VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Ottokar Stauf von der March Decadence II, Seite 3


Panphlets offorints
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Stauf von der March.
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dazu bedarf es von vornherein einer gewissen perversen Naturanlage.
Wer zum Cholerabazillus nicht inkliniert, dem schadet er nicht viel. Vom
Bazillus der Décadence gilt das gleiche. Zum Dekadenten muß man ta¬
lentiert sein, d. h. man muß seidene Nerven besitzen, die beim geringsten
Luftzug ein verwirrendes Stimmungs=Tremolo tanzen, weiter Empfänglichkeit
für duftige Farben und farbige Düfte, endlich in den Handgriffen und
Kunstpfiffen der Selbstpeinigung Routine haben. Kommt zu dem allen
noch eine rationelle oder auch unrationelle Dosis von eleganter Pose, ein
Kursus in der Akademie für höhere Schminkkunst — so ist der Dekadent
fix und fertig.
Der Entwicklungsgang eines solchen Dichters kann sich naturgemäß
niemals in aufsteigender Linie bewegen. Das süße Spiel der Nerven lähmt
die Willenskraft, die Stimmungen erdrücken die Empfindung — kurz, das
Gangliensystem prävaliert immer und überall. Die Folge ist Effemination,
Verweibsung des Geistes .. . und dagegen ist kein Kraut gewachsen ...
der Zersetzungsprozeß schreitet stetig vor. Zuletzt schlägt die Nervosität in
Tobsucht um, die freigebig verstreuten Farben und Düfte bilden ein schier
unabsehbares Tohuwabohn von blühendem Unsinn. Als Beispiel hierfür
kann Arents Gedichtsammlung „Drei Weiber“ dienen. Das Buch ist die
Endstation auf der Etappe der Décadence.*)
Für die ersten Momente ist der Eindruck, den dekadente Gedichte machen,
auch auf den nicht neurotisch=angelegten Menschen der denkbar günstigste.
Das „halbe, heimliche Empfinden“ wie der Dekadent Loris im poetischen
Vorworte zum „Anatol seines Freundes und Mitstrebenden Arthur Schnitzler
sagt, die seltsame Couleur, das weiche, einschmeichelnde Milieu reizt und zieht
ebensosehr an, als beispielsweise Chopins geisterhafte Musik. Bei schärferem
Hinhorchen aber wird einem das Morbide, Entnervende klar, das in diesen
Gedichten sein Wesen treibt und das in unbewachten Seelen destruktiv wirkt.
Gerade so wie beim Alkohol oder Rouge et noir. Die paar Züge, die
paar Spielchen schmecken, und die Aufregung während des Spieles, das
Räuschchen nach dem Trunke thun ihr übriges — — „Gewohnheit nennt
er seine Amme,“ heißt es im „Wallenstein“. Man ist dekadent, d. h. weder
„Mandl noch Weibl', wie meine Landsleute sagen.
Abgesehen von dieser verderblichen Einwirkung auf die jüngere und
jüngste Generation, ist es doch eine Thorheit, die Décadence zu bekämpfen,
*) Ich hoffe, daß mir Herr Arent diese Bezugnahme nicht als Ehrenbeleidigung
anrechnen wird (vgl. Fall Ludwigs i. J. 1891) — persönliche Gründe haben mich zu
obigem Hinweis nicht beeinflußt, was ich die „learned Thebans“ zu berücksichtigen bitte.
D. V.
Übrigens bestätigen mein Urteil fast alle Litteraturblätter.
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