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PamOffbrin
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Mar Lorenz. Moderne Titlerakurskrömungen.
Denn unsre Wonnen oder unsre Pein
nimmt an all unsern Handlungen viel mehr teil, als
Hat mit der ihren nur das Wort gemein ...
vor zwei oder drei Jahrhunderten. Man könnte sagen,
Und liegen wir in tiefem Schlaf befangen,
daß wir uns einer geistigen Epoche nähern.“ So spricht
So gleicht der unsre ihrem Schlafe nicht:
er sich in einem der Aufsätze aus, die er unter dem Ge¬
Da schlafen Purpurklüten, goldne Schlangen,
Da schläft ein Berg, in dem Titanen hämmern —
samttitel „Der Schatz der Armen“ veröffentlicht hat. Von
Sie aber schlafen, wie die Austern dämmern. —
seinen Dramen, die in deutscher Uebersetzung vorliegen,
Darum umgeben Gitter, hohe, schlanke.
sind für das Verständnis seines Wesens am meisten charak¬
Den Garten, den der Meister ließ erbauen,
teristisch „Pellas und Melisande“ und die beiden Einakter
Darum durch üppig blumendes Geranke
„Der „Einschleicher" und „Die Blinden“. Ich halte das
Soll man das Außen ahnen mehr als schauen.
letzte Werkchen für die zugleich zarteste und tiefste Dichtung
Man hat hier in Berlin versucht — und auch in
dieses bezaubernden Poeten. Auf der Bühne haben seine
Wien — zwei der Hofmannsthalschen Dramen für die
Werke bisher, wenigstens in Berlin und Leipzig, ihre Wir¬
Bühne zu gewinnen: „Die Hochzeit der Sobeide“ und den
kung versagt. Doch will die hier zum Herbst neu zu er¬
„Abenteurer“. Sie versagten aber in der Wirkung auf
öffnende „Sezessionsbühne“ mit den Versuchen fortfahren
das Publikum. Bei der Lektüre indes erweist sich „Die
und unter anderm auch Maeterlincks neuestes, bisher erst
Hochzeit der Sobeide“ als ein Werk von feinem Reiz und
in einer Kunstzeitschrift veröffentlichtes Werkchen „Schwester
zarter Anmut. Bei dieser Wiener Gruppe muß auch Arthur
Veatrix“ zur Darstellung bringen.
Schnitzler genannt werden, der an Formbegabung hinter
Es ist sehr merkwürdig, mit welcher Regelmäßigkeit
Hofmannsthal zurücksteht, ihn aber durch tiefere Weltauf¬
sich oft geistige Entwickelungsprozesse vollziehen. Wir haben
fassung, reifere Lebenskenntnis und kraftvollere Männlich¬
in Deutschland, im Land der europäischen Mitte, den Klas¬
keit bei weitem überragt, so daß auf ihn als dramatischen
siker des Naturalismus hervorgebracht. Im Norden, dem
Dichter die besten Hoffnungen zu setzen sind. Als Ver¬
Land des Meeres und der Nebel, wirken nun Maeterlinck
fasser des „Grünen Kakadu“ und des „Paracelsus“ hat er
und über ihm noch der als Mystiker doch auch nicht zu
der deutschen Bühne neben Sudermanns „Fritzchen“ die
verachtende Ibsen und überwinden den Naturalismus.
besten Einakter geschenkt. —
Weiter im Süden von uns, im sybaritischen Wien, geht
Zu solchen Gegensätzen also hat sich schließlich die mo¬
man wiederum auf Wiener Art über den Naturalismus
derne Litteraturentwickelung zugespitzt, daß auf der einen
Seite der Mysticismus uns in den Abgründen des Lebens er¬
Diese Wiener Art ist warm und heiter leicht und
schauern und dieses Leben als ein ungekanntes, unfaßbares
anmutig. Das Grausige und Mystische liebt man hier
Schreckgespenst empfinden läßt, während auf der andern
nicht. Sowohl den Abgründen des Mysticismus wie dem
Seite die neue Romantik des heiteren Wienertums mit
Harten des Naturalismus entzieht man sich hier. Man
dem Leben nur ihr Spiel treibt, sich seinem Ernst entzieht
stürzt sich nicht ins Leben, sondern man entzieht sich ihm,
und an dessen Stelle die erträumten Schönheiten der
birgt sich vor ihm hinter goldenem Gitter. Und man zieht
Phantasie setzt. Sollte es dazwischen nicht einen Mittel¬
die Nahrung seiner Seele nicht aus dem oft ein bißchen
weg geben und sollte der nicht von nöten sein? Wir
harten Stoff des Lebens, sondern aus den Werken der
möchten wohl, gerade im Interesse der Gesundheit und
Kunst. Diese Künstler sind, als ob sie immer in Palästen
Kraft unsres Volkes, eine Kunst haben, die sich dem Leben
lebten, zwischen Wänden, die mit kostbaren Gemälden be¬
nicht entzieht und die vor ihm auch nicht als vor einem
hangen sind, als ob ihr Fuß nur auf weichsten Teppichen
schrecklichen Geheimnis erschauert, sondern die es in seinen
wandelte. Es ist raffinierte Luxuskunst, künstliche Kunst,
Höhen und Tiefen durchmißt und in allen seinen Erschei¬
Kunst aus der Kunst gezogen und nicht aus dem Leben.
nungen mit überlegener Kraft zu gestalten wagt. Solch
Der für diese Richtung am meisten charakteristische Künstler
eine Kunst eines wahrhaften Realismus wird doch immer
ist Hugo von Hofmannsthal. Seine Dichtung ist von der
die beste und unvergänglichste sein. Von den modernen
berückenden Anmut eines Knaben, der sein Leben im Spiel,
Dichtern unsrer Tage könnte man wohl am ehesten drei
nicht im Kampf vollbringt. Und in dem Knabenhaften
als solche Realisten bezeichnen. Im Roman dürfen wir
dieser künstlerischen Erscheinung wird auch nichts dadurch
Theodor Fontane nennen, der allerdings schon den Toten
geändert, daß Herr von Hofmannsthal in geschmackloser
angehört, aber durch seine Werke doch noch in wunderbarer
Koketterie sich in Ulanenuniform hat photographieren
Frische und Modernität unter uns lebt. In der Dramatik
und in die Fenster zur Schau stellen lassen. Zur Kenn¬
haben wir Sudermann, der in seinen „Reiherfedern“ einen
zeichnung der Lebensanschauung, aber auch des berücken¬
Höhenflug unternommen hat, in dem ihm eine seichte Kritik
den Formtalents dieses Dichters seien ein paar Verse aus
und ein verflachtes Publikum nicht folgen konnten. Als
einem dramatischen Fragment, „Der Tod des Tizian“
Lyriker endlich darf Lilieneron nicht vergessen werden,
hergesetzt:
der mit soldatischer Kraft und mit der Tiefe und Fülle
Siehst du die Stadt, wie jetzt sie drüben ruht?
einer Seele, der nichts Menschliches fremd ist, das Leben
Gehüllt in Duft und goldne Abendglut,
an tausend Enden anpackt und es überall als schön und
Und rosig helles Gelb und helles Grau,
lebenswert empfindet. Aus früheren Tagen aber ragt über
Zu ihren Füßen schwarzer Schatten Blau,
alle andern hinaus eine Gestalt noch ins kommende Jahr¬
In Schönheit lockend, feuchtverklärter Reinheit.
hundert hinein: Goethe, dieser Größte aller Realisten, der
Allein in diesem Duft, dem ahnungsvollen,
wie kein andrer Geist und Natur als eine untrennbare
Da wohnt die Häßlichkeit und die Gemeinheit,
Und bei den Tieren wohnen dort die Tollen...
Einheit kraftvoll empfunden hat. Unter dem Stern seines
Und was die Ferne weise dir verhüllt,
Namens wird noch auf lange, lange Zeit hinaus das Geistes¬
Ist ekelhaft und trüb und schal erfüllt
leben und die Kunstentwickelung kommender Geschlechter
Von Wesen, die die Schönheit nicht erkennen
stehen.
Und ihre Welt mit unsren Worten nennen ...
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PamOffbrin
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Mar Lorenz. Moderne Titlerakurskrömungen.
Denn unsre Wonnen oder unsre Pein
nimmt an all unsern Handlungen viel mehr teil, als
Hat mit der ihren nur das Wort gemein ...
vor zwei oder drei Jahrhunderten. Man könnte sagen,
Und liegen wir in tiefem Schlaf befangen,
daß wir uns einer geistigen Epoche nähern.“ So spricht
So gleicht der unsre ihrem Schlafe nicht:
er sich in einem der Aufsätze aus, die er unter dem Ge¬
Da schlafen Purpurklüten, goldne Schlangen,
Da schläft ein Berg, in dem Titanen hämmern —
samttitel „Der Schatz der Armen“ veröffentlicht hat. Von
Sie aber schlafen, wie die Austern dämmern. —
seinen Dramen, die in deutscher Uebersetzung vorliegen,
Darum umgeben Gitter, hohe, schlanke.
sind für das Verständnis seines Wesens am meisten charak¬
Den Garten, den der Meister ließ erbauen,
teristisch „Pellas und Melisande“ und die beiden Einakter
Darum durch üppig blumendes Geranke
„Der „Einschleicher" und „Die Blinden“. Ich halte das
Soll man das Außen ahnen mehr als schauen.
letzte Werkchen für die zugleich zarteste und tiefste Dichtung
Man hat hier in Berlin versucht — und auch in
dieses bezaubernden Poeten. Auf der Bühne haben seine
Wien — zwei der Hofmannsthalschen Dramen für die
Werke bisher, wenigstens in Berlin und Leipzig, ihre Wir¬
Bühne zu gewinnen: „Die Hochzeit der Sobeide“ und den
kung versagt. Doch will die hier zum Herbst neu zu er¬
„Abenteurer“. Sie versagten aber in der Wirkung auf
öffnende „Sezessionsbühne“ mit den Versuchen fortfahren
das Publikum. Bei der Lektüre indes erweist sich „Die
und unter anderm auch Maeterlincks neuestes, bisher erst
Hochzeit der Sobeide“ als ein Werk von feinem Reiz und
in einer Kunstzeitschrift veröffentlichtes Werkchen „Schwester
zarter Anmut. Bei dieser Wiener Gruppe muß auch Arthur
Veatrix“ zur Darstellung bringen.
Schnitzler genannt werden, der an Formbegabung hinter
Es ist sehr merkwürdig, mit welcher Regelmäßigkeit
Hofmannsthal zurücksteht, ihn aber durch tiefere Weltauf¬
sich oft geistige Entwickelungsprozesse vollziehen. Wir haben
fassung, reifere Lebenskenntnis und kraftvollere Männlich¬
in Deutschland, im Land der europäischen Mitte, den Klas¬
keit bei weitem überragt, so daß auf ihn als dramatischen
siker des Naturalismus hervorgebracht. Im Norden, dem
Dichter die besten Hoffnungen zu setzen sind. Als Ver¬
Land des Meeres und der Nebel, wirken nun Maeterlinck
fasser des „Grünen Kakadu“ und des „Paracelsus“ hat er
und über ihm noch der als Mystiker doch auch nicht zu
der deutschen Bühne neben Sudermanns „Fritzchen“ die
verachtende Ibsen und überwinden den Naturalismus.
besten Einakter geschenkt. —
Weiter im Süden von uns, im sybaritischen Wien, geht
Zu solchen Gegensätzen also hat sich schließlich die mo¬
man wiederum auf Wiener Art über den Naturalismus
derne Litteraturentwickelung zugespitzt, daß auf der einen
Seite der Mysticismus uns in den Abgründen des Lebens er¬
Diese Wiener Art ist warm und heiter leicht und
schauern und dieses Leben als ein ungekanntes, unfaßbares
anmutig. Das Grausige und Mystische liebt man hier
Schreckgespenst empfinden läßt, während auf der andern
nicht. Sowohl den Abgründen des Mysticismus wie dem
Seite die neue Romantik des heiteren Wienertums mit
Harten des Naturalismus entzieht man sich hier. Man
dem Leben nur ihr Spiel treibt, sich seinem Ernst entzieht
stürzt sich nicht ins Leben, sondern man entzieht sich ihm,
und an dessen Stelle die erträumten Schönheiten der
birgt sich vor ihm hinter goldenem Gitter. Und man zieht
Phantasie setzt. Sollte es dazwischen nicht einen Mittel¬
die Nahrung seiner Seele nicht aus dem oft ein bißchen
weg geben und sollte der nicht von nöten sein? Wir
harten Stoff des Lebens, sondern aus den Werken der
möchten wohl, gerade im Interesse der Gesundheit und
Kunst. Diese Künstler sind, als ob sie immer in Palästen
Kraft unsres Volkes, eine Kunst haben, die sich dem Leben
lebten, zwischen Wänden, die mit kostbaren Gemälden be¬
nicht entzieht und die vor ihm auch nicht als vor einem
hangen sind, als ob ihr Fuß nur auf weichsten Teppichen
schrecklichen Geheimnis erschauert, sondern die es in seinen
wandelte. Es ist raffinierte Luxuskunst, künstliche Kunst,
Höhen und Tiefen durchmißt und in allen seinen Erschei¬
Kunst aus der Kunst gezogen und nicht aus dem Leben.
nungen mit überlegener Kraft zu gestalten wagt. Solch
Der für diese Richtung am meisten charakteristische Künstler
eine Kunst eines wahrhaften Realismus wird doch immer
ist Hugo von Hofmannsthal. Seine Dichtung ist von der
die beste und unvergänglichste sein. Von den modernen
berückenden Anmut eines Knaben, der sein Leben im Spiel,
Dichtern unsrer Tage könnte man wohl am ehesten drei
nicht im Kampf vollbringt. Und in dem Knabenhaften
als solche Realisten bezeichnen. Im Roman dürfen wir
dieser künstlerischen Erscheinung wird auch nichts dadurch
Theodor Fontane nennen, der allerdings schon den Toten
geändert, daß Herr von Hofmannsthal in geschmackloser
angehört, aber durch seine Werke doch noch in wunderbarer
Koketterie sich in Ulanenuniform hat photographieren
Frische und Modernität unter uns lebt. In der Dramatik
und in die Fenster zur Schau stellen lassen. Zur Kenn¬
haben wir Sudermann, der in seinen „Reiherfedern“ einen
zeichnung der Lebensanschauung, aber auch des berücken¬
Höhenflug unternommen hat, in dem ihm eine seichte Kritik
den Formtalents dieses Dichters seien ein paar Verse aus
und ein verflachtes Publikum nicht folgen konnten. Als
einem dramatischen Fragment, „Der Tod des Tizian“
Lyriker endlich darf Lilieneron nicht vergessen werden,
hergesetzt:
der mit soldatischer Kraft und mit der Tiefe und Fülle
Siehst du die Stadt, wie jetzt sie drüben ruht?
einer Seele, der nichts Menschliches fremd ist, das Leben
Gehüllt in Duft und goldne Abendglut,
an tausend Enden anpackt und es überall als schön und
Und rosig helles Gelb und helles Grau,
lebenswert empfindet. Aus früheren Tagen aber ragt über
Zu ihren Füßen schwarzer Schatten Blau,
alle andern hinaus eine Gestalt noch ins kommende Jahr¬
In Schönheit lockend, feuchtverklärter Reinheit.
hundert hinein: Goethe, dieser Größte aller Realisten, der
Allein in diesem Duft, dem ahnungsvollen,
wie kein andrer Geist und Natur als eine untrennbare
Da wohnt die Häßlichkeit und die Gemeinheit,
Und bei den Tieren wohnen dort die Tollen...
Einheit kraftvoll empfunden hat. Unter dem Stern seines
Und was die Ferne weise dir verhüllt,
Namens wird noch auf lange, lange Zeit hinaus das Geistes¬
Ist ekelhaft und trüb und schal erfüllt
leben und die Kunstentwickelung kommender Geschlechter
Von Wesen, die die Schönheit nicht erkennen
stehen.
Und ihre Welt mit unsren Worten nennen ...