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1. Panphletsofforints
sen zwei, drei
Aus der lächelnden Welt des „Anatol“ führen schon die nächsten Werke in die Arthur
Gegenstand
ernstere Welt des Schauspiels und der Tragödie. In dem ersten Akt des „Mär= Schnitzler
irfnis der
chens“ wie der „Liebelei“ wird nur geplaudert: die nächsten Akte geben die An¬
änner
wendung auf einen Sonderfall oder machen hinter das Ergebnis der Plauderei
lebnis.
ein ernstes Fragezeichen. Mit einem „Jour“ bei Frau Theren beginnt das
einem
„Märchen“ (1894). Das heißt: es ist eigentlich kein rechter Jour, wie es auch
Märchen
hm
kein rechter Kreis ist, der sich bei Therens, um die Mutter und die beiden
Töchter, Klara, die Klavierlehrerin, und Fanny, die Schauspielerin, zusammen¬
findet. Es ist nicht die vornehme Welt und es ist nicht die Vorstadt. Es ver¬
kehren da eine Schauspielerin und eine, die eine werden will, es verkehren da
Studenten, ein Maler, die Schriftsteller Dr. Leo Mildner und Fedor Denner,
der Fanny liebt und wieder geliebt wird. Man kommt auf das Thema der Ge¬
fallenen: Jedor eifert gegen dies Märchen. Und doch „geniert“ es einen, meint
Leo, „ja, in irgendeinem Winkel unseres Verstandes kauern diese alten sterbens¬
müden Ideen... und nur ein hauch braucht uns anzuwehen aus dieser kindischen
Welt, die wir ja alle verachten — und schon regt es sich wieder in diesem Winkel
.. und diese alten Ideen werden wieder frech und lebendig und jung!“ Aber
Fedor widerspricht: wir sind nicht mehr „brutal“, wir sind „vorurteilslos“. Wir
machen nicht mehr jede elend, die nicht auf uns gewartet hat. An der Bewegung
Fannys, die ihm dankbar die hand küßt, merkt er, daß er nicht nur von einem
möglichen Falle gesprochen. Das ist der erste Akt.
Im zweiten ist er ein Zweifler. „Ein Narr vertraut, ein Gepeinigter mi߬
traut.“ Er ist nicht mehr groß. Alles ist ihm ungesund, tödlich: die Jugendliebe
(dieses „kindische Mißverständnis zwischen einem albernen Jungen und einem
dumpfen Triebe“), die lustigen Abenteuer, das große Abenteuer, wo wir „die
bedeutsame Abgeschmacktheit begehen, unsere Ausschweifung keusch und unsere
Erschöpfung heilig zu finden“. Er kann sich mit Vergangenem nicht abfinden.
Fanny kommt zu danken, aber Schlimmes ahnend. Ja, ihn habe ein heiliger
Zorn erfaßt gegen jene nutzlose Grausamkeit, aber er habe nicht an ihre Schuld
geglaubt. Der Fedor von neulich war ein liebenswürdiger Träumer, vielleicht
sogar ein klarer weitblickender Kopf — der wahre Fedor ist brutal, rachsüchtig,
unversöhnlich, mißtrauisch. Sie müsse ihm alles gestehen. Und sie erzählt, wie
sie als siebzehnjähriges Ding einem zum Opfer fiel, ohne Liebe, wie sie später
einer, weil er heiraten wollte, verließ. Und Fedor ordnet erklärend ein: Mysti¬
zismus zuerst, dann der Leichtsinn der Lebensfreube: was bleibe für ihn? Aber
noch weiß Fanny ihn zu beschwichtigen, sie sinken sich in die Arme (II. Akt).
Aber das alte Spiel beginnt bei Therens wieder. In seinem hause konnte er
vergessen, in ihrem nicht. Da sieht er sie gleichsam mit den früheren verkehren.
Er quält Fanny mit Spott und rohem hohne, er redet ihr zu, nur ruhig den
Antrag nach Petersburg anzunehmen. Sie will ihm zuliebe auf ihre Kunst ver¬
zichten, nur für ihn habe ihr herz Raum. Nein, meint Fedor, auch am Ende
der Welt sei sie keine andere: auch da müsse er von ihren Lippen die fremden
Küsse wegküssen, es sei kein Kuß und keine Liebe ewig genug, um die alten
Küsse und die alte Liebe auszulöschen. „Was war, ist. Das ist der tiefe Sinn
des Geschehenen ...“ Mag sein, ein Märchen ist die Erzählung von den Ge¬
fallenen. Aber... „es gibt noch ein tausendfach lügenhafteres und heimtücki¬
scheres... das Märchen von den Erhobenen“. Da läßt sie ihn — ihn, der zu eitel
ist, um in ihrer Liebe glücklich zu sein, zu feige, um an sie zu glauben, ihn, der
um nichts besser ist als sie. Sie geht nach Petersburg.
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Aus der lächelnden Welt des „Anatol“ führen schon die nächsten Werke in die Arthur
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ernstere Welt des Schauspiels und der Tragödie. In dem ersten Akt des „Mär= Schnitzler
irfnis der
chens“ wie der „Liebelei“ wird nur geplaudert: die nächsten Akte geben die An¬
änner
wendung auf einen Sonderfall oder machen hinter das Ergebnis der Plauderei
lebnis.
ein ernstes Fragezeichen. Mit einem „Jour“ bei Frau Theren beginnt das
einem
„Märchen“ (1894). Das heißt: es ist eigentlich kein rechter Jour, wie es auch
Märchen
hm
kein rechter Kreis ist, der sich bei Therens, um die Mutter und die beiden
Töchter, Klara, die Klavierlehrerin, und Fanny, die Schauspielerin, zusammen¬
findet. Es ist nicht die vornehme Welt und es ist nicht die Vorstadt. Es ver¬
kehren da eine Schauspielerin und eine, die eine werden will, es verkehren da
Studenten, ein Maler, die Schriftsteller Dr. Leo Mildner und Fedor Denner,
der Fanny liebt und wieder geliebt wird. Man kommt auf das Thema der Ge¬
fallenen: Jedor eifert gegen dies Märchen. Und doch „geniert“ es einen, meint
Leo, „ja, in irgendeinem Winkel unseres Verstandes kauern diese alten sterbens¬
müden Ideen... und nur ein hauch braucht uns anzuwehen aus dieser kindischen
Welt, die wir ja alle verachten — und schon regt es sich wieder in diesem Winkel
.. und diese alten Ideen werden wieder frech und lebendig und jung!“ Aber
Fedor widerspricht: wir sind nicht mehr „brutal“, wir sind „vorurteilslos“. Wir
machen nicht mehr jede elend, die nicht auf uns gewartet hat. An der Bewegung
Fannys, die ihm dankbar die hand küßt, merkt er, daß er nicht nur von einem
möglichen Falle gesprochen. Das ist der erste Akt.
Im zweiten ist er ein Zweifler. „Ein Narr vertraut, ein Gepeinigter mi߬
traut.“ Er ist nicht mehr groß. Alles ist ihm ungesund, tödlich: die Jugendliebe
(dieses „kindische Mißverständnis zwischen einem albernen Jungen und einem
dumpfen Triebe“), die lustigen Abenteuer, das große Abenteuer, wo wir „die
bedeutsame Abgeschmacktheit begehen, unsere Ausschweifung keusch und unsere
Erschöpfung heilig zu finden“. Er kann sich mit Vergangenem nicht abfinden.
Fanny kommt zu danken, aber Schlimmes ahnend. Ja, ihn habe ein heiliger
Zorn erfaßt gegen jene nutzlose Grausamkeit, aber er habe nicht an ihre Schuld
geglaubt. Der Fedor von neulich war ein liebenswürdiger Träumer, vielleicht
sogar ein klarer weitblickender Kopf — der wahre Fedor ist brutal, rachsüchtig,
unversöhnlich, mißtrauisch. Sie müsse ihm alles gestehen. Und sie erzählt, wie
sie als siebzehnjähriges Ding einem zum Opfer fiel, ohne Liebe, wie sie später
einer, weil er heiraten wollte, verließ. Und Fedor ordnet erklärend ein: Mysti¬
zismus zuerst, dann der Leichtsinn der Lebensfreube: was bleibe für ihn? Aber
noch weiß Fanny ihn zu beschwichtigen, sie sinken sich in die Arme (II. Akt).
Aber das alte Spiel beginnt bei Therens wieder. In seinem hause konnte er
vergessen, in ihrem nicht. Da sieht er sie gleichsam mit den früheren verkehren.
Er quält Fanny mit Spott und rohem hohne, er redet ihr zu, nur ruhig den
Antrag nach Petersburg anzunehmen. Sie will ihm zuliebe auf ihre Kunst ver¬
zichten, nur für ihn habe ihr herz Raum. Nein, meint Fedor, auch am Ende
der Welt sei sie keine andere: auch da müsse er von ihren Lippen die fremden
Küsse wegküssen, es sei kein Kuß und keine Liebe ewig genug, um die alten
Küsse und die alte Liebe auszulöschen. „Was war, ist. Das ist der tiefe Sinn
des Geschehenen ...“ Mag sein, ein Märchen ist die Erzählung von den Ge¬
fallenen. Aber... „es gibt noch ein tausendfach lügenhafteres und heimtücki¬
scheres... das Märchen von den Erhobenen“. Da läßt sie ihn — ihn, der zu eitel
ist, um in ihrer Liebe glücklich zu sein, zu feige, um an sie zu glauben, ihn, der
um nichts besser ist als sie. Sie geht nach Petersburg.
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