VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Rosenthal Jungwiener, Seite 11

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Panphlets offorints
Friedrich Rosenthal, Jungwiener Novellistik.
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vom modernen Gesellschaftsmenschen nach englischem Muster abnimmt und ihr
seelisches Wesen aus dem Wienerischen bezieht, aber doch bis zu den letzten
Instinkten erweitert und in einer unbegrenzten Dämonie dargestellt. Dann folgt
hin und wieder wie als Ruhepunkt ein heiteres Ausspannen und eine Spiegelung
dieses Menschentums ins Scherzhafte, Frivole, liebenswürdig Bornierte. Ist
es nicht auch bemerkenswert, daß diese Menschen in ihrer Benennung so wörtlich
übereinstimmen und daß die Namengebung wie ja auch sonst so oft in der
Literatur nicht ohne tieferen Sinn ist. Die Männer heißen Adrian, Cossion,
Anatol, Clemens und das ist doch fast so programmatisch wie bei den
Renaissancenamen Molières. Das Milieu ist fast immer das Theater oder
zumindest spielen Menschen dieser Welt hinein und werden, besonders die
Frauen, in ihrem Beziehungen zu anderen Gesellschaftsgruppen aufgezeigt. Unter
diesen ist der adelige Kreis bevorzugt. Das merkwürdige Wesen des öster¬
reichischen Aristokraten, das von einer so lautlosen Noblesse und seelischer Ver¬
hülltheit ist und wie hinter einem Schleier zu leben scheint, lockt zur Ergründung.
Ein Frauentyous kündet sich an, der Dirne oder Dame, oder zumeist die seltsame
Mischung beider, die immer umwittert von den letzten Geheimnissen seines
Geschlechtes und den raßlosen Wünschen und Räiseln seines Triebs. Man hat
die erotische Spielerei und die ewige Sexualanalyse dieser Dichter oft genug
getadelt und spöttisch belächelt. Aber man vergesse nicht, daß diese Dinge dem
Wiener Wesen eingeboren sind und wie in der Luft liegend, im Unterbewußtsein
auch des gesellschaftlichen Verkehrs ruhen und daß die Psychoanalyse durch
ihre Reduktion alles Menschlichen auf die Sexualempfindung eine willkommene
Grundlage und Hilfe bot. Die billige Formel, „Liebe und Tod“, auf die
man Schnitzler gebracht und die auch bei den meisten andern stimmt, hat nur
insoferne ihre Berechtigung, als diese Begriffe dem Dichter in der Tat primärer
und darum wichtiger scheinen als die anderen seelischen Konfliktsmöglichkeiten.
Von hier aus baut sich auch die neue Form der historischen Novelle auf, die für
meine Empfindung in dem Wiener Kreise zum ersten Male menschlich verständlich
und ergreifend gefaßt wurde. Wie nämlich aus den kleinen alltäglichen Gefühlen
und Ereignissen der Same großer völkerbewegender Taten zur edlen oder giftigen
Frucht aufwächst, das wird hier charakteristisch und als merkwürdig gezeigt. Wie
die Kehrseite großer Ereignisse auf einmal das hausbackene, alltäglich Idyllische
oder den gemeinsamen, niedrigen Menschentrieb offenbart. So kommen Tragik
und Ironie der Weltgeschichte gleicherweise zu ihrem Recht. Auch hier sind
die dunkeln Zusammenhänge und das grell Gegensätzliche, die absolute Un¬
pathetik des Schicksals das dauernd Betonte. Eine Zeit, die nicht mehr die
unsere ist, erlaubt es doppelt, in ihrem vielfach schon erdichteten Rahmen die
Wunder und Geheimnisse des Lebens auszubreiten. So ergibt sich ein zwiefacher
Reiz: Das historische Kolorit, mit den Mitteln eines reichen, farbigen, kultioierten
Stils lebendig gemacht und wirkliche Menschen, mit unseren Augen gesehen, aber
irgendwie zeitlos gemacht und nur in ihren äußeren Lebensbedingungen in jenes
Milieu versetzt. So entsteht eine Lebenskette, die unendlich erscheint und histo¬
rische Menschen, die schon stets unsere Phantasie beschäftigt haben, werden nun
wirklich Glieder des Weltganzen. Die geschichtlich=dichterische Darstellung hat das
ihn nach aller Gewohnheil zarechi, tal einige wüchtige Schrille nach der Tür
und rief mit seiner Kommandostimme: „Herein!“
Ein junger schlanker Mann trat schüchtern ein, verneigte sich linkisch, ver¬
mochte kaum seinen Gruß zu stammeln, so aufgeregt schien er. Sein schmales
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ar auffallend blaß, die großen dunklen Augen schauten .