VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Julius Bab Schaubühne, Seite 3

2. Cuttings
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Die Schaubühne
fürchterlicher Ohnmacht wieder und wieder — qualvoll und quälend —
poetische Fruchtbarkeit vortäuschen wollen.
Viele bleiben also nicht aus der großen Schar der Talente, die man vor
einem halben Menschenalter frohlockend begrüßte. Aber immerhin eiliche.
Da ist Johannes Schlaf, dessen wenig gekannte Dramen zu dem
künstlerisch Reinsten und Feinsten gehören, was seine ganze Generation
für die Bühne geschaffen hat. In der subtilen, tiefbohrenden Psychologie
dieser Dichtungen stecken Werte, die in der Entwicklung des deutschen
Dramas vielleicht noch einmal fruchtbar sein werden. Schlaf selbst
freilich entbehrt zu sehr des eigentlich theatralischen Instinkts, des drama¬
tischen Temperaments, um in dieser Entwicklung selbst eine starke Rolle
spielen zu können.
Und dann: Gerhart Hauptmann. Daß er die kulturell, vielleicht
auch künstlerisch bedeutsamste Erscheinung seiner Generation ist, mag
leicht wahr sein. Aber immer mehr einigen sich in der Erkenntnis, daß
er kein Dramatiker großen Stils ist und — obschon nicht ohne hohe
szenische Talente — im Grunde überhaupt kein Dramatiker. Die eigent¬
liche Lebenskraft des Dramas, die geistige Dialektik blieb ihm fremd:
den Kampf der großen gleichgewachsnen Lebensmächte, der wie eine
Geisterschlachi über dem äußern Geschehen jedes Dramas ausgefochten
wird, er kennt ihn nicht. Ohne innern Dialog sind, im tiefsten Sinne
des Wortes, all seine Dramen. Monologisch, lyrisch sind sie: nicht an¬
geschaut mit dem ruhig gerechten Blick des großen Kampfordners —
das ist der wahre Dramatiker, — — nein, fiebrisch ergriffen mit der
leidenschaftlichen Parteinahme, dem heißen Mitgefühl eines Beteiligten.
Wo diese Lyrik am größten, am ergreifendsten wird — im „Florian
Geyer“ — da ist Hauptmann auch von allem innerlich oder äußerlich
Dramatischen am weitesten entfernt. Und doch war dort sein Höhepunkt.
Wo er danach ernst und ehrlich seine Scholle bestellte, kleine Schicksale
ergriffen abspiegelte („Fuhrmann Henschel“, „Rose Bernd“), da erhob er sich
in nichts über den Stil seiner Frühzeit. Wo ihn die Sehnsucht nach
Größerm trieb — welche Unselbständigkeit enthüllte sich da! Von dem
Stilpotpourri der „Versunknen Glocke“ wollen wir schweigen — aber
waren nicht „Schluck und Jau“ in allen großgewollten Partien hülflos
gegängelt von Shakespeares und teilweise selbst von des jungen
Hofmannsthals Vorbild? Bringt nicht kraftlose Ibsennachahmung den
trotz seiner starken Schluß=Lyrik völlig verbognen „Michael Kramer“ fast
an die Grenze des Parodistischen? Und welch trübes Versagen in dem
so ernsten, so inbrünstigen Ringen des „Armen Heinrich“ um einen
stärkern dramatischen Stil! Wer will noch immer hoffen und glauben,
daß dieser ewig Suchende, Tastende finden werde? Die geistige Macht,
die aus den Erschütterungen des Lebens die bewegenden Kräfte erkennt
und zum Kampfspiel des Dramas anordnet, sie fehlt diesem nur fühlen¬