VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Julius Bab Schaubühne, Seite 4

2. Cuttings
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Die Schaubühne
den Dichter. Gerhart Hauptmanns Kunst hat in diesen fünfzehn Jahren
weder neue Inhalte noch neue Formen gefunden.
Von dieser ganzen Generation hat eigentlich nur ein einziger eine
starke nach aufwärts führende Entwicklung durchgemacht: Arthur Schnitzler.
Die Inhalte seiner Kunst sind gewaltig aufgewachsen; von sentimalen
Liebeleien ist er zu den großen tiefbesondern Lebenskämpfen der
modernen Seele gekommen. Er hat sehr starke, szenisch vollendete
Werke geschaffen — aber: eine eigne, neue Form ist ihm nicht erwachsen.
Von einem Schnitzlerschen Stil kann man nicht reden. (Eher noch von
einem Hauptmannschen — obschon dieser als ein undramatischer Dramen¬
stil eben etwas Halbes, Brüchiges ist!) „Schnitzlerisch“ sind im künstlerisch
formalen Sinne eigentlich nur jene kleinen keck gaukelnden Dialoge
(„Anatol“, „Reigen") ——
sie werden deshalb vielleicht auch seine
größern Werke überleben; für die Entwicklung unsers dramatischen Stils
freilich bieten sie so gut wie nichts. Schnitzlers stärkste und eigenste Werke
wandeln doch alle in überkommenen Formen daher; nicht unfrei auf¬
genommene Formen (wie oft bei Hauptmann) — Schnitzlerisch gefärbt,
organisch umgestaltet sind sie stets. Aber ein neuer selbständiger fort¬
zeugender Stil kündigt sich dennoch nirgends an. Ist es das weiche Wesen
des Wieneriums, das hier wieder einmal die letzten entscheidenden
Schroffen der Individualität umbiegt? Auch von diesem reichsten, tiefsten
Talent der jetzt dominierenden Generation scheint nichts zu erhoffen für
die Enwicklung eines neuen deutschen Dramas großen Stils.
Wir sind am Ende unsrer Schau über die Kämpen von 1890.
Nicht gern begannen wir mit einer Klage
— aber es ziemte sich
wohl, ehe wir nach neuen Helfern ausschauen, zu prüfen, was die
ältern, länger bemühten uns noch versprechen mögen. Mir scheint, daß
es fast nichts sei. Und nun gilt es sich umtun.
In dem Jahrzehnt, das seit dem ziemlich geschlossenen Auftreten der
eben gemusterten Schar vergangen ist, sind nur zwei deutsche Autoren lite¬
rarischen Ranges auf der Bühne neu erschienen. Zwei völlig verschiedne —
zwei aber, die wirklich Wege zu einer innerlichen Erneuerung des
dramatischen Stiles weisen. Völlig geschiedne Wege — aber auf beiden
scheint in der Tat die jüngste, jetzt eben auftretende Generation im
Vormarsch zu sein. Diese beiden Autoren haben beide das neue Drama
noch nicht geschaffen — und ob es ihnen gelingen wird, ist mehr denn
fraglich. Aber sie gehen Wege, auf denen ihnen der dramatische Nachwuchs
nachdrängt. Mit Recht, denn diese Wege können zum Ziele führen.
Die beiden Bahner so völlig geschiedner Wege heißen: Hugo von
Hofmannsthal und Frank Wedekind.
Julius Bab.