VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Reik Schnitzler vor dem Anatol, Seite 3

1. Panphlets offprints box 36/7
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Arthur Schnitzler vor dem „Anatol“
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Arthur Schnitzler vor dem „Anatol“

jenem Bilde, der Frau mit dem Dolche. Die Hypnose, die Para¬
und klingen zusammen in dem einen: Und die Treue, sie ist doch
ein leerer Wahn..
zelsus an den Frauen ausführt, läßt ähnliche Möglichkeiten er¬
stehen. Sie werden hier im Traum emporgehoben, nehmen
Am bedeutendsten erscheint mir von diesen frühen Versuchen
Gestalt an, bestimmen das fernere Leben des einzelnen. Der
das dramatische Gedicht „Alkandis Lied (180o). Wieder ist es ein
Traum hat alle Tore der Seele aufgerissen.
Künstlerschicksal, das Schnitzler hier gestaltet.
Die Königin Maja bekränzt die Büste des verehrten toten
Es fließen ineinander Traum und Wachen,
Sängers Alkandi. Der Musikus Irsil, der heimlich sie liebt, sieht
Wahrheit und Lüge. Sicherheit ist nirgends.
es mit Neid und Schmerz. Er hat des Sängers letztes Lied ge¬
Wir wissen nichts von andern, nichts von uns;
funden und bringt es der Herrscherin. Sie wollen es zusammen
Wir spielen immer; wer es weiß, ist klug.“
spielen.
Assad ist auf den Schatten eines Toten eifersüchtig. Doch
Auch König Assad soll Zeuge dieser Probe sein. Er will vor
auch Filippo Loschi verstößt die Geliebte eines Traumes wegen.
der Türe lauschen. Bald läßt er sich auf einen Diwan nieder und
Er weiß:
schlummert allmählich ein. Im Traume sieht er seine Frau vor
Träume sind Begierden ohne Mut,
Alkandis Büste knien. In Wut und Eifersucht zertrümmert er
Sind freche Wünsche, die das Licht des Tages
des Dichters Bild und schwört, sein Andenken in seinen Ländern
Zurückjagt in die Winkel unsrer Seele,
zu vertilgen. Doch Maja spricht höhnisch (im Traume):
Daraus sie erst bei Nacht zu kriechen wagen.“
„Tu immerhin, was dich der Wahnsinn heißt,
Die neuere Psychologie hat aufgedeckt, welche Regungen
Ohnmächtig bleibst du vor Alkandis Geist
der Traum verbirgt, sie hat gezeigt, wie in ihm alle affektbetonten,
Und kommt dir irgendwo auf deinen Wegen
im Unbewußten lagernden Komplexe des Träumers zum Durch¬
Im Traum versunken ein Poet entgegen,
bruche kommen. Arthur Schnitzler ist diesen Forschungen auf¬
So denk', daß stumm durch seine Seele zieht,
merksam und verständnisvoll gefolgt. Der psychische Mechanis¬
Was du nicht töten kannst, Alkandis Lied.“
mus des Traumes steht dem der Dichtung nahe: Unbewußtes
Assad zieht durch sein Reich, um unerkannt die Ausführung
wird auch hier verarbeitet, verdichtet, gespalten. Sollte man es
seiner Befehle zu überwachen. Nach langem Wandern kehrt er
nicht versuchen dürfen, hier die psychoanalytische Methode,
triumphierend heim. Die Königin tritt ihm verlegen entgegen.
die angewandte Seelenkunde an der Arbeit zu zeigen?
Sollte noch das Bild des anderen in ihrer Seele lebendig sein?
Der seelische Inhalt dieses frühen Dramas weist manches auf,
Sie verweigert ihm den Eintritt in ihr Schlafzimmer. Er zer¬
das im „Schleier der Beatrice“ verarbeiteter, komplizierter wieder
trümmert die Tür und sieht sich Irsil gegenüber.
auftaucht. Dort ein Herzog und ein Sänger, hier ein König und
„So bin ich einem Schatten nachgejagt,
ein Dichter. In ihrer Mitte ein schönes Weib, schwankend, zu
Bin wie ein Narr im Land umhergezogen.
dem einen und dem andern hingezogen. Der Dichter ist hier
Den toten Meister hab’ ich angeklagt
längst gestorben und wird trotzdem geliebt, doch wird er geliebt
Lebend’ger Stümper nur hat mich betrogen.“
und stirbt. Assad steht ohnmächtig dem Ruhm seines Neben¬
Das Volk eilt in Massen heran. Assad zeigt das Paar dem
buhlers gegenüber. Das Lied wird ewig bestehen. Ebenso erkennt
Volke vom Erker und stürzt Irsil von der Brüstung. Der König
der Herzog im Renaissancestück:
erwacht aus diesem schrecklichen Traume, als Maja und Isril
An diesen, der hier liegt,
eintreten, die ihr Lied beendet haben. Allmählich erst findet er
Kann deine Rache nicht heran,
sich zurecht. Die Köngin lobt begeistert Irsils Spiel. Da erwacht
So wenig als mein Zorn.—
in Assad der Argwohn, den der Traum ihm plastisch bestätigt hat.
Ein Lied von dem, verweht’s der Zufall nicht —
Er verbannt den Sänger durch einen ehrenvollen Auftrag vom
Ist ew’ger als der kühnste uns’rer Siege,
Hofe.
Der wieder nur Vergängliches erringt.“
Wunderbar spielt Bewußtes und Unbewußtes in diesem Ein¬
Der König und der Herzog gewinnen nur halb den Sieg.
akter ineinander. Die Seele, die ein weites Land ist, hat viele
Die Männer der Tat behalten nicht recht gegen den Dichter.
Möglichkeiten im Traum und Wachen gezeigt. Pauline erlebt
Denn sein Reich ist nicht von dieser Welt.
ähnlich ein Menschenleben durch, in einer Augenblicksvision vor
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