VI, Allgemeine Besprechungen 2, 1901 Sosnosky Jung Wien, Seite 9

de
ürschen
Augemeinen
eirnng
erlin, Sonnabend den 26. Januar
1901.
Graf. X. Graf und
4. Das Salböl aus den Händen
klare und plastische Ausdruck eines Begriffes ist, was bei ihm
der Dirne schließt also
Der todten alten Frau
nicht eben oft der Fall ist, und zweitens ist die Schönheit
geistvoller Symbolik den
Laß lächelnd ihn verschwenden
nicht einmal, äußerlich betrachtet, tadellos. In seinem
ucke bringt. Trotz seiner
An Adler, Lamm und Pfau:
dramatischen Gedicht „Der Thor und der Tod“*) erlaubt
Buche jedoch bitter Un¬
Er lächelt der Gefährten,
er sich mehrere Elisionen, die recht wenig zu seinem Formen¬
ornographische Spielerei,
Die schwebend unbeschwerten
sinn stimmen. So heißt es einmal:
krren“ ansähe; es ist weit
Abgründe und die Gärten
„Zu Deinen wunden, elfenbeinern' (!) Füßen“:
Art, das es an fesselndem
Des Lebens tragen ihn!
ein anderes Mal:
sts „Lettres de femmes“
Man sollte einen Preis ausschreiben für Den, dem es ge¬
„Ich hab' so wenig frohe Tag' (1) geseh'n“.
jahrheit sie aber zumeist
lingt, diesen Tiefsinn zu ergründen. Der Verfasser wäre von
und schlimmer noch:
die Erotik zu klassischer
der Konkurrenz keineswegs auszuschließen.
„Wie auf der Bühn' (!) ein schlechter Komoediant
als Kunstwerk wie als
Wenn dieses Gedicht der poctische Ausdruck eines Genies
Aufs Stichwort kommt er, red't (!) sein Theil und geht:“
für die Nachwelt ein
ist, wer darf dann noch die als „blühenden Unsinn“ berühmten
Fehlerhaft ist auch folgende Anakoluthie:
erden wie es Boccaccios
Verse verspotten: „Im Schatten kühler Denkungsart des Lebens
gegen Dich, der Keinem etwas war und
cht. Man komme nur ja
Unverstand mit Wehmuth zu genießen, ist Tugend und Be¬
Keiner ihm“ statt: . . .. und dem Keiner etwas war.
Einwand, das Thier im
griff“?! Die Weisheit jener Verse ist so tief, daß ein normaler
Alles in Allem passen auf Hofmannsthal Bodenstedts
ande der Kunst gemacht
Verstand sie garnicht zu ergründen vermag und das ganze Gedicht
Worte:
gilt nur ein Grundsatz:
als geradezu mustergültigen Unsinn erklären wird, denn nicht an¬
„Wo sich der Dichter versteigt ins Unendliche,
egenre ennuveux“, und
ders kann man das bezeichnen, was selbst beim angestrengtesten
Lege sein Liederbuch schnell aus der Hand,
Mamen der Weltliteratur
Suchen keinen Sinn finden läßt. Herr v. Hofmannsthal ist
Alles gemeinem Verstand Unverständliche
absurdum zu führen:
freilich anderer Ansicht, er ärgert sich darüber, daß man von
Hat seinen Urquell im Unverstand.“
Hephaistos seine ungetreue
einem Gedichte durchaus einen Sinn haben will, und schreibt
Das klingt hart, aber es soll Hofmannsthal damit
berrascht), Ovid, Catull,
aus diesem Anlaß: „Die leute suchen gern hinter einem Ge¬
keineswegs endgültig verdammt werden; über einen Dichter
ter der Linde“), Goethe
dicht was sie den „eigentlichen sinn“ nennen. sie sind wie die
der so wenig geschrieben hat und noch so jung ist, läßt sich
gut von Corinth), Byron,
affen die auch immer mit den händen hinter einen Spiegel
überhaupt kein abschließendes Urtheil fällen.
nd in ihren Werken der
fahren als müsse dort ein körper zu fassen sein.“ Dieser in
gegangen! Nur darauf
der Originalorthographie und Originalinterpungirung wieder¬
den Geist geadelt werde.
gegebene Ausspruch läßt tief blicken und ist ein Wink für die
Eine Hofmannsthal verwandte Natur ist Richard Beer¬
Beurtheilung seiner Dichtungen, der uns ihm zum größten
Hofmann; auch darin erinnert er an Jenen, daß er bisher
und Schnitzler, aber auf
Danke verpflichtet, denn wir wissen nun, daß wir uns künftig
nur sehr wenig geschrieben, verhältnißmäßig sogar viel weniger,
Hugo v. Hofmanns¬
ängstlich zu hüten haben, in seinen Werken nach einem Sinn
dann, obwohl schon in den Dreißig, hat er nur zwei Bücher
hoch Niemand zu seinem
zu forschen
es wäre ja meist auch eine vergebliche Mühe!
herausgegeben, ein Bändchen mit zwei Novellen und einen Band
leichter. Er besaß ihn
Uebrigens muß der Gerechtigkeit Genüge gethan und bemerkt wer¬
„Der Tod Georgs"**) betitelt. Die im Jahre 1894 er¬
icht hatte, er war — in
den, daß doch nicht alle Dichtungen des Verfassers jene
schienenen „Novellen“ haben zu den höchsten Erwartungen
mt, bevor er etwas ge¬
klassische Höhe des Unsinns erreichen, wie die vorhin zitirten.
berechtigt, denn sie offenbaren eine ganz außerordentliche
Lob doch schon in allen,
Hätte Max Nordau, als er seine „Entartung“ schrieb,
Stimmungskunst; argusäugige Beobachtungsgabe, nicht nur
und getrommelt wird,
Hofmannsthal schon gekannt, er hätte ihn sicher als Muster¬
für seelische Vorgänge, sondern auch für reale Dinge, und,
Gepäck aus einigen
exemplar für seine Theorie aufgestellt, denn in ihm vereinigen
was bei den Autoren „Jung=Wiens“ eine Seltenheit ist: auch
als Einakter gelien
sich Mystizismus und „Echolalie“ zu außergewöhnlicher Fülle;
für die Natur, vereinigt sich darin mit einer wunder¬
Ge¬
Anzahl von
mit Verachtung geht er jedem festen Gedanken aus dem Wege,
baren Fähigkeit, selbst die feinsten, kaum in Worte zu fassenden
chform erschienen sind.
und ängstlich flieht er das helle Tageslicht der Wirklichkeit;
Empfindungen und Gedanken mit einer Plastik wiederzugeben,
doch nicht genug, um ge¬
nur im verschwommenen Halbdunkel einer phantastischen
die man sonst nur noch bei Wilhelm Jensen trifft bei dem sie
Zeit; es müßten diese
Traumwelt, wo nichts mehr deutlich erkennbar ist und Alles
aber auf ein bestimmtes Gebiet begrenzt ist. In dieser un¬
verrathen. Hofmannsthal
unbestimmte absonderliche Formen annimmt, nur da fühlt er
übertrefflichen Stimmungsplastik und peinlich lebenswahren
wenigstens seine Verehrer,
sich heimisch und wohl. Und was er in dieser unklaren,
Realistik ist die Novelle „Das Kind“ en hieden das größte
rum nicht. Man hat ihn
mystischen Atmosphäre empfindet, das faßt er in schön klingende,
Kunstwerk, das „Jung=Wien“ je zu C ande gebracht hat;
gebracht und behauptet,
mit der Sorgfalt einer sich schmückenden Beauté gewählte und
selbst Schnitzlers beste Erzählung „Abschied“ muß trotz ihres
mag richtig sein; aber
berechnete Worte.
ergreifenderen und wirksameren Stoffes dagegen zurückstehen.
so sehr der Goethe, der
Diese Worte aber haben es gewissen Leuten angethan, sie
Leider hat Beer=Hofmann die hohen Erwartungen,
ieben, als vielmehr der,
imponiren ihnen: „Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er
die man sich nach diesem glänzenden Anfang ver¬
geschrieben hat: „Deuto¬
nur Worte hört, es müsse sich dabei doch auch was denken
sprechen mußte, bitter enttäuscht,
denn sein
fahre
Mystificinski“
*
lassen.“ Mit den Versen Hofmannsthals hat es eine ganz ähn¬
später erschienenes Buch „Der
Tod Georgs“
dieses „Genie“ ist, das
liche Bewandtniß wie mit „Des Kaisers neuen Kleidern“ im
das Werk der décadence, ist die
häßliche Mißgeburt
gleichnamigen satirischen Märchen Andersens. Der rückgrat¬
erung folgendes Gedicht
eines edeln Geistes. Wohl tauchen auch in diesem Buche hier
losen Feigheit und Meinungslosigkeit des Publikums dankt
und da Stimmungsbilder von blendender Schönheit auf, durch
wenden
Hofmannsthal seinen — allerdings nur auf bestimmte Kreise
die man sich in der tiefsten Seele angerührt fühlt, aber sie
beschränkten — Erfolg.
Pfau
verschwinden bald wieder in dem formlosen, verschwommenen
Händen
Wer sich durch das verzückte Lob in seinem Urtheils¬
Dunste, der über der ganz'n Arbeit lastet und dem Leser den
vermögen nicht beirren und verwirren läßt; wer nicht aus
Blick trübt und das Gehirn verwirrt. Wie Wolken ziehen
keiten
ger Furcht, für rückständig gehalten zu werden, sklavisch
Stimmungen und Gedanken unaufhörlich an ihm vorüber,
Beite
jede literarische Mode mitmachen zu müssen glaubt; wer einen
ohne dem Auge und Gehirn einen Moment Ruhe zu gönnen,
S
hellen Kopf, ein scharfes Auge und ein festes Rückgrat besitzt,
ohne dem forschenden und staunenden Geist Stand zu halten.
der wird über diesen gepriesenen Autor ein Urtheil fällen
Es ist, als ob dem Verfasser jede Spur von Kompositions¬
Walten
müssen, das wesentlich anders lautet, als das von dessen
vermögen mangelte, denn das Buch, das wie ein Roman be¬
ht
Freunden. Wer in das mystische Dunkel der Hofmanns¬
ginnt, verliert sich alsbald in einen formlosen Brei von Re¬
thalschen Dichtungen keck hineinleuchtet, wird erkennen, daß sie
flexionen, Stimmungen und Träumen, und da die Träume
nur darum so geheimnißvoll und eigenthümlich wirken, weil
mit einer so realistischen Detaillirung beschrieben werden, als
sie im Dunkeln leben. Im Dunkeln aber nehmen ja — das
handelte sich's um historische Thatsachen, weiß man garnicht
hat wohl schon Jeder an sich selber erfahren — alle Dinge,
recht, was Traum und was Wirklichkeit ist. In diesem unge¬
die körperlichen und die geistigen, eine fremdartige, phan¬
nießbaren Werke ist ein erlesener Geist dem Dämon der
tastische Gestalt an, die uns erregt, lockt oder schreckt, bis mit
décadence zum Opfer gefallen.
Bienen
dem ersten Tagesschimmer der ganze Spuk verschwindet und wir
(Schluß folgt.)
Alles wieder sehen, wie es wirklich ist. So ists auch mit
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Hofmannsthal: seine Wirkung liegt im Dunkel; nur dort kann
Der Thor und der Tod. Berlin, Schuster und
er bestehen; darum liebt er die dunkeln Gedanken die
Löffler. 1900.
dunkelr Empfindungen und die dunkeln Worte. Auch die
**) Der Tod Georgs, Berlin, S. Fischer 1900. Novellen,
vielgerühmte Schönheit seiner Verse vermag einer unbefangenen
Berlin, Freund u. Jeckel 1894.
Kritik nicht Stand zu halten: erstens kann von wahrer Schön¬
heit der Sprache doch nur dann die Rede sein, wenn sie der

S