden Stadt. Graf Engelbrecht und sein
Milchbruder Xaver haben mit ihrem militärischen Mentor und dem
hochstapelnden „General de la Casa, der sich ihnen absichtsvoll attachiert
hat, sittsam zu Mittag gespeist, während am Nachbartische Schauspieler
des Stadt= und Kurtheaters (darunter Line Krüger) ihr sehr geräuschvolles
Wesen trieben. Die Kellner, sind mit ihren Arbeiten fertig und ver¬
lassen den Speisesaal. Der bleibt eine Zeit lang leer. Die Vor¬
frühlingssonne bescheint ihn. Pause. Dann kommen von rechts, zuerst
vorsichtig hereinlugend, dann keck hereinstürmend, nach Bubenart sich
an den Händen fassend, Engelbrecht und Xaver.
Xaver: Du, da ists leer.
Engelbrecht: Mutterseelenallein sind wir da, und niemand
kann uns jetzt was sagen.
Xaver: Ja, er schläft, tief und fest, Engerl. Und man kanns
draußen hören.
Engelbrecht: Laß ihn schlafen, er braucht seine Ruh.
Xaver: Du, Engerl, hast es gemerkt, wie's der andre, der so
ausschaut wie ein General im Geschichtsbuch — weißt, im Helden¬
zeitalter — hast es gemerkt, wie's der dem Herrn Präzeptor ge¬
geben hat?
Engelbrecht: Ja, Xaverl, aber laß ihn und ihn schlafen.
Daß wir für die kleine Weile wenigstens Ruhe haben — und, Xaverl,
weißt Du, es muß doch was da geben im Keller oder im Dach, was
auf uns wartet.
Xaver: Was zum Erlösen. Aber, Engerl, ich will nicht mehr
so recht daran glauben. Das ist schon der zehnte Tag, daß wir unter¬
wegs sind, und noch immer nichts.
Engelbrecht: Sie sind ja immer hinter uns her und wollen
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