VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Paul Czinner, Seite 2


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die Lippen gedrückt ... eine grün-rote Ampel brennt ... Das ist Schnitzler¬
Stimmung. Reizend ist, was viele haben möchten. Dieser Dichter gibt das Reizende.
Oft ist es nur eine kleine Feuilletonidee, die er ausführt, ein geistreicher
Einfall, Episoden („Lebendige Stunden“). Aber solche, die typisch sind, in denen sich
eine Wahrheit mannigfaltiger und tiefer spiegelt, die weitere Perspektiven eröffnen
als oft die großgehauenen, aufwühlenden Bauwerke, die mit den Steinen der letzten
Dinge errichtet sind. Hus dem wildbewegten, vorbeirauschenden Strome des Lebens
versteht er ein feines, gedankenvolles Bild festzuhalten, das nur dem Ruge eines
Dichters nicht davongleiten konnte, das nur ein Großer zu erfassen vermochte. Er
kennt seine Seele genau und sieht in ihr wie in einem Spiegel die Seelen seiner
Mitmenschen.
Liebe, Spiel und Tod. Diese drei Probleme ziehen durch alle seine Werke,
sind ihre Entstehungsmöglichkeit, ihr Anfang und ihr Ende. Liebe freilich ist ein
Wort von minderer Vieldeutigkeit, vielmehr durch Punkte und stumme Gedanken¬
striche symbolisiert, wie dies im „Reigen“ geschieht. Nicht der Traum vom einzigen
Komplement, das Wiederfinden des Ichs und die wahnsinnige, unhaltbare Sehnsucht
nach Vereinigung, die den Tod sucht und in der Agonie röchelt. Nicht der Strick,
mit dem der Satan die Menschenkinder in die Hölle zieht, nicht das unfaßbare
Mysterium, in dessen flackerndem Licht das Dasein erleuchtet und zugleich versengt
wird. Keine Überschwenglichkeiten, kein erträumtes Pathos. Ein flüchtiger Kausch,—
aus dem man wieder erwacht. Später, viel später — im „Medardus“ heißt es:
„Tollheit, Verlangen, Haß, ein wüstes Sausen aufgewühlten Bluts, das wieder ebbt.“
So spricht die schmerzzerissene Liebe des Bruders zur Liebe des Liebhabers. Fast
tut es ein wenig weh, Aber dieser spätere Satz scheint mir von früher zu stammen,
aus der Zeit des „Rnatol“ und der „Liebelei“ vielleicht, da die Liebe als ein schöner,
reizvolier Zeitvertreib erscheint, ein Spiel, an dem der zugrunde geht, der es ernst
nimmt. Darum muß Christine sterben. Das ist die Liebe bei Schnitzler: zwei Men¬
schen lernen einander kennen, küssen einander, gehen wieder weiter oder sterben.
Was dazwischen liegt ist die Tragik. Denn hinter der Liebe kauert der Tod und
wartet auf sein Opfer ... Der dunkle Vorhang, vor dem sich all diese kleinen und
großen Liebesgeschichten abspielten, das gewaltige Mysterium, dessen Nähe man
bei Schnitzler immer, auch in den humordurchstrahlten Szenen empfindet, adelt sie
und macht sie heilig.
„Komödiespielen“, das ist der andere Begriff, den der Dichter immer wieder,
in allen Biegungen und Arten konjugiert. Allerdings in des Wortes weitestem Sinn.

Nicht nur, wie im „grünen Kakadu“, wo Komödie und Wirklichkeit einander in
die Arme fallen und ausgelassener, toller Scherz in blutigen Ernst umschlägt.
„Komödie“ als Weltanschauung. Die Menschen spielen sie sich und anderen vor.
Die Tronie der Illusion. Sie leben sich in sie hinein und erwecken sie im Fremden,

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