VI, Allgemeine Besprechungen 2, 1901 Sosnosky Jung Wien, Seite 10

2. Guttings box 37/2
Geitikt
zur
Nr. 29a.
2
So sind die Menschen!
Sie suchen früh und spat
Das Bittere im Kelche;
Wer keine Plage hat,
Der macht sich welche.
Kotzebue.
**)
„Jung=Wien.“
Studienblätter von Theodor v. Sesnosky.
Der dekadenteste Autor von ganz „Jung=Wien“ und zu¬
gleich der drolligste ist unstreitig Peter Altenberg. Sucht
Hofmannsthal durch schöne Worte zu wirken, so trachtet
Dieser durch Gedankenstriche, Ausrufungs= und Fragezeichen
Effekt zu machen; liegt die Mystik bei Hofmannsthal in
Dem, was er sogt, so ist sie bei Altenberg in Dem vorhanden,
was er nicht sagt. Er begnügt sich mit geheimnißvollen An¬
deutungen, die er mit köstlicher Wichtigkeit und Prätension giebt
und die ihn offenbar überaus poctisch und geistvoll dünken,
deren Gedankenflug der nur“ normal und nicht dekadent
denkende Leser aber oft nicht zu folgen vermag. Ebenso sehr
wie die geheimnißoollen Gedankenstriche liebt Altenberg die
Wiederholung. Einzelne Worte, Phrasen oder ganze Sätze
tauchen immer wieder auf, sollen wohl so eine Art Refrain
oder Leitmotiv sein, erzielen aber durchaus nicht den natür¬
lichen ungezwungenen Eindruck, den ein Kehrreim im Gedicht,
eine Leitmelodie im Musikstück zu machen pflegen, sondern
nehmen sich wie lästige Zwangsoorstellungen aus, deren sich
der Autor nicht erwehren kann. Auch er hat nur ganz wenig
geschrieben, wenigstens veröffentlicht; obwohl er schon den
vierzig nahe ist, nur zwei schmächtige Bücher.
Sie heißen
„Wie ich es sehe" und „Ashantee"**) Im ersten
offenbart er dem Publikum seine sonderbare Art,
die Welt zu sehen, im zweiten bekräftigt er dies
in noch drastischerer Form. Das Buch „Ashantee“ ist ein
Unikum und verdient darum eine eingehendere Beachtung:
Auf dem Titelblatte steht bloß: Peter Altenberg=Ashantee;
auf dem nächsten Blatt ein Motto, von ihm selber verfaß.;
auf dem dritten: „Ashantee (im Wiener Thiergarten bei
den Negern der Goldküste, Westküste.) Meinen schwarzen
Freundinnen, den unvergeßlichen „Paradieses=Menschen“ A.
Aköshia, Tiöko, Dj0jö, Nah=Badüh gewidmet“ an dem vienen
Blatte steht wieder „Ashantee, (im Wiener Thierga#ten bei den
Negern der Goldküste, Westküste); auf dem fünften endlich der
Artikel „Ashantee“ nebst Band= und Seitenzahl aus Meyers
Konversationslexikon. Nachdem der Leser so gebührend auf
das große Werk vorbereitet ist, darf er endlich das Allerheiligste
betreten. Was er da zu sehen bekommt, ist auch wahrlich
nicht alltäglich: es sind Stimmungsbilder aus dem Ashantee¬
dorfe im Prater, Gespräche zwischen den angewidmeten dunkeln
Damen und Peter A. (so nennt sich Altenberg merkwürdiger
Weise stets, wenn er selber auftritt); ferner enthält dies sonder¬
bare Werk das ashanteesche Einmaleins, ein ashanteesches
Lied, einen englischen Brief Peter A.'s an die Negerin
Monambö, der auch in der Uebersetzung vorliegt, die erstaun¬
licher Weise die englische Wortstellung beibehält; im Kapitel
„Prinzessin in Grün“ endlich giebt Herr Peter A. ein genaues
Verzeichniß aller Sachen, die er der Ashantee=Maid Nah=Badü
geschenkt hat (!), und worin er es nicht unterläßt, bei den
imitirten Swaragden in Klammern „Paris“ und bei den Glas¬
Haarnabeln venetianisch“ damu#####en; offenbar in der richtigen
Nordbeurschen
An
Berlin, Sonntag den 3. Februar


King's street, Lömö=house.
dafür zu gelten, das Symptom
West=Coast, Afrika.“
denn es ist gewiß pervers, wen
Fertig! Das ist das ganze Kapitel, dem eine eigene Seite ein¬
abgelebt sein will, darin einen
geräumt ist!
nur die keineswegs mehr orig
Von der Art, in der Herr Peter A. dichtet, kann sich
täglich auf den Boulevards,
Niemand eine Vorstellung machen, der mit den sonderbaren
den Linden beobachten kau
Allüren der „Modernen“ nicht vertraut ist; da die Zahl dieser
und selbst bartlose Bursche
Wissenden aber nur gering ist, so empfiehlt es sich, yier einige
blödem Ausdruck und schlaffer H
Proben zum Besten zu geben.
sie entkräftete Greise, die nur
Das Kapitel „Paradies“ lautet:
Genüsse aus ihrer müdn
„Was möchtest Du am liebsten von der Welt, Tioko?!“
können. Mit einem Worte:
„Green bills cutted, Sir — ——.“ (Geschliffene grüne
Gigerl=Dekadenz; jedenfalls i
Glasperlen.)
wenn es ja auch immerhin sein
„Und?!“
à la Baudelaire nicht nur Po
„And lila bills cutted, Sir —
Dekadenz eines Altenberg oder
„Und?!“
ist bei ihm wenig zu spüren;
„And nothing, Sir ———!“
ganz klaren Denkvermögens
Sehr drastisch ist auch folgende Stelle aus dem Kapitel
achtenswerthen Talents.
„Le départ pour l’Afrique“ (warum Herr Peter A. nicht
Leitte**), das ein großstäd
schreibt: Die Abreise nach Afrika, bleibt eines der vielen Räthsel
stischen Naturalismus darstell
seines Wesens). Da heißt es:
selbst seine berüchtigten Ged
„Nah-Badüh —
„Sensationen“ sind tr
21 —— —214
Evotik, Einiges ausgenomm
Sie steigt langsam auf den Perron zu ihm —
für den Eindruck, er wolle
auch die reklamehafte Titelwah
2
sogar den Stempel echter Poesi
Die Zahl der Gedankenstriche ist keineswegs aufs Gerathe¬
nannte. Im großen Ganzen
wohl hingeschrieben, sondern wohl überlegt und bemessen.
Hyperwollust wenig erquicklich
Darin liegt es ja eben: während andere Schriftsteller sich in ihrer
tonjours perdrix wird auf
Unfähigkeit bemühen, nach bezeichnenden Worten zu suchen, ver¬
cochon.
achtet Herr Peter A. in seiner Größe das armselige Wort¬
In seinen in diesem Jahre
geklingel, denn er kennt das erhabene Geheimniß der Gedanken¬
ebenso gesuchten als geschmach
striche.
schöne Fritz verstimmt wal
Die Ashantee=Notizen füllen übrigens nicht, wie man nach
ebensowenig im Stande ist,
dem Titel des Buches erwarten sollte, den ganzen Band aus.
seine Kollegen von der „Mo¬
Sie haben diesem nur als die erste Arbeit, die der Autor
Sammlung sowohl seinem Scha
vermuthlich für die bedeutendste hält, den Namen gegeben, wie
heblich nach.
das jetzt so Mode ist. Die übrigen Arbeiten, die auch meist
Dieser für die junge
mit Widmungen versehen sind — aber an weiße Damen —
teristische Mangel der Erzähl
lesen sich womöglich noch drolliger, namentlich „Theobronia“
den Romanen Ludwig Wolf
und „Liebesnacht“. Aus der letztgenannten Arbeit seien hier
den Versuch unternommen hat,
einige Stellen wiedergegeben, die Herrn Peter A. auf der
Skizzen und Stimmungsbilder.
Höhe seiner eigenartigen Kunst zeigen.
Wasser"***) und „Studen
Schon der Anfang ist höchst charakteristisch:
mißlungen, wenngleich sie
gamentlich der zweite, der aber
„Pauline hatte mehr vom Mysterium „Genie“ als —
Wie außerhalb des engen Lebens ist sie manches Mal. Wo
licher Weise im Sande verrin
befindet sie sich?! Eigentlich ist sie vielleicht nur schwächlich,
seines Verfassers offenbart.
kann nicht Stand halten dem strengen Tage. Wie wenn Je¬
größere Erzählung — wenigst
mand nicht mehr schlucken könnte. Man giebt ihm feine un¬
zulänglich erwiesen, so kommt
kompakte, breiartige Dinge. Ganz zart wird er, und milde
bisweilen recht wirksam zur Ge
verwunderte Blicke wirft er auf die Menschen, welche aus
Momentaufnahmen aus dem
vollen Schüsseln essen. Jedesfalls wird er ganz zart und
gemeinsamen Titel „Professic
milde —
sammlung „Dunkle Sehns
Von dieser Pauline wird des Weiteren berichtet, daß sie
ersten Buche des Autors, bei
schlafe, ihr Gatte aber und „der Gast“ sitzen bei ihr:
Schnitzler und Altenberg ungen
„Zwei stumme Wächter vor den Thoren des
So ein Dutzend=Talent sch
Schlafes -
sein, der
der Novellette
bliebene"|f) erst im vergangen
Der Gast sagt leise: „Ich habe einen Satz ge¬
dichtet
hat. Die Geschichte von der klugen
Ihr Gatte: ———
kenatniß, daß ihre Bluthezeit
„Wenn sie wacht, schläft sie — —— und wenn sietkellner des Restaurants hei
1is Sahnerg ein
mht