VI, Allgemeine Besprechungen 2, 1901 Sosnosky Jung Wien, Seite 2

Nr. 17a.
Berlin, Sonntag den 20. Januar
Ken
Die Welt ist eine große Seele,
Symbolistik daß dieser radikalste Stürmer und Dran¬
Und jede Seele eine Welt;
Literatur jene Stellung zu ero
bereinst
der Redaktionsstube des „Neuen
Das Auge ist der lichte Spiegel,
dazu haben dagegen seine T
Wiener Tagblatts“ sitzen werde, in der der äußerste
Der beider Bild vereinigt hält.
leugbar geschickt gemacht und
Konservatismus im Künstlerischen Hausgesetz ist: wer hätte das
E. Rittershaus.
denen jener ungenirte burschil
gedacht!? Man wird vielleicht sagen, der Bahr vom Jahre
zige echte Eigenart Bahrs ist,
1900 sei eben ein ganz Anderer als der von 1890 oder sogar
Wic schon im Roman „Theat
als der von 1896, er habe sich in diesen zehn Jahren, weiß
spielen „Tschaperl“ und
„Jung=Wien.“
Gott wie oft, gehäutet. Das ist aber doch nicht so richtig, als es
Persönlichkeiten auf die Szene
Studienblätter von Theodor v. Sosnosky.
scheint: Man hat sich daran gewöhnt, in Bahr einen literarischen
wirken, da das Publikum verlei
Proteus zu sehen, der eine Kunstrichtung nach der andern
(Nachdruck verboten.]
kafintlich zu lieben pflegt. Recht
„überwindet“, um diesen durch ihn zum geflügelten Worte ge¬
Im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts hat Berlin in
süchtiges Apartseinwollen ist
wordenen Ausbruck zu gebrauchen; es ist ja auch ganz mög¬
zum Pantoffelhelden, vom R
der deutschen Literatur eine führende Rolle gespielt. Die
lich, daß
er in einigen Jahren, vielleicht schon im
Noporeon in seinem Stücke „
anderen deutschen Großstädte konnten sich literarisch neben
nächsten, wieder ein Anderer zu sein scheint als heute;
de alle Welt, Freund und Fei
Berlin kaum bemerkbar machen, nur München ist dies, aller¬
aber auch nur zu sein scheint. Darin liegt es! In
eiden großen Mann sieht, hat
dings in sehr bescheidenem Maße, geglückt, ohne daß es der
Grunde ist er #emlich doch immer derselbe: ein Mann,
a
läch.zliche Null hinzus
Hegemonie Berlins aber auch nur entfernt Abbruch zu thun
der eine feine Witterung hat,
aus welcher Rich¬
als andere Leute. Nun. der Gl
vermochte. Wien kam für die deutsche Literatur so gut wie
tung der nächste Wind wehen wird, und der sein
garnicht in Betracht.
wird diese Atout prix Oppostt#
Mäntelchen daher früher nach ihm drehen kann als andere
zu Flauben, hieße Bayrs Beder
Dieses krasse Mißverhältniß der beiden Kaiserstädte in
Leute, was ihm den Nimbus des Bahnbrechers verleiht; er
hat Napoleon eben klein g
ihren Beziehungen zur Literatur bestand noch in den neunziger
ist immer derselbe kluge Menschenkenner, der weiß, daß in
schon nicht groß, so doch intere
Jahren.
— Da, gegen Ende des Jahrhunderts, tauchte der
unserer raschlebigen, sensationslüsternen Zeit nur Der interessant
Bahrs Bedeutung liegt über
Name „Wien“ in der Literatur wieder auf. Auge und Ohr stießen
bleibt, der immer für Abwechslung sorgt, der immer einen
lerischen Thätigkeit, sondern
da und dort auf ihn; immer häufiger zeigte er sich, immer
neuen Trick in seinem Programne hat, mit dem er die nach¬
Mit allen seinen Erzählung
größer wuchs er heran, immer vernehmlicher wurde seine
lassende Theilnahme des Publikums aufs Neue anregt. Mag
bühnenwirksamen Stücken wa
Stimme; schließlich eroberte er sich in der Literatur einen
er was immer für eine Pose oder Gestalt annnehmen, was
so viel von sich reden zu mach
Platz, der, zwar immer noch bedeutend geringer als der
ihn dazu bewegt, ist doch immer dasselbe: Originalitäts= und
Theater, Literatur, Malerei
Berlins, doch selbst dem arg kurzsichtigen großen Publikum er¬
Sensationssucht. Damit soll aber nicht etwa gesagt werden,
Gebiete nimmt er thatsächlich
kennbar ist und darum ernstlich in Betracht kommt.
daß jede dieser Posen und Metamorphosen lediglich kühle
Stellung ein. Er ist es, der
Das unleugbare Verdienst, den Namen Wien in der
Berechnung und Komödie sei. Das dürfte zwar die Ansicht
Literatur eingeführt hat; ihm
Literatur nach so langer Zeit wieder zur Gestung gebracht
der Gegner Bahrs sein, deren Zahl vermuthlich nicht
Verdienst, für jene Mode Prop
zu haben, gebührt wohl unbestritten Hermann Bahr.
klein ist, aber man thäte ihm damit doch wohl Unrecht. Das
Name gedankenkos von aller Welt
Es mag ja sein, daß dieser Umschwung auch ohne ihn
„épater les bourgeois“ist ihm eine Art Bedürfniß, der
nämlich; er ist es schließlich,
eingetreten wäre, es ist sogar wahrscheinlich; aber jedenfalls
Trieb dazu entspringt seiner Originalitätssucht; die Sucht nach
damit die Aufmerksamkeit auf
hätte es noch ein Weilchen gedauert, bis es geschehen wäre.
Neuem liegt in seiner Natur, das von ihm zitirte Wort Henri
arg vernachlässigte Kaiserstadt ass
Jedenfalls ist Bahr es gewesen, der die Aufmerksamkeit des
Lavedaus paßt auch auf ihn: „ .. il n’est qu'une chose,
Wien“, das ist nämlich die in
Publikoms wieder auf Wien gelenkt hat; wie er dies gethan,
oue ie préfère à la beauté, c’est le changement.“
Der
Bezeichnung für die Gruppe
ist eine andere Sache; aber mag man dagegen noch so viel
Wechsel ist ihm Bedürfniß, und so nimmt er bald diese, bald
die Bahr „entdeckt“ hat oder die
einwenden, sein Verdienst um das literarische Wiederaufleben
jene Farbe an Daß er sich trotz aller Wandlungen im
tung, der „Moderne“ angehör
Wiens kann dadurch nicht aus der Welt geschafft werden. —
Grunde gleich geblieben ist, das zeigt sich in der Konsequenz,
doch Leute, die er dafür hielt
Mit dem „Wie“ freilich kann man sich durchaus nicht ein¬
mit der er von seinem ersten Auftreten an bis heute steits für
zu halten ihm gerade Spaf
verstanden erklären, denn die Art seines Vorgehens war und
das Ungewöhnliche, Mystische, Bizarre eingetreten ist.
wenigstens ein Sport von
ist nichts weniger als löblich und nachahmenswerth. Nicht
Max Nordau sieht in Bahr ein Prachtexemplar eines
ebensoviel nützte wie seinen S#
durch hohe Kunstleistungen, nicht durch überzeugende Geistes¬
Entarteten, ein wahres Paradigma, an dem sich alle für
Namen und Vorzüge mit so sc
werke hat er die Aufmerksamkeit auf sich und damit auf Wien
die Entarlung typischen Merkmale nachweisen lassen. Wenn
er gebärdete sich dabei so auf
gelenkt, nicht die Erkenntniß, daß in ihm eine bedeutende lte¬
die übergroße Emotivität, der Hang zum Mystizismus und die
mehr Aufmerksamkeit zuwendes
rarische Persönlichkeit verkörpert sei, hat das Publikum veran¬
Sucht, von sich reden zu machen, wirklich Zeichen der Ent¬
Namen früher merkte als die
laßt, von ihm Notiz zu nehmen, sich mit ihm zu beschöftigen:
artung sind, dann muß Bahr allerdings an ihr leiden, denn
Andere entdeckte, entdeckte das
nein,
hat es nur besser verstanden, Reklame zu
alle diese Eigenschaften besitzt er in hohem Grade. Was
machen, als seine zahlreichen Konkurrenten, seine Stimme,
Nordau in seinem Urtheil ganz besonders bestärkt haben dürfte, 1
Ist Bahr auch der Fühl
mit der er seinen Namen unaufhörlich in die Welt
ist der Umstand, daß er nur den Bahr von 1890 kannte und
Wien“, so ist er darum doch
rief, ist eben stärker, und seine Hand, die die Reklame¬
ihn bloß oder doch vor Allem nach seiner Künstlergeschichte
Persönlichkeit; er ist nur de
trommel rührte, darin geschickter und unermüdlicher
„Die gute Schule" beurtheilte. Dieses Buch aber mit seinem
deren wahre: „Star“ aber ist
gewesen. Die satisam bekannte Theilnahmslosigkeit des deut¬
ymbolistischen Wahnwitz, seinen unerhörten stilistischen Ungeheuer=
um
gleich zu sagen
schen Publikums konnte ihn nicht irre machen, nicht abschrecken:
lichkeiten war ganz dazu geschaffen, als die Aus= und Mißgeburt
wahrhaft bedeutende Autor der
gelang es ihm nicht, dessen Aufmerksamkeit in der einen Rolle
eines entarteten Gehirns angesehen zu werden; ein solches Buch
mit Goethe zu sprechen, rein I
zu erwecken, so versuchte er's eben mit einer anderen; wollte
war trotz Conradis Romanen in der deutschen Literatur
doch kein Charakter; Schnitzl#
es ihm in der normalen Stellung eines vernünftigen Menschen
damals noch nicht dagewesen. Thatsächlich freilich
ein viel stärkeres sogar —
nicht glücken, so spozierte er unbedenklich auf den Händen eileI war es keineswegs eine neuartige Schöpfung sondern
ment dieses Charakters ist
her und stellte sich auf den Kopf; das machte ihm garnichts: #nur die Nachahmung der Pariser, Dekadentent Poesie, die ##ellenoe er ist-eeburch
—Peng er dadurch zuur Aufsehen scregte! Scheute er sich bo. Bahr in seiner Nruerungs= und Sentationssucht ich oie deutsche
Jd erinnert darin an Marcel
nicht, Lch auf dem Umschlage seiner Sovellensammlung (Literatur zu importiren sich leider berjüßigt gefunden hot.
Heinz Tovote, die ja ebenfal
„Caph*) als Magier abbilden zu lassen und das Buch
wäre aber dennoch nicht ganz
seinem — Hunde zu widmen! Originell zu sein um jeden Auch die zahlreichen ästhetischen Schriften Bahrs sind ge¬
folgernd, als Das für Wien¬
Preis, „épater les bourgeois“, darauf allein kam's ihm an, iquet, Nordaus Ansicht zu bestätigen. Was ei sonst noch ge¬
für Paris, Kopenhagen und
darin sahser sein Ziel! Und er hat es auch wirklich erreicht. Kchriehen hat, ist dagegen durchaus vernünftig, trotz aller
geulistischen Mätzchen, ohne die es bei ihm nun einmal nicht
von ihnen doch recht verschiede
Die Leute schüttelten zwar Anfangs den Kopf, sie lachten
Abgeht, und dieser Umstand ist danach angethan, daß man
wenigstens — nicht die verwe
der sich
seltsam ge¬
über den komischen Kauz,
nils Nordaus Behauptung irre wird, denn er beweist, daß Bahr
Witz Prévosts, es fehlt ihm di
bärdete, aber sie schenkten ihm ihre Aufmerksamkeit, und
iin Grunde doch nicht der verrückte Mystiker und Dekadent ist,
Natürlichkeit Nansens, aber
wenn dies auch noch nicht aus Sympathie und Zustimmung
Fäls der er sich in jenen Werken giebt. Es scheint, daß er es nur in
Beide und im Vergleiche mit
geschah, so hatte er damit doch gewonnenes Spiel: man be¬
lder Theorie ist, in der Praxis aber vorzieht, es nicht zu sein
aus überlegen (womit Tovote
schäftigte sich mit ihm, man merkie sich seinen Namen, und es
(„die gute Schule“ ausgenommen), sondern vernünftig zu bleiben.
werden soll, wie das in der
dauerte nicht lange, da war er ein — nicht nur in Wien —
Von seinen Werken: „Neben der Liebe“ „Caph“,
Erotiker hat Schnitzler in der
wohlbekannter, vielgenannter Autor, der in der Redaktion der
„Theater“ und „Die schöne Frau“*) sind die letzten zwei
ist er geblieben; auch dort,
ge#eitung sitzt und die erstaunten Leser“!
gelesensten Wien
ganz unterhaltend, geben von einem gewissen kecken Witz Zeug¬
Debüt war die Einaktersamn
mit wortreichen
hungen der Sezession und der
niß, ohne im Uebrigen irgendwie bedeutend zu sein. Trotz aller Re¬
fangs nur wenig Beachtung gefum
„Moderne“ übersch.
klame wäre es ihm mit ihnen auch nie gelungen, sich in der
geworden ist, und von deren#
Daß der Verfasser des greulichen Buches „Die gute
worden sind, obschon sie sich ni
Schule***), eines
Absudes der Pariser Wahnwitz¬
*) Neben der Liebe, Roman. 1893. Theater, Roman.
vielleicht auch nicht im ##
1897. Die schöne Frau, Novelle. 1899. Das Tschaperl.
Ein Wiener Stück. 1898.
Der Star. Ein Wiener Stück.
)Caph, Novellen. Berlin, S. Fischer 1894.
Anatol, Berlin, Biblio
** Die gute Schul=, Seelenstände. Beelin, S. Fischer. 1890.
1899. Alles Berlin, S. Fischer.
Neu=Ausgaben bei S. Fischer er


Ich begleitete sie bloß bis zur Thür, und dort kam es so
„Still, nicht so laut!“ sag
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Ein Jahr.
plötzlich über mich, ich mußte sie in meine Arme schließen und
umblickend.
kassen Hierauf fluchtete ich in den Park binang guch Anast ir¬
„Wie hat er es gethan,