VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Soergel Dichtung und Dichter, Seite 6


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1. Panphlets Offorints
Arthur
Ich habe absichtlich den Gang der Entwicklung so genau gegeben. Denn dies
Schnitzler
Drama ist die Urform, in der die späteren Werke bereits enthalten sind. Zwar
ändert sich einiges: der leichte Nebenton, der auf dem Sozialen liegt, wird
schwinden; Schnitzler wird später die lauten, tönenden Worte, die hier nicht
fehlen, mehr, noch mehr meiden, er wird leiser, immer leiser werden. Er wird
aus dem künstlerischen Bedürfnis heraus, durch Neben= und Gegenhandlungen
zu erhellen, ein paar ähnliche Entwicklungen verschränken, sich nicht nur mit
einer Entwicklung begnügen. Aber eins wird bleiben: die herkunft und das
Dorbild. Die herkunft seines Dramas ist die Novelle. Sein Dorbild ist Ibsen,
wird es mehr und mehr.
Liebelei
Einfacher, schlichter als das „Märchen“ ist die „Liebelei“, Schnitzlers erster
Bühnenerfolg. Ganz „Anatol“ ist der erste Akt. Zwei junge Leute, Fritz Lob¬
heimer und Theodor Kaiser, sind im Gespräche. Theodor, frisch, leicht, lebens¬
froh, macht dem Freunde ernste Vorwürfe, er solle doch „jenes Weib“ vergessen,
jenes gefährliche Abenteuer, bei dem man immer um ihn zittern müsse. Er
solle doch seine Freude haben an dem hübschen Mädel, das seine und Fritzens
Freundin, das Mizi schon mal für ihn mitgebracht habe, an der Christine. Ein
Mädel zum Erholen nach all der Aufregung, nicht interessant, aber angenehm.
Ein Mädel aus den Kreisen, „wo es keine großen Szenen, keine Gefahren, keine
tragischen Verwicklungen“ gebe, wo „der Beginn keine besonderen Schwierigkeiten
und das Ende keine Qualen“ habe, wo man „lächelnd den ersten Kuß empfange
und mit sehr sanfter Rührung scheides. Und die Mädels kommen, Mizi und
Christine. Es wird geplauscht, gegessen, Brüderschaft getrunken, gespielt — da er¬
scheint der Mann „jener“ Frau, er bringt Fritzens Liebesbriefe, es gibt eine
erregte Aussprache, doch die Mädels haben nichts gemerkt. Aber Christine, die
Tochter des Violinspielers am Josephstädter Theater, ist anderen Schlages, als
Theodor glaubt. Sie liebelt nicht, sie liebt, sie hängt an Fritz mit der ganzen
Inbrunst ihrer ersten Liebe. Und ihr Vater gönnt ihr das Glück, noch klagt er
sich an, daß er seine Schwester zu sehr behütet habe vor allen Gefahren — vor
allem Glück. Schmerzlich nimmt Fritz am nächsten Tage Abschied, ohne sich zu ver¬
raten. Fast glaubt er, hier bei diesem süßen stillen Mädchen sei sein Glück.
Aber er sagt doch zu Theodor: „Gott, wie lügen solche Stunden!“ Drei Tage
später spielt der dritte Akt. Fritz ist im Duell gefallen, ist schon begraben. Chri¬
stine merkt, man verheimlicht ihr etwas. Sie weiß es, als Theodor schwarz
erscheint. Tot? Aber weswegen? Wegen einer Frau. — Er wußte das, als er
Abschied nahm. So war sie ihm also nichts, nur ein Zeitvertreib. Für eine andere
ist er gestorben. Er hat ihre Seligkeit nicht bemerkt, er hat fortgehen können
mit einem Lächeln, um sich für eine andere niederschießen zu lassen. Er ist be¬
graben auch ohne sie. Tränen hat der leichte, gewissenlose Theodor im Auge:
„Ich hab' das nicht geahnt.“ Christine stürzt fort, will an sein Grab. Der alte
Weirings weiß: „Sie kommt nicht wieder — sie kommt nicht wieder.“
Leise soziale Streiflichter durchhuschen die beiden ersten Dramen. In den
vermichtne
beiden nächsten, in „Freiwild“ (1896) und in dem „Vermächtnis“ (1898), werden
in der hauptsache soziale Fragen erörtert. Die Duellfrage behandelt das erste,
die Frage der ledigen Kinder und Mütter das zweite. Beides weiche Mitleids¬
stücke, aber doch ein wenig abgerückt vom Schwerpunkt der eigentlichen Schnitz¬
lerschen Welt.
grüne Kakadu
In ihr wurzeln erst wieder die drei Einakter: „Der grüne Kakadu“ — „Para¬
Paracelsus
Die Gefährtin
celsus“ — „Die Gefährtin“ (1899). Traum, Wirklichkeit, Spiel und Wahrheit
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