VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Marcell Salzer, Seite 1


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1. Panphlets offnrints

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ie sollst du mich befragen“), mit dem dritten Takte des ersten Abendmahlspruches
(Schmerzensmotiv) aus „Parsifal“ und dem II. Autzuge von Kistlers Kunihild zusammen¬
hielt. Man wird das Theim (C. F. G. As kennen. Die ersten vier Takte zum Schluss¬
satz der Jupiter-Symphonie Mozarts finden sich in Bachs „wohltemporiertem Klaviert.
Was stände auch nicht alles in diesem Werke! Als Wagner an seinem „Parsifal“
arbeitete, verriet, so erzühlte Kistler, ein Freund des Meisters seinen Kollegen mit
Entzücken eine neue kühne Harmonienverbindung: Fis-dur, Dmoll, Edur, Emoll. Man#
denke: Fis-dur in der fünften Lage, Dmoll in der achten, — und dann die Sequenz! —
„Unerhört!“ schrien die Antiwagnerianer. Und doch stehen Alter, Stand, Wohnort und
Herkunft dieser „unerhörten“ Harmonieverbindung in Sebastian Bachs genanntem Werke:
Wagner:
Bach:

—#
S—

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A
Das war für die Wagnerianer neu, für die Antiwagnerianer recht fatal; aber es liess sich
nun einmal nicht ändern.
(Fortsetzung folgt.)

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Litterarischer Teil.


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S
Jung-Wien.
Tine der imponierendsten und originellsten Persönlichkeiten der heutigen Wiener
1 Litteratur, der Hauptführer der frisch aufgeblühten Dichtergeneration ist Hermann
Bahr. Er nennt sich selbst einen problematischen Künstler und lässt sich weniger als
irgend einer seiner Kollegen mit ein paar dürren Worten charakterisieren. Er möge
daher für sich selbst reden.
„Ich bin problematisch“ — meint er — „weil man mir eine gewisse Geltung nicht
leugnen kann, die doch meinen Werken nicht gebührt, weil ich zwischen Gunst, Hass
und Eifersucht schwanke, und weil schliesslich nicht meine Arbeit, sondern die Thaten
von anderen meine Stellung, meinen Ruhm entscheiden werden. Es ist möglich, dass
ich ein ausserordentliches, aber vorderhand ist es nur gewiss, dass ich ein unordentliches
Talent bin. So sieht man keine Gewähr meiner Zukunft, welche vielmehr in fremden
Händen scheint.
„Man höre einmal, wie von mir gesprochen wird. Es wird sehr viel von mir ge¬
sprochen, mehr als sonst von irgend einem „Jungen“. Aber es ist seltsam, wie es ge¬
schicht. Selbst Feinde rühmen meine Begabung, aber nicht einmal die Freunde rühmen
meine Werke. Jeder gesteht, dass ich etwas bin, aber niemand weiss, wie ich das
eigentlich verdiene. Keiner zweifelt an mir, aber alle sind durch die übliche Frage ver¬
legen: Also was soll man denn von ihm lesen: Und ich bekenne: ich bin es heimlich
selber oft. Ich habe ja in der That kein Buch, kein Stück, wo die anderen mich fänden,
wie ich bin, und ich habe nur eines, woich wenigstens mich finde und ich mir wenigstens
genüge: „die Mutter“. — Ich schweife nicht ins Grosse. Ich bin kein Stürmer und Dränger
zum Himmel, Ich suche geflissentlich vielmehr das Geringe gern: leise, kleine, kaum
vernehmliche Gefühle, schwanke Stimmungen der Nerven, die entwischen, feine, flüchtige
und rasche Noten, die verhuschen.“ —
*) Nach der charakterisierenden Einleitung Marcell Salzers bei seiner Vorlesung von Dichtungen
moderner Wiener Autoren, gehalten am 20. Nov. 1800 in der „Litterarischen Gesellschaft“ zu Leipzig.
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