VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Soergel Dichtung und Dichter, Seite 2


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1. Panphlets offorints
Hermann
Gläubigen „Die Stimme“ (1916), besonders aber zu den Sammlungen von Auf¬
Bahr
sätzen in „Summula“ (1921) und „Sendung des Künstlers“. Sie werden in jener
Auswahl seiner Werke stehen, für die hermann Bahr, einst der „Jungwiener",
später „zwanzig Jahre lang der große Nothelfer der österreichischen Kunst“.
sich den Titel „Alt österreich“ gewünscht hat.
2. Arthur Schnitzler
Vergleich
Von hermann Bahr führen manche Fäden zu dem nur wenig älteren, 1862,
Schnitzlers
im Geburtsjahre der „Modernen“, geborenen Arthur Schnitzler. Witz und Reiz,
mit Bahr
Geschmack und Kunstverstand, die Lust am geistreichen Spiel, auch die Bildungs¬
und die Stimmungssphäre, aus denen seine Menschen sind, all das und manches
andere hat der ältere mit dem Jüngeren gemein. Seine Werke haben die „neue
psychologie", die Bahrs drittes Wort ist. Und sie sind auch „bewußt“; die
Menschen in ihnen sind von sich wissende Beobachter.
„In uns zog nie ein Selbstvergessen ein
und unsre Lust hat niemals uns entgeistert ...“
diese Derse aus einem Schnitzlerschen Gedichte vom Jahre 1895 sind auch auf Bahr
anwendbar. Aber nur im Anfange konnten die Charakterköpfe beider verwech¬
selt werden. Rhnitzler hat nichts von Bahrs
Schwung, Bahrs Feuer, Bahrs Begeisterung, die
heute diesem oder jenem Künstler, dieser oder
jener Lehre, dieser oder jener Ansicht oder Mei¬
nung gilt, er hat auch in der Jugend nichts von
des jungen Bahr selbstgefälliger Offenheit, die
ein wenig ärgern will — Schnitzlers Offenheit
hat einen leise bitteren Beigeschmack, auf das
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Bekenntnis kommt's ihm an, nicht auf die Wir¬
Arthur
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kung des Bekenntnisses. Er ist vorsichtiger, er ist
Schnitzler
Zeichnung von
sachlicher, er ist weicher, inniger, müder, schwer¬
B. F. dolbin
blütiger, nicht gleich heimisch wie das Anpassungs¬

genie Bahr; Schnitzler kommt aus dem gleichen
und doch aus einem anderen Land, er kommt von
anderen Studien. Als Wiener ist er daheim, als
Jude wird er das unbehagliche Gefühl des Fremd¬

seins oder des Fremdwirkens nicht ganz los. Er
hat den Zug seines Volkes zu vorsichtiger Zurück¬
haltung, mißtrauisch ist er nicht, wie Bahr, nur

gegenüber alten, auch gegenüber neuen Wahr¬
heiten; als Arzt betrachtet er vorsichtiger das
Erscheinungsbild, vor der Verwechslung der Be¬
gleiterscheinungen mit den Ursachen sicher. Bahr
irrlichteriert in seinen Frühwerken, abhängig
von literarischen Moden; ihn reizt der Ver¬
such. Schnitzler macht keine Versuche. Nicht mit der Form: so wird im Drama
bald Ibsen sein Vorbild. Nicht mit dem Inhalt: seine Werke erwachsen aus
einer Stimmungswelt. Anfangs umspielen sie mehr die Lichter feinen Spottes,
später mehr die Schatten tiefer Schwermut. Immer aber malt er in matten,
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