VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Reik Schnitzler vor dem Anatol, Seite 4

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chnitzler vor dem „Anatol“
Deutsche Schiffahrt
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Doch tiefer gilt es zu schauen: im König Assad sind Gefühle
sich bei Schnitzler dieses Motiv; es wurde nur verborgener, ver¬
lebendig, die auch der Dichter teilt. Eifersucht auf die Vergangen¬
arbeiteter seit „Alkandis Lied“. Doch es wurde auch stärker.
heit und die Zukunft, alles Quälende des Besitzes e es geliebten
Denn man wird älter und erkennt, wie unlöslich man ###t dem
Wesens. Auch er ist in seinem Wahn und seiner Wahrheit des
Vater durch Ahnlichkeit und Gegensatz verbunden ist. Man
Dichters Ebenbild. Und doch ist er noch Anderes, Entgegen¬
denkt mehr an seinen Verlust, welcher für das Leben des einzelnen
stehendes. Verborgen-Menschliches wird hier verhandelt, das
von der einschneidendsten Bedeutung ist. Und aus Söhnen werden
über Dichter und König hinausgeht. Das infantile Denken, aus
Väter. Es ist kein Zufall, daß Michael Hofreiter in Schnitzlers
dem Dichtung und Traum ihre tiefsten unbewußten Kräfte
letztem Stück — nachdem die Vergänglichkeit aller irdischen
schöpfen, stellt Vater und Herrscher in eine Reihe. Der König ist
Beziehungen ans Licht getreten — dem Sohn als der letzten,
nur ein potenzierter Vater, er ist eine Analogie in höierer Region.
der stärksten Hoffnung entgegeneilt.
Der Herrscher im „Schleier der Beatrice“ und in „Alkandis Lied“
Während man einen sanften Hügel bei Pötzleinsdorf nach¬
weist manchen tyrannischen und manchen liebenswerten Zug
denklich hinabgeht, klingen alle Motive wieder, die in diesen
auf. In beiden Dramen steht der jüngere Dichter dem Herrscher
Jugendversuchen zuerst sich regten. Umgeben vom Duft der
im Kampf um ein Weib entgegen: die typische kindliche Ein¬
Wiesen, fühlt man, während man im Gedanken Schnitzlers Werke
stellung zum Elternpaar taucht hinter der Fassade empor. Die
durcheilt, wieviel er uns gegeben. Man fühlt erst jetzt, wie lieb
Stellung des Kindes zum Vater ist eine „ambivalente“: er ist
man ihn hat. Denn wir jungen Österreicher lieben ihn anders als
zugleich Gegenstand der Ehrfurcht und des Zweifels, der innigsten
sonst ein Publikum einen großen Dichter. Mit einer innigeren,
Liebe und der heimlichen Eifersucht im Kampfe um die Neigung
dankbareren Liebe: wie einen älteren, wohlvertrauten Freund.
der Mutter. Denn ihr gilt die erste, unbewußte sexuelle Regung
Er hat soviel ausgesprochen, was wir stündlich fühlen. Er hat
des Kindes bei uns allen.
unsere Freuden und unsere. Schmerzen, unseren Zweifel, unsere
Bewußt war vielleicht nur der Gegensatz von König und
Wirrnisse gestaltet; das, worüber wir lächeln und worüber wir
Sänger, vom Mann der Tat und Mann des Träumens. Doch un¬
weinen möchten, — wenn wir nicht gar so vernünftig, so skeptisch,
bewußt stellt der Dichter den Konflikt der eigenen Kinderzeit dar.
so analysierend wären.
Im Traume und in der Dichtung kommen ja die geheimsten
Triebfedern unseres Seelenlebens verkleidet an die Oberfläche.

Und da erringt der Dichter trotz allem Untergang doch den Sieg
über den so geliebten und beneideten Vater: er trotzt der Ver¬
gänglichkeit, die jenem droht; er wird länger, er wird ewig leben.
Hier liegt die Wunscherfüllung, die Traum und Dichtung immer
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verborgen enthalten.
1. New York—Emden
Aus zwei entgegengesetzten, psychischen Strömungen resul¬
Am 16. Juni war eine Sitzung des Bundesrats im Reichstags¬
tierende, ambivalente Einstellung des Kindes zum Vater in ihrem
gebäude zu Berlin. Und Herr Schmaje Birnbaum in Boganowo, Gouverne¬
unbewußten Wirken.
ment Piotrkow, Russisch-Polen, hat es sich keinesfalls träumen lassen, daß
Daß dasselbe Verhältnis in vielen Werken des Dichters eine
sein Schicksal, oder ein Teil seines Schicksals in dieser hohen Körper¬
Rolle spielt, beweist ein Blick. Man erinnere sich: wie Professor
schaft zur Debatte stand. Viele Umstände sprachen sogar dafür, daß Herr
Losatti („Vermächtnis“) in den Beziehungen zu seinem Sohne
Birnbaum, Korbflechter seines Zeichens, und Vater von sieben Kindern,
von dem Vorhandensein wie von der Kompetenz jenes Organs der deutschen
geschildert wird; wie der Dichter Heinrich in den „Lebendigen
Reichsregierung nur mangelhafte Vorstellungen besaß. Dasselbe wäre
Stunden“ dem Geliebten der Mutter entgegentritt. An das denk¬
von Herrn Ladislaus Prml, zu Kicz im Lande Böhmen, Holzschnitzer
würdige Gespräch, das Felix mit seinem Vater Julian Fichtner
von Beruf, sowie etwa auch von dem rumänischen Ackerknechte Pali
führt: „Ihr Sohn.. Es ist nichts als ein Wort. Es klingt ins Leere.
Virmonec aus Tesconi bei Moinescu zu sagen. Obgleich auch diese beiden
Sie sind mir fremder geworden, seit ich es weiß.“ An den Vater¬
von den Verhandlungen sowohl wie von dem Beschluß des Bundesrats
mord im ,Ruf des Lebens“; an die Entschleierung eines Familien¬
nahe genug betroffen wurden. Denn nach dem amerikanischen Ein¬
tages in „Komtesse Mizzi“; an manches tiefe, doppelbodige Wort
wanderungsgesetz, dieser menschenfreundlichen „immigration bill“ ist
im „Weg ins Freie“. In allen möglichen Verkleidungen wiederholt
es keineswegs gleichgültig, ob man mit 8o oder mit roo Dollar in der