1.
Panphlets offprints
000
nur Schnitzler vor dem „Anatol“
punkt rücken. Und wieder so viel anderes, was hier tragisch
genommen wurde, wird später mit leisem, zwischen Heiterkeit
und Weh schwankendem Lächeln angeschaut werden. Manches,
was dann das Innenleben dieses Dichters beschäftigte, erfüllte,
klopft schon hier zaghaft an die Tür.
In den Gedichten fällt eine allzu starke Anlehnung an Heinrich
Heine auf. Es sind Großstadtverse; sie äußern das zwiespältige
Gefühl, das wir alle haben. Auch im Tonfall, in der Anwendung
von Alltagsredensarten, im pointierten Schluß wird jenes große
Vorbild merkbar.
„Mein Kind, es scheint, ich bin in dich verliebt;
ich kann dir’s heut fürwahr nicht anders sagen,
denn gestern hörtest du mich selbst noch klagen,
die Welt ist schal, da ’s keine Liebe gibt.
Ja, Leidenschaften gibt’s. Begier und Neid,
das andre wird von uns dazu gelogen..
Er haßt jeden, den ihr Kleid streift, er sehnt sich nach ihren
Küssen:
„Dies, Kind, in Wahrheit ist es mein Empfinden,
nennst du es Liebe, gut, ich stell dir’s frei.
Doch daß daran was Großes, Schönes sei —
kannst höchstens du, ein dummes Mädel, finden.“
Eine Serie betitelt sich „Gedichte eines Nervösen“. Dieselbe
Tonart. Der Trübsinn entweicht beim vollen Glase. Es könnte
dann wohl den Anschein haben, als gäbe es so etwas wie Freude
auf der Welt. Trinkt man weiter, könnte man fast an Liebe
glauben.
„Dann freilich mag ich weiter trinken,
vollendet ist mein Traumgesicht;
ich mag in tiefsten Rausch versinken,
an eine Treue glaub ich nicht.“
Frühe Zweifel, frühe Desillusionierungen tauchen auf — noch
nicht in eigener Form.
Ernstere Töne werden in den Novellen angestimmt. 1880
wird: Mein Freund Ypsilon. Aus den Papieren eines Arztes ge¬
schrieben. Ein Studiosus philologiae, dem als Dichter die selbst¬
geschaffenen Gestalten zur Wirklichkeit, zur drohendsten, lebens¬
zerstörenden Realität werden. Sein Mädchen, eine holde Choristin,
kommt weinend zum Erzähler gelaufen. Der Geliebte ist ent¬
flammt für Türkisa, die schönste der Frauen, die irgendwo, von
einem Prinzen geliebt, auf einer Insel des indischen Ozeans lebt.
Türkisa muß sterben. Der Dichter kann den Lauf der Dinge, die
seine Phantasie gebar, nicht hemmen. Tage- und nächtelang
leidet er unter der Voraussicht ihres Todes. Vergebens führt man
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Arthur Schnitzler vor dem „Anatol“
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ihn ins Freie. Gesellschaft und Natur bedeuten ihm nichts;
er muß nach Hause, sein Werk zu beenden. Am Morgen findet
man ihn tot auf der Treppe. Ein Zettel sagt: „Türkisa ist tot. Alles
vorüber.“
Schon sind die ersten Anzeichen des späteren Schnitzler in
dieser Novelle: es wird an den Konflikt zwischen Phantasie und
Wirklichkeit gerührt. Es wird — vergebens — versucht, ein
Künstlerschicksal zu gestalten. Aller Lug, alle Belanglosigkeit,
alles s. nerzlich Einsame und alle lustvolle Notwendigkeit des
Künstlerlebens klingen an. Man denkt an Stephan von Sala,
an Heinrich Beermann; an „Paracelsus“, an den,Grünen Kakadu“
und an so vieles, was später das verhängnisvolle Spiel von Wirk¬
lichkeit und Phantasie wiederholt.
Zwischendurch ein kleines, graziöses Stimmungsbild:
Amerika“. Das süße Mädel taucht zum ersten Male auf. Der
Dichter betritt die Neue Welt. Er muß dabei zwangsartig in
Schmerz und Lust an das schöne Wiener Kind denken, mit dem
er einst ein loses Spiel getrieben. Sie nannten, als sie den Kuß auf
den Platz hinter dem Ohre entdeckten, diese Stelle Amerika.
Diese Erinnerung ist stärker'als das wirre Bild des Freiheitslandes
in seiner Seele. Wenn er die Augen schließt, ist der süße Duft
der Locken des Mädchens, das er so sehr geliebt und dennoch ver.
lassen hat, um ihn.
„Der Andere. Aus dem Tagebuch eines Hinterbliebenen“
gibt schon ganz den Ton jener Novellen, die sich um die „Frau des
Weisen“ gruppieren. Einem ist die heißgeliebte Frau gestorben,
er geht oft zu dem Hügel, welcher die Teure umschließt, und
überläßt sich dort seinem wilden Schmerze. Er trifft dort einmal
einen jungen, schönen Mann, der beim Grabe kniet. Wer ist das?
Ein Liebhaber oder nur ein heimlicher Verehrer? Nie wird er es
wissen. Die Toten schweigen .. . Er verbringt Wochen der
unsäglichsten Qual, des fürchterlichsten Zweifels. War sie,
die in seinen Armen schluchzend lag, eine Treulose? Wer kann
es wissen? Nie wird er diese entsetzliche Ungewißheit über¬
winden. Tausend martervolle Bilder malt seine erregte Phantasie
ihm vor.
Das Verhältnis der Geschlechter, wie es sich in den späteren
Werken dieses Seelentiefbohrers spiegelt, ist in seinen Grund¬
linien hier schon vorgezeichnet. Keine Brücke geht von einem
Menschen zum andern. „Keiner kann keinem Gefährte hier sein.“
Einsam ist zuletzt jeder. Wer weiß etwas von seinen Liebsten?
Ein Blick, das Aussprechen seines Namens, ein Lächeln im Traume
kann Qualen erregen, die nur das Geständnis der Untreue einiger¬
maßen lindern kann. Alle späteren Motive klingen hier schon an
Panphlets offprints
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nur Schnitzler vor dem „Anatol“
punkt rücken. Und wieder so viel anderes, was hier tragisch
genommen wurde, wird später mit leisem, zwischen Heiterkeit
und Weh schwankendem Lächeln angeschaut werden. Manches,
was dann das Innenleben dieses Dichters beschäftigte, erfüllte,
klopft schon hier zaghaft an die Tür.
In den Gedichten fällt eine allzu starke Anlehnung an Heinrich
Heine auf. Es sind Großstadtverse; sie äußern das zwiespältige
Gefühl, das wir alle haben. Auch im Tonfall, in der Anwendung
von Alltagsredensarten, im pointierten Schluß wird jenes große
Vorbild merkbar.
„Mein Kind, es scheint, ich bin in dich verliebt;
ich kann dir’s heut fürwahr nicht anders sagen,
denn gestern hörtest du mich selbst noch klagen,
die Welt ist schal, da ’s keine Liebe gibt.
Ja, Leidenschaften gibt’s. Begier und Neid,
das andre wird von uns dazu gelogen..
Er haßt jeden, den ihr Kleid streift, er sehnt sich nach ihren
Küssen:
„Dies, Kind, in Wahrheit ist es mein Empfinden,
nennst du es Liebe, gut, ich stell dir’s frei.
Doch daß daran was Großes, Schönes sei —
kannst höchstens du, ein dummes Mädel, finden.“
Eine Serie betitelt sich „Gedichte eines Nervösen“. Dieselbe
Tonart. Der Trübsinn entweicht beim vollen Glase. Es könnte
dann wohl den Anschein haben, als gäbe es so etwas wie Freude
auf der Welt. Trinkt man weiter, könnte man fast an Liebe
glauben.
„Dann freilich mag ich weiter trinken,
vollendet ist mein Traumgesicht;
ich mag in tiefsten Rausch versinken,
an eine Treue glaub ich nicht.“
Frühe Zweifel, frühe Desillusionierungen tauchen auf — noch
nicht in eigener Form.
Ernstere Töne werden in den Novellen angestimmt. 1880
wird: Mein Freund Ypsilon. Aus den Papieren eines Arztes ge¬
schrieben. Ein Studiosus philologiae, dem als Dichter die selbst¬
geschaffenen Gestalten zur Wirklichkeit, zur drohendsten, lebens¬
zerstörenden Realität werden. Sein Mädchen, eine holde Choristin,
kommt weinend zum Erzähler gelaufen. Der Geliebte ist ent¬
flammt für Türkisa, die schönste der Frauen, die irgendwo, von
einem Prinzen geliebt, auf einer Insel des indischen Ozeans lebt.
Türkisa muß sterben. Der Dichter kann den Lauf der Dinge, die
seine Phantasie gebar, nicht hemmen. Tage- und nächtelang
leidet er unter der Voraussicht ihres Todes. Vergebens führt man
box 36/7
Arthur Schnitzler vor dem „Anatol“
001
ihn ins Freie. Gesellschaft und Natur bedeuten ihm nichts;
er muß nach Hause, sein Werk zu beenden. Am Morgen findet
man ihn tot auf der Treppe. Ein Zettel sagt: „Türkisa ist tot. Alles
vorüber.“
Schon sind die ersten Anzeichen des späteren Schnitzler in
dieser Novelle: es wird an den Konflikt zwischen Phantasie und
Wirklichkeit gerührt. Es wird — vergebens — versucht, ein
Künstlerschicksal zu gestalten. Aller Lug, alle Belanglosigkeit,
alles s. nerzlich Einsame und alle lustvolle Notwendigkeit des
Künstlerlebens klingen an. Man denkt an Stephan von Sala,
an Heinrich Beermann; an „Paracelsus“, an den,Grünen Kakadu“
und an so vieles, was später das verhängnisvolle Spiel von Wirk¬
lichkeit und Phantasie wiederholt.
Zwischendurch ein kleines, graziöses Stimmungsbild:
Amerika“. Das süße Mädel taucht zum ersten Male auf. Der
Dichter betritt die Neue Welt. Er muß dabei zwangsartig in
Schmerz und Lust an das schöne Wiener Kind denken, mit dem
er einst ein loses Spiel getrieben. Sie nannten, als sie den Kuß auf
den Platz hinter dem Ohre entdeckten, diese Stelle Amerika.
Diese Erinnerung ist stärker'als das wirre Bild des Freiheitslandes
in seiner Seele. Wenn er die Augen schließt, ist der süße Duft
der Locken des Mädchens, das er so sehr geliebt und dennoch ver.
lassen hat, um ihn.
„Der Andere. Aus dem Tagebuch eines Hinterbliebenen“
gibt schon ganz den Ton jener Novellen, die sich um die „Frau des
Weisen“ gruppieren. Einem ist die heißgeliebte Frau gestorben,
er geht oft zu dem Hügel, welcher die Teure umschließt, und
überläßt sich dort seinem wilden Schmerze. Er trifft dort einmal
einen jungen, schönen Mann, der beim Grabe kniet. Wer ist das?
Ein Liebhaber oder nur ein heimlicher Verehrer? Nie wird er es
wissen. Die Toten schweigen .. . Er verbringt Wochen der
unsäglichsten Qual, des fürchterlichsten Zweifels. War sie,
die in seinen Armen schluchzend lag, eine Treulose? Wer kann
es wissen? Nie wird er diese entsetzliche Ungewißheit über¬
winden. Tausend martervolle Bilder malt seine erregte Phantasie
ihm vor.
Das Verhältnis der Geschlechter, wie es sich in den späteren
Werken dieses Seelentiefbohrers spiegelt, ist in seinen Grund¬
linien hier schon vorgezeichnet. Keine Brücke geht von einem
Menschen zum andern. „Keiner kann keinem Gefährte hier sein.“
Einsam ist zuletzt jeder. Wer weiß etwas von seinen Liebsten?
Ein Blick, das Aussprechen seines Namens, ein Lächeln im Traume
kann Qualen erregen, die nur das Geständnis der Untreue einiger¬
maßen lindern kann. Alle späteren Motive klingen hier schon an