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PanheOfThrints
Seltsam ist in seinen Stücken, je reifer sie werden, das Verzichten auf
äußere Handlung und das ausschließliche Herausarbeiten der inneren. Die
Geschehnisse im Realen, die Zusammenstöße des Körperlichen, die Ereig¬
nisse des Alltags kümmern ihn immer weniger; nur ihr Reflex im Seeli¬
schen. Das andre, die „dramatischen“ Vorgänge, die großen Szenen und
Explosionen sind ihm unwichtig geworden; er erledigt sie nebenbei, verlegt
sie am liebsten in den Zwischenakt. Was er wirklich in seinem Drama
zeigt, sind die inneren Handlungen, das Ausschwingen der sichtbaren
Eindrücke und ihr Umsetzen in seelisches Tun und Erleiden. Die Stillstände
auf der Drehbühne des Lebens.
Nein, die Etiketten stimmen nicht. „Das Spiel von Leben und Tof“
nein; das Problem des Todes hat er eigentlich nie so recht angepackN
mehr das der Todesangst und ihrer Rückwirkungen. Der „Wiener Dichter““
aber er hat immer nur ein Segment dei Wiener Gesellschaft geschildert;
niemals das Proletariat, niemals die breiten Kreise der Bürgerlichkeit, und
er wird sofort befangen, wenn er einen Aristokraten hinstellen soll. Sein
Segment ist das der begüterten jüdischen und Sportsgesellschaft; hie und da
tritt eine Gestalt aus der künstlerischen Bohème hinzu. Ob seine Menschen
wirklich Wiener Menschen sind und nicht nur in dem anmutlich nachlässigen
Ton des gebildeten Wienertums reden, wird nicht ganz leicht zu entscheiden
sein. Daß sie trotzdem so wirken, ist sicher; aber vielleicht liegt das an dem
Zauber der Landschaft, in die sie der Dichter hineingestellt hat und die
keiner vor ihm mit gleicher Farbigkeit, mit gleich unvergeßlichem Reiz und
mit gleicher Kraft der Anschauung gemalt hat. Die Wienerwaldgegenden im
„Weg ins Freie“ muß jeder sofort erkennen, der das Buch gelesen hat und
dann erst zum ersten Male diese Landschaft sieht.
Die Jugend hat immer recht. Auch die Jugend von heute. Vor allem
darin, daß sie Schnitzler liebt. Denn seine Art und sein Werk sind ein
Dokument unserer Rasse. Die alte Kultur des Wienerischen und die noch
ältere des jüdischen sind die Elemente seines Wesens, in dem alles
Schöne und alle Mängel sich zu einer so merkwürdigen, repräsentierenden
Einheit zusammenschließen. Ein Drittes kommt dazu: ein seltsamer Hang
zum Mystischen, Rätselhaften, Wunderbaren, der besonders über seine
letzten Schöpfungen, oft verstörend, oft mit geheimnisvoll erlebnisreicher
Kraft, dunkle Schatten breitet. Die Gefahr, sich an die selbstgeschaffene
Stimmung zu verlieren, liegt in der Atmosphäre unsrer Stadt ebenso wie die
andre, in leichter Sentimentalität über sich und andre in Rührung zu ge¬
raten. Beiden Gefahren ist Schnitzler nicht immer entronnen; aber die Art,
wie er sich gegen sie gewehrt hat, ist oft so fruchtbar und anziehend
gewesen, hat so viel Erkenntnisse und Entschleierungen dunkler Seelen¬
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Seltsam ist in seinen Stücken, je reifer sie werden, das Verzichten auf
äußere Handlung und das ausschließliche Herausarbeiten der inneren. Die
Geschehnisse im Realen, die Zusammenstöße des Körperlichen, die Ereig¬
nisse des Alltags kümmern ihn immer weniger; nur ihr Reflex im Seeli¬
schen. Das andre, die „dramatischen“ Vorgänge, die großen Szenen und
Explosionen sind ihm unwichtig geworden; er erledigt sie nebenbei, verlegt
sie am liebsten in den Zwischenakt. Was er wirklich in seinem Drama
zeigt, sind die inneren Handlungen, das Ausschwingen der sichtbaren
Eindrücke und ihr Umsetzen in seelisches Tun und Erleiden. Die Stillstände
auf der Drehbühne des Lebens.
Nein, die Etiketten stimmen nicht. „Das Spiel von Leben und Tof“
nein; das Problem des Todes hat er eigentlich nie so recht angepackN
mehr das der Todesangst und ihrer Rückwirkungen. Der „Wiener Dichter““
aber er hat immer nur ein Segment dei Wiener Gesellschaft geschildert;
niemals das Proletariat, niemals die breiten Kreise der Bürgerlichkeit, und
er wird sofort befangen, wenn er einen Aristokraten hinstellen soll. Sein
Segment ist das der begüterten jüdischen und Sportsgesellschaft; hie und da
tritt eine Gestalt aus der künstlerischen Bohème hinzu. Ob seine Menschen
wirklich Wiener Menschen sind und nicht nur in dem anmutlich nachlässigen
Ton des gebildeten Wienertums reden, wird nicht ganz leicht zu entscheiden
sein. Daß sie trotzdem so wirken, ist sicher; aber vielleicht liegt das an dem
Zauber der Landschaft, in die sie der Dichter hineingestellt hat und die
keiner vor ihm mit gleicher Farbigkeit, mit gleich unvergeßlichem Reiz und
mit gleicher Kraft der Anschauung gemalt hat. Die Wienerwaldgegenden im
„Weg ins Freie“ muß jeder sofort erkennen, der das Buch gelesen hat und
dann erst zum ersten Male diese Landschaft sieht.
Die Jugend hat immer recht. Auch die Jugend von heute. Vor allem
darin, daß sie Schnitzler liebt. Denn seine Art und sein Werk sind ein
Dokument unserer Rasse. Die alte Kultur des Wienerischen und die noch
ältere des jüdischen sind die Elemente seines Wesens, in dem alles
Schöne und alle Mängel sich zu einer so merkwürdigen, repräsentierenden
Einheit zusammenschließen. Ein Drittes kommt dazu: ein seltsamer Hang
zum Mystischen, Rätselhaften, Wunderbaren, der besonders über seine
letzten Schöpfungen, oft verstörend, oft mit geheimnisvoll erlebnisreicher
Kraft, dunkle Schatten breitet. Die Gefahr, sich an die selbstgeschaffene
Stimmung zu verlieren, liegt in der Atmosphäre unsrer Stadt ebenso wie die
andre, in leichter Sentimentalität über sich und andre in Rührung zu ge¬
raten. Beiden Gefahren ist Schnitzler nicht immer entronnen; aber die Art,
wie er sich gegen sie gewehrt hat, ist oft so fruchtbar und anziehend
gewesen, hat so viel Erkenntnisse und Entschleierungen dunkler Seelen¬
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