VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Ottokar Stauf von der March Decadence II, Seite 2


PanphletsOfforints
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Décadence.
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äußere Verbummelung, Begriffsverwirrung, nebulose Weltanschauung aus,
und unsere Zeit ist eben eine Übergangsepoche par excellence. Wir nähern
Be.
uns einem neuentdeckten Weltteil. Der Tiefgang unseres Fahrzeuges ist
f von der March.
sehr bedeutend. Wir haben keine Ahnung von der Beschaffenheit des das
Land umgebenden Meerwassers. Um nun nicht der Gefahr ausgesetzt zu
sein, auf irgend eine Untiefe zu laufen, müssen wir den Ballast beseitigen.
in Mensch, ob „gebildet“ oder
Das sind die alten, von den Vätern ererbten Ideen, die indossierten
sgesetzt, daß es überhaupt noch
Wechsel der Urahnen. Einem Teile der Schiffsgenossen gilt die Hinter¬
ein Buch unseres Zeitalters
lassenschaft nichts, dem andern hingegen alles. Jene fordern die Wegschaffung
firfte dieser aus dem berühm¬
derselben, diese widersprechen. Tumult, Streit, Hin und Her der Ansichten —
te Kortum in seiner Jobsiade
Einigung unmöglich, Kampf auf Leben und Tod zwischen alter und neuer
Zeit, indes unser steuerloses Schiff mit vollen Segeln der neuen Welt zu¬
uns ein Homer, ein Pindar,
schießt, ohne Rücksicht auf Untiefen und Wasserwirbel ...
sa (Mahabharata und Rama¬
Insofern nun die Dichtung nicht etwas Abgeschlossenes, vermittelst
hakespeare gänzlich abgesehen —
starrer Dogmen Verklausuliertes ist, wie z. B. die Theologie, der eben
ele klar und verständlich; unsere
darum die Zeiteinflüsse nichts anhaben können, insofern der Dichter endlich
em Enkel nach der verhältnis¬
und schließlich doch nur ein Produkt seiner Zeit ist und vom Milieu der¬
ms nicht, oder im günstigsten
selben die mächtigsten Anregungen erhält, kann es kein Wunder nehmen,
nten mehr oder weniger sagen¬
daß das Spiegelbild ebenso zerfahren, verschwommen aussieht, wie das
Original, die Dichtung einen ebenso unbestimmten, unverständlichen Cha¬
ernen Skylla und Charybdis:
rakter aufweist, als die Zeit. Daß übrigens die Formen des rückgespiegelten
Tasten, die elementaren Aus¬
Zeitsegments vielfach karrikiert erscheinen, liegt lediglich an dem chroma¬
)darauf, fast im selben Atem¬
tischen Reflektor, der Individualität des Dichters. Man studiere in dieser
die halsbrecherische Equilibristik
Beziehung die Sturm= und Drangzeit. Mutatis mutandis dieselbe Geschichte.
enseil, und — Ende gut, alles
Leidenschaftlichkeit, Sentimentalität, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt,
neurasthenische Atmosphäre —
ganz wie unsere Décadence. Freilich die Stürmer und Dränger an der
ngemein charakteristisch für den
Schwelle das XIX. Jahrhunderts wollten leben und nicht sterben, die De¬
französischen Wortschatze machen
kadenten an der Pforte des XX. Jahrhunderts aber wollen nicht leben und
ägt: vegetiert, wird dem Littera¬
auch nicht sterben; die wollüstige Selbstmarter ist ihre Lebensparole.
eltes Buch, oder um mich hand¬
Ich liebe die hektischen bleichen
rf sein.
Narzissen mit blutrotem Mund,
Ich liebe die Qualengedanken,
in die Ferne läßt sich einerseits
Die Herzen zerstochen und wund,
mente erklären, andrerseits aber
sagt einer von ihren Chorführern (der Wiener Felix Dörmann) und schließt
ren: recht große Sensation zu
mit den, für seine Richtung bedeutungsvollen Worten:
Ich liebe alles, was krank ist. —
durch Zerfahrenheit, innere wie
In der That, sie „lieben alles, was krank ist“ Krankheitsstoffe aber
flattern zu Millionen in der Luft herum; wir brauchen nur ein paar Tage
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lbstverständlich die
Großstadtatmosphäre zu atmen, und das Vergnügen, eine Horde von Ba¬
n-de-siecle-isten,
int
D. V.
zillen im Leibe zu haben, ist ganz auf unserer Seite. Um krank zu werden,
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