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1. Panphlets offbrints
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Ein ander Mal spricht er von seinen Werken also: „Man mag an ihren Gedanken
kritteln, die sie selten aus der Tiefe holen, nur um den schönen Schein von seltener und
gesuchter Feinheit bekümmert. Man mag an ihren Gefühlen zweiteln, die gerne ironisch
selber nicht an sich glauben und immer ein spöttisches Schwänzchen tragen. Man mag
—
auf ihre Wahl der Mittel schmähen, die sich oft geflissentlich für Hindernisss und Ge¬
fahren entscheidet. Aber gerade jener letzte und unaussprechliche Rest, der allein erst
die künstlerischen Weihen giebt, jene letzte und unsägliche Marke der Kunst kann man
ihnen nicht leugnen. Sie ist an jedem Satze, in den aus wunderlichen Vergleichen oft
geborgten Worten, in der Suche fremder und bizarr gewundener Schnörkel, um den
Duft der heimlichsten Nuancen zu gewinnen. Sie ist unverkennbar. Ja, man könnte sie
beschuldigen, jede andere Sorge und Rücksicht zu verdrängen und moralische Bedenken
gern dem ästhetischen Nutzen zu opfern. Sie denkt nur immer an sich, und Unbill gegen
den Stoff, Verletzung der Sitte, ja des Geschmacks sogar, wird ihr leicht, wenn sie sich
nur selber glückt.
Ich glaube, das stimmt alles nicht, und die klugen Formeln, die man an mir ver¬
suchte, als: der „Philosoph der Moderne“ oder, wie Neumann Hofer gesagt hat, der „Mann
von Ubermorgen“, welcher, nach Maximilian Harden, „immer in der Zukunft lebt, in der
Temperatur des übernächsten Tages“, können mich doch keine treffen. Man sieht das
wesentliche nicht. Man wird durch Posen betrogen, welche ich liebe, um die guten
Leute zu verblüffen, épater les bourgeois, wie man in meinem Quartier Pigalle sagt, oder
wohl auch aus eitler Prahlerei, neugierig, wie viel sie sich denn eigentlich von einem
Talente gefallen lassen, und vielleicht auch einfach aus Reklame. Man vergisst, dass ich
in einem Punkte anders als die anderen und für mich bin. Die anderen stellen ihre
Natur auf eine einzige Note, und auf diese Note allein stellen sie ihr Werk; sie von allen
Mischungen zu scheiden, frei und unverhohlen zu gestalten, wirksam zu erschöpfen ist
ihr Trieb. Aber mich treibt es, die Fülle der Noten, den Schwall und Strudel ihrer
gischenden Flut, ihren bunten Sturm zu formen; nicht eine einzelne reizt mich, sondern
das Flirren und Flackern ihrer bewegten Menge nur, wie sie sich berstend streifen,
stossen und reiben; in den Grund will ich keiner dringen, aber die ganze Fläche dieser
breiten Zeit möchte ich fassen, den vollen Taumel aller Wallungen auf den Nerven und
Sinnen. Das ist mein Verhängnis.“
Es sind kaum 6 Jahre her, dass Hermann Bahr in der „freien Bühne“ auf Loris
(Hugo von Hofmannsthal) verwiesen. Eine Revue, die sich „Moderne Rundschau“ nannte,
bald aber an der Apathie der damaligen Wiener zu Grunde ging, hatte einen kleinen
Einakter gebracht, der in den Kreisen der Kenner nicht kalt liess. Man fühlte einen neuen
Klang und fühlte einen neuen Inhalt, dem die Intimsten bisher nur in abstrakt philo¬
sophischen Studien begegnet waren. Dieses Dramolet, das immer noch mehr Raisonne¬
ment als Gestaltung war, führte den Titel „Gestern“. Es war zwar so eigentlich eine
Legitimation zu späteren Thaten, aber es enthüllte doch schon die ganze Art des Hof¬
mannsthalschen Gestaltens, das dem weisen, scheuen, wesenlosen Worte holder ist als
der greifbar geformten Plastik, und das — im Grunde genommen — mit der Gestaltungs¬
weise Peter Altenbergs, Arthur Schnitzlers usw., wohl auch Hermann Bahrs, einige Ver¬
wandtschaft hat. Auf „Gestern“ folgten die lyrisch - dramatischen Dichtungen „Tizians
Tod“ und „Thor und Tod“ und kleinere Gedichte, Hymnen, Bekenntnisse, Reflexionen,
die zum Teil in den „Blättern für die Kunst“ ihre Stelle fanden.
Es ist auch nicht allzu lange her, dass man in Wien nur mit eigenartigem Lächeln
von dem HerrnDoctor medicinae Arthur Schnitzler sprach, dem schönen blonden Sohne
des bekannten Professors. Er soll „auch dichten“ — hiess es. Und man erklärte, dass
dieser schreibende Herr wahrscheinlich unter den Arzten ein guter Dichter, unter den
Dichtern ein guter Arzt sei. Und als man vor 2 Jahren Herrn Fuldas „Kameraden“ am
Deutschen Volkstheater aufführte, durfte ein Wiener Komödiant den müden Décadent
des Stückes in der Maske des Schnitzler spielen — und alle kicherten einander vergnügt
zu. Das ist heute anders geworden. Arthur Schnitzlers „Liebelei“ hat überall eine starke
und ehrliche Wirkung erzielt, und über den Dichter, dessen Namen vorher nur ein paar
Tische in den Litteratur-Kaffeehäusern kannten, werden heute Essays geschrieben. Und
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1. Panphlets offbrints
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Ein ander Mal spricht er von seinen Werken also: „Man mag an ihren Gedanken
kritteln, die sie selten aus der Tiefe holen, nur um den schönen Schein von seltener und
gesuchter Feinheit bekümmert. Man mag an ihren Gefühlen zweiteln, die gerne ironisch
selber nicht an sich glauben und immer ein spöttisches Schwänzchen tragen. Man mag
—
auf ihre Wahl der Mittel schmähen, die sich oft geflissentlich für Hindernisss und Ge¬
fahren entscheidet. Aber gerade jener letzte und unaussprechliche Rest, der allein erst
die künstlerischen Weihen giebt, jene letzte und unsägliche Marke der Kunst kann man
ihnen nicht leugnen. Sie ist an jedem Satze, in den aus wunderlichen Vergleichen oft
geborgten Worten, in der Suche fremder und bizarr gewundener Schnörkel, um den
Duft der heimlichsten Nuancen zu gewinnen. Sie ist unverkennbar. Ja, man könnte sie
beschuldigen, jede andere Sorge und Rücksicht zu verdrängen und moralische Bedenken
gern dem ästhetischen Nutzen zu opfern. Sie denkt nur immer an sich, und Unbill gegen
den Stoff, Verletzung der Sitte, ja des Geschmacks sogar, wird ihr leicht, wenn sie sich
nur selber glückt.
Ich glaube, das stimmt alles nicht, und die klugen Formeln, die man an mir ver¬
suchte, als: der „Philosoph der Moderne“ oder, wie Neumann Hofer gesagt hat, der „Mann
von Ubermorgen“, welcher, nach Maximilian Harden, „immer in der Zukunft lebt, in der
Temperatur des übernächsten Tages“, können mich doch keine treffen. Man sieht das
wesentliche nicht. Man wird durch Posen betrogen, welche ich liebe, um die guten
Leute zu verblüffen, épater les bourgeois, wie man in meinem Quartier Pigalle sagt, oder
wohl auch aus eitler Prahlerei, neugierig, wie viel sie sich denn eigentlich von einem
Talente gefallen lassen, und vielleicht auch einfach aus Reklame. Man vergisst, dass ich
in einem Punkte anders als die anderen und für mich bin. Die anderen stellen ihre
Natur auf eine einzige Note, und auf diese Note allein stellen sie ihr Werk; sie von allen
Mischungen zu scheiden, frei und unverhohlen zu gestalten, wirksam zu erschöpfen ist
ihr Trieb. Aber mich treibt es, die Fülle der Noten, den Schwall und Strudel ihrer
gischenden Flut, ihren bunten Sturm zu formen; nicht eine einzelne reizt mich, sondern
das Flirren und Flackern ihrer bewegten Menge nur, wie sie sich berstend streifen,
stossen und reiben; in den Grund will ich keiner dringen, aber die ganze Fläche dieser
breiten Zeit möchte ich fassen, den vollen Taumel aller Wallungen auf den Nerven und
Sinnen. Das ist mein Verhängnis.“
Es sind kaum 6 Jahre her, dass Hermann Bahr in der „freien Bühne“ auf Loris
(Hugo von Hofmannsthal) verwiesen. Eine Revue, die sich „Moderne Rundschau“ nannte,
bald aber an der Apathie der damaligen Wiener zu Grunde ging, hatte einen kleinen
Einakter gebracht, der in den Kreisen der Kenner nicht kalt liess. Man fühlte einen neuen
Klang und fühlte einen neuen Inhalt, dem die Intimsten bisher nur in abstrakt philo¬
sophischen Studien begegnet waren. Dieses Dramolet, das immer noch mehr Raisonne¬
ment als Gestaltung war, führte den Titel „Gestern“. Es war zwar so eigentlich eine
Legitimation zu späteren Thaten, aber es enthüllte doch schon die ganze Art des Hof¬
mannsthalschen Gestaltens, das dem weisen, scheuen, wesenlosen Worte holder ist als
der greifbar geformten Plastik, und das — im Grunde genommen — mit der Gestaltungs¬
weise Peter Altenbergs, Arthur Schnitzlers usw., wohl auch Hermann Bahrs, einige Ver¬
wandtschaft hat. Auf „Gestern“ folgten die lyrisch - dramatischen Dichtungen „Tizians
Tod“ und „Thor und Tod“ und kleinere Gedichte, Hymnen, Bekenntnisse, Reflexionen,
die zum Teil in den „Blättern für die Kunst“ ihre Stelle fanden.
Es ist auch nicht allzu lange her, dass man in Wien nur mit eigenartigem Lächeln
von dem HerrnDoctor medicinae Arthur Schnitzler sprach, dem schönen blonden Sohne
des bekannten Professors. Er soll „auch dichten“ — hiess es. Und man erklärte, dass
dieser schreibende Herr wahrscheinlich unter den Arzten ein guter Dichter, unter den
Dichtern ein guter Arzt sei. Und als man vor 2 Jahren Herrn Fuldas „Kameraden“ am
Deutschen Volkstheater aufführte, durfte ein Wiener Komödiant den müden Décadent
des Stückes in der Maske des Schnitzler spielen — und alle kicherten einander vergnügt
zu. Das ist heute anders geworden. Arthur Schnitzlers „Liebelei“ hat überall eine starke
und ehrliche Wirkung erzielt, und über den Dichter, dessen Namen vorher nur ein paar
Tische in den Litteratur-Kaffeehäusern kannten, werden heute Essays geschrieben. Und
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