Te der
und sinniger Ernst zeichnet diese Gruppe
mondainer, mitten aus dem Strudel des Gross¬
stadtlebens schöpfenden, feinnervigen, femi¬
ninen Poetennaturen aus, unter welchen der
problematorische Hermann Bahr, der Liebes¬
schilderer Arthur Schnitzler, Peter Altenberg,
G. Morgenstern, A. Engel, A. Lindner,
J. J. David, C. Karlweis und Chiavacei be¬
reits mehr und mehr bekannt wurden. Die
Reihe der Recitationen wurde mit dem be¬
kannten Dialog „Weihnachtseinkäufe“ aus
A. Schnitzler’s „Anatol“ eröffnet, der ein
heikles Thema mit unerbittlicher psycho¬
logischer Schärfe behandelt und durch Herrn
Salzer ebenso gewandt wie fein nuancirt und
decent zu Gehör gebracht wurde. Ebenso
vorzüglich kamen die beiden Skizzen „Die
Liebe kommt“ und „Ein schweres Herz“ von
Engel und Altenberg zur Geltung, erstere die
Tragik der Convenienz-Ehe, letztere das
Elend moderner Töchtererziehung in
greifender Weise schildernd, ferner das
farbenprächtige Lindner'sche Traumbild „Fern
von Wien“ mit seiner überquellenden Hei¬
mathsehnsucht. Wusste Herr Salzer einer¬
seits die tragische Grundstimmung, die
Sprache mühsam verhaltener Leidenschaft mit
all ihren leise verdämmernden Farbtönen
und Vibrationen voll zur Geltung zu bringen,
so entzückte er andererseits durch seinen
frischen, echt weanerischen Humor in der er¬
götzlichen, leise satirisch wirkenden Scizze
„Die schöne Frau“ von H. Bahr; die Pointen
wirkten gradezu zündend. Zum Schluss gab
das tragi-komische Lebensbild „Das Pferd“
von Morgenstern dem Künstler Gelegenheit,
nochmals sein ausgezeichnetes Vortragstalent,
in vollem Lichte zu zeigen, so dass das
Auditorium mit seinem Beifall nicht kargte
Möchte den Salzer’schen Reci¬
tationen seitens des kunstver¬
ständigen Pubiikums das rege Inter¬
esse zu Theil werden, das sie un¬
streitig nach Form und Inhalt ver¬
dienen.
2. Marcell Salzer-Abend (15. 0. 08).
In einer sorgfältig gewählten Auslese kamen
österreichische Dialect-Dichter zu Worte,
deren Erzählungen und Reime ergötzlichsten
Humor entfalteten; besonderen Anklang selbst
seitens der weiblichen Zuhörerschaft fanden
die zahlreichen Satiren auf das Weib, die in
ihrer gelungenen Fassung nur versöhnen und
erfreuen können. Das aufmerksame Audi¬
torium bekundete durch reichgespendete Bei¬
fallsbezeugungen seine Anerkennung für den
gebotenen Kunstgenuss.
3. Marcell Salzer-Abend (16.9.98).
Am Donnerstag trat Marcell Salzer zum
letzten Male auf; der Saal war bis auf den
letzten Platz gefüllt. Es wurde eine Anzahl
ernster und heiterer Dichtungen aus dem
Programm der beiden ersten Abende in ge¬
schickter Zusammenstellung und in muster¬
hafter Weise geboten, so dass rauschender
Beifall die interessanten Darbietungen lohnte.
Kölnische Zeitung (8. 1. 98). Die
Litterarische Gesellschaft in Köln
brachte an ihrem letzten Gesellschaftsabende
einen Vortrag des Wiener Recitators Marcell
Salzer über Jung-Wien. In einer knappen,
geistvollen Einleitung charakterisirte Salzer
jene unter den modernen Schriftstellern ab¬
geschlossene Gruppe von Dichtern, die sich
in Wien um den vielbewunderten und viel¬
geschmähten Hermann Bahr schaart, und die
aus sich heraus eige specifisch modern¬
wienerische Litteratur geschaffen hat. Ge¬
kennzeichnet wird diese Gruppe durch ihren
gemeinsamen Zug grossstädtischer Lebens¬
lust, der sich jedoch ein Hauch von Melan¬
cholie beimischt, durch eine dem französi¬
schen Wesen nahe stehende Leichtigkeit in
der Behandlung von Sprache und Form und
durch einen gewissen saloppen Humor. In
elegantem Plauderton gab der Recitator zu¬
nächst eine Scene aus Arthur Schnitzler's
„Anatol“. Ihr folgte ein Gedicht von Anton
Lindner, eine feine psychologische Scizze
von Feter Altenberg und eine köstliche
Schluss
Seizze von Hermann Bahr. Den
gefasste
bildete eine in ein Selbstgespräch
novellistische Scizze von Chr. G. Morgen¬
stern, originell in der Form und virtuos
naturwahr in der Sprache. Sie bildete für
Marcell Salzer den Glanzpunkt seiner Vor¬
tragskunst.
Kölner Tageblatt (8. 1. 98) — — Auf
den Gesichtern aller Anwesenden lag ge¬
spannte Neugier, und wenn wir Kölner auch
nicht gerade ein litterarisches Völkchen sind.
negenen e en en dere eneg 1er 1
e enenen e eeeeen
jeweiligen litterarischen Moden, dass die Be¬
bekannt. Die Gedichte, welche uns Herr
zeichnung „Jung-Wien“ unserem Geiste schon
Salzer von den Dreien las, gewährte uns
im Vorhinein eine bestimmte Richtung gab.
allesammt den Eindruck einer hochstrebenden.
Aus diesem Grunde sah man auch Väter
in origineller Bildlichkeit sich berauschenden
mit krauser Stirn dasitzen und lauschen, ob
Phantasie oder einer intimen, still versonnen
Jung-Köln durch Jung-Wien nicht Schaden
und in sich eingesponnenen, müden und doch
nehmen könnte. Doch diese Furcht war un¬
so lebensdurstigen Dichterseele. Sie aufzu¬
begründet. Herr Salzer hat mit grossem
zählen oder gar zu kritisiren, hätte nach dem
Geschick seinen litterarisch geschichtlichen
flüchtigen Genuss durchs Ohr keinen Sinn.
Vortrag eingeleitet und die Proben ausgewählt.
Genug, dass der Wunsch in uns rege ward.
— Der spontane Beifall musste dem Vor¬
von David und namentlich von der starken
tragenden beweisen, dass er auch hier am
Individualität Hofmannsthals mehr kennen
zu lernen.
Rheine seine Mission als Apostel der „Wiener
Moderne“ erfüllt hat.
Die bedeutendste Erscheinung, die an
Kölnische Zeitung (Stadtanzeiger v. 9. 11.
diesem Abend zu Worte kam, war für uns
1800.) Ein besonderer Genuss wurde am Sonn¬
unbedingt Arthur Schnitzler (geb. 1862),
abend Abend den Mitgliedern des Vereins
der Dichter von „Anatol“ von „Liebelei“ und
für Volksbildung sowie zahlreichen Gästen
„Vermächtniss“, Das ist der Wiener in seiner
zu Theil. Herr Marcell Salzer aus Wien
bezauberndsten und künstlerischsten Gestalt
trat als Recitator auf und entzückte durch seine
„Alles fluthet bei ihm durcheinander“ so
meisterhafte Art der Wiedergabe sowohl hoch¬
charakterisirt ihn Alfred Kerr, „Innigkeit und
tragischer als auch humoristischer Dich¬
Eleganz, Weichheit und Tronie, Weltstädtisches
tungen. Neben E. v. Wildenbruch's „Das
und Abseitiges, Lyrik und Feuilletonismus,
Orakel“, dem zweiten Act von Gerh. Haupt¬
Lebensraffinement und volksthümliche Schlicht¬
manns „Die Weber“, sowie Bahr’s Humo¬
heit, Oesterreichisches und Halbfranzösisches,
reske „Die schöne Frau“ brachte Herr Sal¬
Schmerz und Spiel, Lächeln und Sterben.
zer kleinere Dichtungen von D. v. Lilien¬
Ein junger Mann, ein glücklicher Götterfreund
cron und bekundete in Zeichnungen des
ordnet mit weicher, leiser, spielend voll¬
österreichischen Volkshumors eine vollendete
bringender Hand die Bestandtheile.“ In
Beherrschung des Dialekts. Die hinsichtlich
„Liebelei“, in „Vermächtniss“ hat Schnitzler
ihrer Stimmung wohlverteilten einzelnen Gaben
naturgetreu und ergreifend die Tragödie des
wirkten teilweise ergreifend auf die an¬
„süssen Mädels“ aus der Wiener Vorstadt
dächtigen Zuhörer, theilweise weckten sie grosse
geschrieben, und das „süsse Mädel“ spielt,
Heiterkeit, sodass der Vortragskünstler auch
ohne zu erscheinen, auch in dem kleinen
hier wieder seinen Ruf in jeder Beziehung recht¬
Dialog „Weihnachtseinkäufe“ (aus „Anatol“)
fertigte.
die Hauptrolle, den Marcell Salzer uns
Königsberger Hartungsche Zeitung
gestern hören liess, — das „süsse Mädel“,
(14. 2. 1900). Litterarische Gesellschaft. Kein
welches nur liebt, nicht versteht, und von
geringer Vorzug des vorgestrigen Gesell¬
dem die vornehme Dame, die nur versteht
schaftsabends war es, dass ihm ein ge¬
und nicht zu lieben wagt, mit einem Seufzer
schulter Recitator zur Verfügung stand,
erklärt: „Sie weiss nicht, wie gut sie es hat.“
den man für seinen Vortrag auch wirk¬
Den Schluss der Vorlesung bildete eine
lich verantwortlich machen konnte, anders
Menschen- und Pferdegeschichte von Chr.
wie die lesenden Dichter, die der höfliche
G. Morgenstern, die Geschichte, wie der herab¬
Hörer ja in den meisten Fällen doch nur
gekommene „Privatier“ Rudolf Sommer zur
relativ nehmen darf, und die nicht selten ihre
Nachtzeit berauscht in einem Stall seinen
eigenen Werke durch eine dilettantenhafte
treuesten Freund aus besseren Tagen, sein
Wiedergabe selbst beschädigten. Herr Marcell
Leibross Pascha wiederfindet und darob in
Salzer, der gekommen war, uns mit einigen
ein wildes, heulendes Schluchzen ausbricht,
markantesten Typen der Dichtergruppe „Jung
bis die Polizei kommt und den „Misse¬
Wien“ bekannt zu machen, liest gut, mit
thäter“ von dannen schleppt. Ein ohne Sen¬
vollem Verständniss und lebendigem, wechsel¬
timentalität der Wirklichkeit nachgezeichnetes
reichem Ausdruck und zeigte sich, wo es
Lebens- und Sittenbild von tiefer Wirkung,
darauf ankam, der heitersten Wirkungen im
dessen alter, den wiedergefundenen Herrn
Wiener Dialekt mächtig. Den humoristischen
freudig beschnuppernder Pascha uns an
Plauderton, das flotte Hinundher des Dialogs
Zolas greises Grubenpferd Bataille in Ger¬
beherrscht er à perfection. Er hat die von
minal erinnert hat.
ihm ausgewählten Autoren nicht nur ge¬
Ostpreussische Zeitung (Königsberg
Hermann Bahr’s
14, 2. 1900).
treulich interpretirt und ihrem Worte durch
seinen beseelenden Odem Schwingen ver¬
Humoreske „Die schöne Frau“ wirkte ein¬
liehen, sondern er hat sie auch in einer ge¬
fach köstlich, wie ein erlesener Leckerbissen.
wandt formulirten Einleitung so unwider¬
Aber diese Delikatesse war Sache des Vor¬
stehlich befürwortet, dass ein Zweifel nicht
trags. Herr Marcell Salzer servirte das Ding
mehr übrig blieb.
mit vollendeter Meisterschaft. Wie ent¬
Aber auch ohne das hat sich uns „Jung
zückend las auch Herr Salzer Altenberg’s
Wien“, also die Wiener Gegenwartslitteratur, in
sehr vortheilhaft ausgesuchte Skizzen.
Herrn Salzer gebührt besonderer Dank, dass
Marcell Salzers Vorträgen recht günstig
er uns die Bekanntschaft des Wiener
dargestellt. Die vielfachen Herbheiten und
wunderlichen Geschmacklosigkeiten Jung¬
Dichterkreises in so ausgezeichneter Weise
deutschlands lost die laue Wiener Luft bei
vermittelt und so für unsere Erkenntniss in
den Gleichstrebenden am Donaustrande in
eindrucksvollster Belehrung thätig war. Die
weichere Töne satterer Schönheit auf, der
„Litterarische Gesellschaft“ aber darf mit
voller Befriedigung aufdiesen gelungenen Abend
Harfenklang des Gemüths überrauscht voller
zurückblicken als einen, der ihren Zwecken
den Bombast renommistischer Starkgeisterei,
die Naivität ist echter, weniger gespielt, und
in vollkommener Weise gerecht wurde.
in der Prosa zeitigt die dem Stamme ange¬
Königsberger Tageblatt (14. 2. 1900).
borene Grazie Genrebilder von entzückend
Litterarische Gesellschaft. Jung¬
Wien. d. h. Jie junge und jüngste Litteratur
leichter Pinselführung und geistreicher Pi¬
kanterie. Freilich hatte der Reise-Vorleser
der Kaiserstadt an der Donau, hat gestern
es in seiner Hand, uns nur Blumen und
bei uns einen entschiedenen Sieg errungen.
schmackhafte Früchte darzureichen; dass es
Kein Wunder, denn die Wiener haben im
Leben und Kunst so ein gewisses Etwas, das
in der Masse auch an so manchem Un¬
gerade uns rauhere Norddeutche gewinnt,
kräutlein, so mancher Missbildung nicht
entzückt und gefangen nimmt — so etwas
mangelt, weiss Jeder, der sich nicht auf
Liebes, Sympathisches, Weich-Träumerisches,
Proben beschränkt, sondern die Schule in
Anmutiges, na kurz, so ctwas „Weanerisches“.
ihrer Ganzheit zu studiren versucht.
Unter den sieben Wiener Autoren, welche
Und nun denke man sich eine Schriftsteller¬
Marcell Salzer uns vorführte, warendreinur
gruppe, die ihren höchsten Ehrgeiz darein¬
setzt, diese Wesenheit des Wienerthums auch
durch lyrische Gedichte vertreten, ohne aus¬
künstlerisch zum reifsten und schönsten Aus¬
schliesslich Lyriker zu sein. Jakob Julius
druck zu bringen und eine spezifisch Wiener
David ist in Wien als Dramatiker und
Litteratur ins Leben zu rufen, die so ver¬
als Romancier der Wiener Bohème anerkannt,
teufelt ernst, ja melancholisch-schwermüthig
Hugo v. Hofmannsthal (geboren 1874),
und zugleich so ausbündig lustig und a Bissel
wohl das jüngste Talent der Gruppe, hat
kokett sein kann — nein, muss, denn alle,
sich durch seine eigenartigen phantastisch¬
die diese Litteratur schreiben, sind echtes
naturalistischen Dramen „Die Hochzeit der
Wiener Blut, und „es geht halt net anders.“
Sobeide“ und „Der Abenteurer und die Sän¬
Wir anderen alle haben viel von Hermann
gerin“, nicht nur das Deutsche Theater in
Bahr gehört, aber ihn und seine bunt
Berlin, sondern auch das spröde Wiener
schillernde Art so recht verstehen, würdigen,
Burgtheater erobert, und Anton Lindner
ist in weiteren Kreisen noch mehr durch ausgeniessen — ja dazu mus man wohl
115
und sinniger Ernst zeichnet diese Gruppe
mondainer, mitten aus dem Strudel des Gross¬
stadtlebens schöpfenden, feinnervigen, femi¬
ninen Poetennaturen aus, unter welchen der
problematorische Hermann Bahr, der Liebes¬
schilderer Arthur Schnitzler, Peter Altenberg,
G. Morgenstern, A. Engel, A. Lindner,
J. J. David, C. Karlweis und Chiavacei be¬
reits mehr und mehr bekannt wurden. Die
Reihe der Recitationen wurde mit dem be¬
kannten Dialog „Weihnachtseinkäufe“ aus
A. Schnitzler’s „Anatol“ eröffnet, der ein
heikles Thema mit unerbittlicher psycho¬
logischer Schärfe behandelt und durch Herrn
Salzer ebenso gewandt wie fein nuancirt und
decent zu Gehör gebracht wurde. Ebenso
vorzüglich kamen die beiden Skizzen „Die
Liebe kommt“ und „Ein schweres Herz“ von
Engel und Altenberg zur Geltung, erstere die
Tragik der Convenienz-Ehe, letztere das
Elend moderner Töchtererziehung in
greifender Weise schildernd, ferner das
farbenprächtige Lindner'sche Traumbild „Fern
von Wien“ mit seiner überquellenden Hei¬
mathsehnsucht. Wusste Herr Salzer einer¬
seits die tragische Grundstimmung, die
Sprache mühsam verhaltener Leidenschaft mit
all ihren leise verdämmernden Farbtönen
und Vibrationen voll zur Geltung zu bringen,
so entzückte er andererseits durch seinen
frischen, echt weanerischen Humor in der er¬
götzlichen, leise satirisch wirkenden Scizze
„Die schöne Frau“ von H. Bahr; die Pointen
wirkten gradezu zündend. Zum Schluss gab
das tragi-komische Lebensbild „Das Pferd“
von Morgenstern dem Künstler Gelegenheit,
nochmals sein ausgezeichnetes Vortragstalent,
in vollem Lichte zu zeigen, so dass das
Auditorium mit seinem Beifall nicht kargte
Möchte den Salzer’schen Reci¬
tationen seitens des kunstver¬
ständigen Pubiikums das rege Inter¬
esse zu Theil werden, das sie un¬
streitig nach Form und Inhalt ver¬
dienen.
2. Marcell Salzer-Abend (15. 0. 08).
In einer sorgfältig gewählten Auslese kamen
österreichische Dialect-Dichter zu Worte,
deren Erzählungen und Reime ergötzlichsten
Humor entfalteten; besonderen Anklang selbst
seitens der weiblichen Zuhörerschaft fanden
die zahlreichen Satiren auf das Weib, die in
ihrer gelungenen Fassung nur versöhnen und
erfreuen können. Das aufmerksame Audi¬
torium bekundete durch reichgespendete Bei¬
fallsbezeugungen seine Anerkennung für den
gebotenen Kunstgenuss.
3. Marcell Salzer-Abend (16.9.98).
Am Donnerstag trat Marcell Salzer zum
letzten Male auf; der Saal war bis auf den
letzten Platz gefüllt. Es wurde eine Anzahl
ernster und heiterer Dichtungen aus dem
Programm der beiden ersten Abende in ge¬
schickter Zusammenstellung und in muster¬
hafter Weise geboten, so dass rauschender
Beifall die interessanten Darbietungen lohnte.
Kölnische Zeitung (8. 1. 98). Die
Litterarische Gesellschaft in Köln
brachte an ihrem letzten Gesellschaftsabende
einen Vortrag des Wiener Recitators Marcell
Salzer über Jung-Wien. In einer knappen,
geistvollen Einleitung charakterisirte Salzer
jene unter den modernen Schriftstellern ab¬
geschlossene Gruppe von Dichtern, die sich
in Wien um den vielbewunderten und viel¬
geschmähten Hermann Bahr schaart, und die
aus sich heraus eige specifisch modern¬
wienerische Litteratur geschaffen hat. Ge¬
kennzeichnet wird diese Gruppe durch ihren
gemeinsamen Zug grossstädtischer Lebens¬
lust, der sich jedoch ein Hauch von Melan¬
cholie beimischt, durch eine dem französi¬
schen Wesen nahe stehende Leichtigkeit in
der Behandlung von Sprache und Form und
durch einen gewissen saloppen Humor. In
elegantem Plauderton gab der Recitator zu¬
nächst eine Scene aus Arthur Schnitzler's
„Anatol“. Ihr folgte ein Gedicht von Anton
Lindner, eine feine psychologische Scizze
von Feter Altenberg und eine köstliche
Schluss
Seizze von Hermann Bahr. Den
gefasste
bildete eine in ein Selbstgespräch
novellistische Scizze von Chr. G. Morgen¬
stern, originell in der Form und virtuos
naturwahr in der Sprache. Sie bildete für
Marcell Salzer den Glanzpunkt seiner Vor¬
tragskunst.
Kölner Tageblatt (8. 1. 98) — — Auf
den Gesichtern aller Anwesenden lag ge¬
spannte Neugier, und wenn wir Kölner auch
nicht gerade ein litterarisches Völkchen sind.
negenen e en en dere eneg 1er 1
e enenen e eeeeen
jeweiligen litterarischen Moden, dass die Be¬
bekannt. Die Gedichte, welche uns Herr
zeichnung „Jung-Wien“ unserem Geiste schon
Salzer von den Dreien las, gewährte uns
im Vorhinein eine bestimmte Richtung gab.
allesammt den Eindruck einer hochstrebenden.
Aus diesem Grunde sah man auch Väter
in origineller Bildlichkeit sich berauschenden
mit krauser Stirn dasitzen und lauschen, ob
Phantasie oder einer intimen, still versonnen
Jung-Köln durch Jung-Wien nicht Schaden
und in sich eingesponnenen, müden und doch
nehmen könnte. Doch diese Furcht war un¬
so lebensdurstigen Dichterseele. Sie aufzu¬
begründet. Herr Salzer hat mit grossem
zählen oder gar zu kritisiren, hätte nach dem
Geschick seinen litterarisch geschichtlichen
flüchtigen Genuss durchs Ohr keinen Sinn.
Vortrag eingeleitet und die Proben ausgewählt.
Genug, dass der Wunsch in uns rege ward.
— Der spontane Beifall musste dem Vor¬
von David und namentlich von der starken
tragenden beweisen, dass er auch hier am
Individualität Hofmannsthals mehr kennen
zu lernen.
Rheine seine Mission als Apostel der „Wiener
Moderne“ erfüllt hat.
Die bedeutendste Erscheinung, die an
Kölnische Zeitung (Stadtanzeiger v. 9. 11.
diesem Abend zu Worte kam, war für uns
1800.) Ein besonderer Genuss wurde am Sonn¬
unbedingt Arthur Schnitzler (geb. 1862),
abend Abend den Mitgliedern des Vereins
der Dichter von „Anatol“ von „Liebelei“ und
für Volksbildung sowie zahlreichen Gästen
„Vermächtniss“, Das ist der Wiener in seiner
zu Theil. Herr Marcell Salzer aus Wien
bezauberndsten und künstlerischsten Gestalt
trat als Recitator auf und entzückte durch seine
„Alles fluthet bei ihm durcheinander“ so
meisterhafte Art der Wiedergabe sowohl hoch¬
charakterisirt ihn Alfred Kerr, „Innigkeit und
tragischer als auch humoristischer Dich¬
Eleganz, Weichheit und Tronie, Weltstädtisches
tungen. Neben E. v. Wildenbruch's „Das
und Abseitiges, Lyrik und Feuilletonismus,
Orakel“, dem zweiten Act von Gerh. Haupt¬
Lebensraffinement und volksthümliche Schlicht¬
manns „Die Weber“, sowie Bahr’s Humo¬
heit, Oesterreichisches und Halbfranzösisches,
reske „Die schöne Frau“ brachte Herr Sal¬
Schmerz und Spiel, Lächeln und Sterben.
zer kleinere Dichtungen von D. v. Lilien¬
Ein junger Mann, ein glücklicher Götterfreund
cron und bekundete in Zeichnungen des
ordnet mit weicher, leiser, spielend voll¬
österreichischen Volkshumors eine vollendete
bringender Hand die Bestandtheile.“ In
Beherrschung des Dialekts. Die hinsichtlich
„Liebelei“, in „Vermächtniss“ hat Schnitzler
ihrer Stimmung wohlverteilten einzelnen Gaben
naturgetreu und ergreifend die Tragödie des
wirkten teilweise ergreifend auf die an¬
„süssen Mädels“ aus der Wiener Vorstadt
dächtigen Zuhörer, theilweise weckten sie grosse
geschrieben, und das „süsse Mädel“ spielt,
Heiterkeit, sodass der Vortragskünstler auch
ohne zu erscheinen, auch in dem kleinen
hier wieder seinen Ruf in jeder Beziehung recht¬
Dialog „Weihnachtseinkäufe“ (aus „Anatol“)
fertigte.
die Hauptrolle, den Marcell Salzer uns
Königsberger Hartungsche Zeitung
gestern hören liess, — das „süsse Mädel“,
(14. 2. 1900). Litterarische Gesellschaft. Kein
welches nur liebt, nicht versteht, und von
geringer Vorzug des vorgestrigen Gesell¬
dem die vornehme Dame, die nur versteht
schaftsabends war es, dass ihm ein ge¬
und nicht zu lieben wagt, mit einem Seufzer
schulter Recitator zur Verfügung stand,
erklärt: „Sie weiss nicht, wie gut sie es hat.“
den man für seinen Vortrag auch wirk¬
Den Schluss der Vorlesung bildete eine
lich verantwortlich machen konnte, anders
Menschen- und Pferdegeschichte von Chr.
wie die lesenden Dichter, die der höfliche
G. Morgenstern, die Geschichte, wie der herab¬
Hörer ja in den meisten Fällen doch nur
gekommene „Privatier“ Rudolf Sommer zur
relativ nehmen darf, und die nicht selten ihre
Nachtzeit berauscht in einem Stall seinen
eigenen Werke durch eine dilettantenhafte
treuesten Freund aus besseren Tagen, sein
Wiedergabe selbst beschädigten. Herr Marcell
Leibross Pascha wiederfindet und darob in
Salzer, der gekommen war, uns mit einigen
ein wildes, heulendes Schluchzen ausbricht,
markantesten Typen der Dichtergruppe „Jung
bis die Polizei kommt und den „Misse¬
Wien“ bekannt zu machen, liest gut, mit
thäter“ von dannen schleppt. Ein ohne Sen¬
vollem Verständniss und lebendigem, wechsel¬
timentalität der Wirklichkeit nachgezeichnetes
reichem Ausdruck und zeigte sich, wo es
Lebens- und Sittenbild von tiefer Wirkung,
darauf ankam, der heitersten Wirkungen im
dessen alter, den wiedergefundenen Herrn
Wiener Dialekt mächtig. Den humoristischen
freudig beschnuppernder Pascha uns an
Plauderton, das flotte Hinundher des Dialogs
Zolas greises Grubenpferd Bataille in Ger¬
beherrscht er à perfection. Er hat die von
minal erinnert hat.
ihm ausgewählten Autoren nicht nur ge¬
Ostpreussische Zeitung (Königsberg
Hermann Bahr’s
14, 2. 1900).
treulich interpretirt und ihrem Worte durch
seinen beseelenden Odem Schwingen ver¬
Humoreske „Die schöne Frau“ wirkte ein¬
liehen, sondern er hat sie auch in einer ge¬
fach köstlich, wie ein erlesener Leckerbissen.
wandt formulirten Einleitung so unwider¬
Aber diese Delikatesse war Sache des Vor¬
stehlich befürwortet, dass ein Zweifel nicht
trags. Herr Marcell Salzer servirte das Ding
mehr übrig blieb.
mit vollendeter Meisterschaft. Wie ent¬
Aber auch ohne das hat sich uns „Jung
zückend las auch Herr Salzer Altenberg’s
Wien“, also die Wiener Gegenwartslitteratur, in
sehr vortheilhaft ausgesuchte Skizzen.
Herrn Salzer gebührt besonderer Dank, dass
Marcell Salzers Vorträgen recht günstig
er uns die Bekanntschaft des Wiener
dargestellt. Die vielfachen Herbheiten und
wunderlichen Geschmacklosigkeiten Jung¬
Dichterkreises in so ausgezeichneter Weise
deutschlands lost die laue Wiener Luft bei
vermittelt und so für unsere Erkenntniss in
den Gleichstrebenden am Donaustrande in
eindrucksvollster Belehrung thätig war. Die
weichere Töne satterer Schönheit auf, der
„Litterarische Gesellschaft“ aber darf mit
voller Befriedigung aufdiesen gelungenen Abend
Harfenklang des Gemüths überrauscht voller
zurückblicken als einen, der ihren Zwecken
den Bombast renommistischer Starkgeisterei,
die Naivität ist echter, weniger gespielt, und
in vollkommener Weise gerecht wurde.
in der Prosa zeitigt die dem Stamme ange¬
Königsberger Tageblatt (14. 2. 1900).
borene Grazie Genrebilder von entzückend
Litterarische Gesellschaft. Jung¬
Wien. d. h. Jie junge und jüngste Litteratur
leichter Pinselführung und geistreicher Pi¬
kanterie. Freilich hatte der Reise-Vorleser
der Kaiserstadt an der Donau, hat gestern
es in seiner Hand, uns nur Blumen und
bei uns einen entschiedenen Sieg errungen.
schmackhafte Früchte darzureichen; dass es
Kein Wunder, denn die Wiener haben im
Leben und Kunst so ein gewisses Etwas, das
in der Masse auch an so manchem Un¬
gerade uns rauhere Norddeutche gewinnt,
kräutlein, so mancher Missbildung nicht
entzückt und gefangen nimmt — so etwas
mangelt, weiss Jeder, der sich nicht auf
Liebes, Sympathisches, Weich-Träumerisches,
Proben beschränkt, sondern die Schule in
Anmutiges, na kurz, so ctwas „Weanerisches“.
ihrer Ganzheit zu studiren versucht.
Unter den sieben Wiener Autoren, welche
Und nun denke man sich eine Schriftsteller¬
Marcell Salzer uns vorführte, warendreinur
gruppe, die ihren höchsten Ehrgeiz darein¬
setzt, diese Wesenheit des Wienerthums auch
durch lyrische Gedichte vertreten, ohne aus¬
künstlerisch zum reifsten und schönsten Aus¬
schliesslich Lyriker zu sein. Jakob Julius
druck zu bringen und eine spezifisch Wiener
David ist in Wien als Dramatiker und
Litteratur ins Leben zu rufen, die so ver¬
als Romancier der Wiener Bohème anerkannt,
teufelt ernst, ja melancholisch-schwermüthig
Hugo v. Hofmannsthal (geboren 1874),
und zugleich so ausbündig lustig und a Bissel
wohl das jüngste Talent der Gruppe, hat
kokett sein kann — nein, muss, denn alle,
sich durch seine eigenartigen phantastisch¬
die diese Litteratur schreiben, sind echtes
naturalistischen Dramen „Die Hochzeit der
Wiener Blut, und „es geht halt net anders.“
Sobeide“ und „Der Abenteurer und die Sän¬
Wir anderen alle haben viel von Hermann
gerin“, nicht nur das Deutsche Theater in
Bahr gehört, aber ihn und seine bunt
Berlin, sondern auch das spröde Wiener
schillernde Art so recht verstehen, würdigen,
Burgtheater erobert, und Anton Lindner
ist in weiteren Kreisen noch mehr durch ausgeniessen — ja dazu mus man wohl
115