VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Norbert Jacques, Seite 3


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1. Panphlets Offorints
Wagners, wie sie im Postsparkassengebäudekraftvoll erstand, hat diese Geschmack¬
vollen wild gemacht. Und Loos hat mit seinem Gebäude am Kohlmarkt
gar so viel humorvolles Temperament bei der Gemeindeverwaltung gefunden,
daß sie beschloß, sein Haus mit Staatsgewalt zu „schmücken“.
Wenn wir die kunstgeschichtlichen Demonstrationen der berühmten Ring¬
straße überschritten haben, so dringen wir bald in die verwirrten Viertel der
Proletarier ein, wo das niedrige, alte österreichische Landhaus, das mit seiner
Verschlossenheit gegen die Straße aus dem Orient gekommen sein mag, noch
manchmal kleinmütig zu den Zinsburgen des zwanzigsten Jahrhunderts
aufblickt. Die hier wohnen, fahren nicht mit dem berühmten Fiaker, von
dem man nie erfahren kann, was man schuldig ist, sondern der Hunger beißt
sie, wie das auch andern Orts der Brauch ist. Dann schwindet die Wiener
Gemütlichkeit. Als nun die Leute, die nicht nötig haben, einen Fiaker nach
seiner Taxe zu fragen, die Lebensmittelpreise so in die Höhe trieben, daß in
den Küchen dieser Leute Fleisch so selten wurde, wie die Kultur des Geschmacks
in Wien, da lehnten sich die Getroffenen auf. Sie zogen in mächtigen Massen
protestierend durch die Straßen, und einige bewarfen sogar ihre geliebten
Deutschmeister mit Steinen. Sie wurden alsbald schwer bestraft. Aber
unter ihnen war ein Mann, der hatte wohl den Anlauf zur Empörung ge¬
funden, aber da der Affekt ausging, brach er zusammen und nahm sich vor
seiner Verurteilung das Leben, weil er Angst vor der Strafe des Richters
hatte. So ist in Wien immer ein Regatives hinter einem Positiven auf der
Lauer. Jeder Aufschwung kehrt sich unversehens in einen Rückschlag. Die
schöne Stiefschwester mit dem unverläßlichen Blut des Fremden!
Aber wie gesagt: wir wohnten draußen in dem schönen Wiener Wald, der
wie ein Tanz, sinnlich und heiter, um einen geht. Wien kam nur wie ein
Ausklang bis zu uns heran. Die paar direkten Berührungen waren nicht
erhebend, aber auch nicht heftig. Es lebte, wie es lebte, mit objektiver Optik
beschaut: deutsch und orientalisch, humorvoll und brutal, echt und bastard¬
blütig. Doch da fuhren wir einmal abends hinein und gingen ins Burg¬
theater, den Medardus von Schnitzler zu schauen. Und das wurde auf einmal
der zusammenschmelzende Kristall dieser zerflatterten Wiener Eindrücke. Da
lebte die Farbigkeit seiner Volksseele auf und tummelte sich in einer Flut von
Geschehnissen, die eine erregte Zeit brachte. Hier stand das Positive, das
schwanger an seiner eigenen Verneinung war. Es war blumicht dichterisch
und seherisch ernst. Hier sahen wir durch schöne Bühnenbilder das Blut
dieses Volkes fließen. Liebenswürdig traurig und versagend in seiner Masse,
erhob es sich in melancholischem und verhängnisvollem Glanz in einem
einzelnen Schicksal bis zum lyrischen Aufbegehren heimlicher Seelenkraft,
die an der Wirklichkeit absprang. Sie schlug den Dolch in das süße neben¬
sächliche Gift, das ein Weiberherz enthielt, während für den Tyrannen, dem
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