VI, Allgemeine Besprechungen 1, 7, Soergel Dichtung und Dichter, Seite 10

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1. Panphlets offorints
Arthur
geht zu anderen, da wollen sie Freunde sein. Aber sie vergessen sich einmal,
Schnitzler
als sie nach einem halben Jahre sich wiedersehen: die Freundin wird für eine
Nacht zur Geliebten. Nun müssen sie ganz auseinander. Sie waren nicht ge¬
schaffen, sich ewig in Treue zu lieben, sie waren nicht stark genug, die Freund¬
schaft rein zu erhalten. Komödie hat Schnitzler das Drama genannt, es hätte
auch Schauspiel heißen können: vor einer leise weinenden, in Schmerz versunkenen
Frau fällt der Vorhang.
Der Ruf
Dann wiederholt Schnitzler noch einmal das Thema des „Schleiers der Bea¬
des Lebens
trice“. Wie dies Renaissancedrama möchte auch „Der Ruf des Lebens“ ein Spiel
von der Fülle des Daseins und des Grauens vor dem Tode sein. Dort graute
es nur einem Kinde, hier graut es den Alten wie den Jungen. Wie dort sind
ein paar Liebesstunden das Sinnbild für die Fülle des Lebens, den Ruf des
Lebens. Und wenn man um die Armseligkeit dieses Gleichnisses herumkäme, die
Unmöglichkeit der handlung, die noch dazu Reichtum mit häufung von un¬
nötigen Gräßlichkeiten verwechselt, macht dies Drama zu einem der allerschwäch¬
lichsten.
Fast scheint es, als habe Schnitzler schon um 1910 gefühlt, das Ende für die
Geschöpfe seiner Welt sei nahe, eine Zeit betrachtsam Redender streiche kommen¬
des Schicksal aus. Er drängt als Fünfziger in eine Tatenwelt, er sucht wieder
Fühlung mit den Kämpfen der Gegenwart. Er schreibt nach kurzem Aufenthalt
in seiner einaktigen Liebeswelt („Komtesse Mizzi oder Der Familientag“, 1909)
Der junge
die „dramatische historie in einem Vorspiel und fünf Aufzügen“ „Der junge
Medardus
und die
Medardus“ (1910). Er belebt die Bühne mit über siebzig nicht nur flüchtig
Dramen
umrissenen Figuren. Er führt in das Wien von 1809. Aber der junge Medardus,
bis 1924
der einen Napoleon niederschießen möchte, ist ein Träumer in Taten, den auch
wieder die Liebe verstrickt, kein Täter. Mit der Komödie „Professor Bern¬
hardi“ (1913) gibt Schnitzler dann mehr als nur eine Schaustellung menschlicher
Eitelkeiten und Unzulänglichkeiten, mehr als eine Satire auf die lieben Zunft¬
genossen; er mischt sich mit der Behandlung des Themas Wissenschaft und Kirche
in die politischen Kämpfe, gestaltet diese österreichische welt, in der alles in
Politik mündet. Er sucht als Zeitgenosse in „Fink und Fliederbusch“ (1917) die
Kreise zu spiegeln, die in der Vergangenheit Gustav Freytags „Journalisten“
für die deutsche Bühne gewonnen hatten. Aber aufzuhorchen zwingt er doch
nur, wo er mehr als Künstler und Könner ist, wo er der Dichter ist, der
in einer nur ihm eigenen Art Liebesempfindungen nachgeht, wo er seine
Liebesweise — eine für Alle, die in Europa müde sind, unerschöpfliche Weise —
immer wieder abwandelt, nur um den wunderlichen Wegen der Seele nachzu¬
spüren: Die Seele ist „Das weite Land“ (1911); was Menschen treiben, ist
Spiel, was sie reden „Komödiefder Worte“ (1915) und „Worte lügen“. Schnitz¬
ler bleibt, als Krieg und Revolution eine Welt umgestalten und Menschen mit
anderem Fühlen erzeugen, im alten Wien, aus dem Verslustspiel „Die Schwestern
oder Casanova in Spa“ (1917) lacht die heiterste Welt, und sogar die Juli¬
und Augusttage 1914 brechen über eine Welt herein, die in Liebesdingen be¬
fangen ist („Komödie der Verführung“, 1924).
Der Erzähler
Schnitzler ist, wenn man von so Mißlungenem absieht wie „der Ruf des
Lebens“, auch im Drama ein Dichter der leisen, feinen Übergänge. Er ergreift
nicht Partei, er hat dazu, nach einem eigenen gescheiten Worte weder den Mut,
noch das Temperament, noch die Einfalt. Auf Gerechtigkeit, Sachlichkeit kommt
es ihm an. Aber das Drama lebt von Gegensätzen; feine Übergänge, lyrische
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