2. Cuttings box 37/3
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baren Selma Lagerlof sich das Vertrauen derer zu gewinnen,
die nicht alles esen können und sie nebenher auch an den
Wert des Herrn Schnitzler glauben zu machen. Nur könnte
so einer ja auch Herrn Schnitzler unglücklicherweise gerade ge¬
lesen haben. Armer Raabe! Arme Prophetin unendlicher
Frauengüte! Was täte es denn sonst viel, wenn die
schönumschneiderte Modedame, deren Inhalt im Alltags¬
kleide Hohn und Spott, oder auch nicht einmal das
finden würde, ihr Rudel Hanswurste hinter sic, dreinzöge,
keine gute deutsche Frau wird die Gefeierte um ihre Gefolg¬
schaft beneiden. Sie weiß, daß sie, wie unbeachtet sie sich
auch mit aller ihrer Segenskraft fühlen mag, doch unendlich
viel glücklicher daran ist. Und so weiß es die Kunst gegen¬
über der literarischen Mode. Aber wenn man die Kraft jener
in sich fühlt, wie diese behandelt zu werden, das ist peinlich.
Trotz allem nun steckt etwas Ewiges auch in jeder Mode.
Das Wesen der Mode ist ein Sichversteifen auf eine Neben¬
sache, auf eine Aeußerlichkeit. Dem folgt die Uebertreibung
mit Sicherheit da, wo Unfähigkeit oder doch Unreife sich der
Mode bemächtigen. Uebertreibungen und das Hervor¬
kehren des Unnötigen zeichnen immer das Werk
aus, das sich nicht von innen heraus naturnotwendig
nach ihm innewohnenden Gesetzen bildet, zeigen sich da,
wo nicht vornehmlich die Seele den Leib, sondern der
Leib die Seele macht. Unwesentliches schießt ins Kraut, wenn
von außen Absicht, Tendenz, Mode in entscheidender Weise mit¬
formen dürfen oder gar als die eigentlichen Erzeuger sich nur
des Kopfes und der Hand des Dichters bedienen. Manredet dann
plötzlich von Naturalismus, Symbolismitis, Impressionismus,
Aestheticismus und Neuromantik. Von alledem kann am
echten Kunstwerk etwas haften. Das was es zum Kunst¬
werk macht, das Wesentliche und Wertbestimmende an ihm
freilich ist etwas ganz anderes.
Es ist wohl denkbar, das einmal das Gestalten des
Wesentlichen statt des Unwesentlichen, des Schönen statt der
Auswüchse Mode würde. Nur würde der Umstand, daß es
Mode ist, dann ein Beweis dafür sein, daß sein Ewigkeits¬
gehalt nicht erkannt würde, und daß es wieder verdrängt
werden müßte durch das, was unschöner und oberflächlicher
ist, als wäre dies ihm völlig gleichwertig.
Vorläufig brauchen wir meiner Ansicht nach, noch
nicht zu bedauern, daß was heute Mode ist, es morgen
nicht mehr sein wird. Wenigstens, wenn ich den bei
Wertheim von H. H. Ewers herausgegebenen „Führer
durch die moderne Literatur" für orientiert halten
will. Wir erfahren da, daß Jakob Wassermann „einer von
den wenigen modernen Dichtern ist, bei denen Verstand
und Gefühl harmonisch wirksam sind“, Arthur Schnitzler fü
„einen modernen Dichter ersten Ranges“ anzusehen ist,
Scheerbart „unser allerfeinster Humorist", Baar „eine der
liebenswürdigsten Erscheinungen unserer Literatur“, die „einzige
in deutscher Sprache schreibende Frau der Modernen aber, die eine
starke Empfindung für alles Psychologische hatte“, — Juliane
Déry ist. Ferner wird uns mitgeteilt: „Bei Freußen wälzt sich!
die Handlung breit in ungezählten Kapiteln daher, um der
Prophetenbegeisterung der Braven und Bescheidenen Nahrung
und Glaubwürdigkeit (?) zu schaffen.“ Sohnrey ist „ver¬
wässerter Auerbach“. Bei Schoenaich=Carolath „ist alles gut,
nur vermißt man die hinter den Worten stehende starke
Persönlichkeit“. Nicht nur Lienhard, sondern auch Weigand
ist „ein sehr bescheidenes Talent, das aber auf hohem
Kothürn daher marschiert". Bartels existiert gar nicht
und nach dem „immer noch so sehr über¬
schätzten Hebbel (warum nicht Herrn Hebbel?) wird ge¬
legentlich ein Seitenhieb geführt. Wedekind aber „hat als
Dichter und als Satiriker einen Platz unter den erstenk
lebenden Künstlern zu beanspruchen.
Wer darauf aus ist, für einen gesellschaftsfähigen Kenner
unserer Literatur gehalten zu werden und dabei Neigung zu
nicht tagesgemäßen Ansichten verspürt, die ihn kompromit¬
tieren könnten, oder wer so schlimm daran ist, keinerlei
eigenes Urteil zu haben und ein unerschütterliches Vertrauen
in die Solidität aller Erzeugnisse des Hauses Wertheim
setzt, der wird freilich gut tun, sich schleunigst den Führer aus
dem „Globus=Verlag“ zu kaufen. Kostet mit Ansichten
9 Nickelgroschen und ist außer von H. H. Ewers gezeichnet
von Victor Hadwiger, Erich Mühsam, René Schickele und
einem Doktor Bläsing, der es sich speziell zur Aufgabe
ge¬
macht hat, die sogenannte „Heimatkunst“ totzutreten. Zus1
ihren Vertretern rechnet er den Elsässer Lienhard, — ob um
seines König Arthur oder der Wartburgtrilogie willen, sagts:
er nicht — nicht aber den Lübecker Thomas Mann, den Ver=!
fasser der Buddenbroks. Er will auch wohl weniger sagen,
die Heimatkünstler passen uns nicht, als die, welche uns
nicht passen, nennen wir „Heimatkünstler.“ Das zu erfahren
ist aus mancherlei Gründen interessant. Es ist eine der###
Schnurrigkeiten, die die literarische Mode zeiligte, und etwas
mehr.
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baren Selma Lagerlof sich das Vertrauen derer zu gewinnen,
die nicht alles esen können und sie nebenher auch an den
Wert des Herrn Schnitzler glauben zu machen. Nur könnte
so einer ja auch Herrn Schnitzler unglücklicherweise gerade ge¬
lesen haben. Armer Raabe! Arme Prophetin unendlicher
Frauengüte! Was täte es denn sonst viel, wenn die
schönumschneiderte Modedame, deren Inhalt im Alltags¬
kleide Hohn und Spott, oder auch nicht einmal das
finden würde, ihr Rudel Hanswurste hinter sic, dreinzöge,
keine gute deutsche Frau wird die Gefeierte um ihre Gefolg¬
schaft beneiden. Sie weiß, daß sie, wie unbeachtet sie sich
auch mit aller ihrer Segenskraft fühlen mag, doch unendlich
viel glücklicher daran ist. Und so weiß es die Kunst gegen¬
über der literarischen Mode. Aber wenn man die Kraft jener
in sich fühlt, wie diese behandelt zu werden, das ist peinlich.
Trotz allem nun steckt etwas Ewiges auch in jeder Mode.
Das Wesen der Mode ist ein Sichversteifen auf eine Neben¬
sache, auf eine Aeußerlichkeit. Dem folgt die Uebertreibung
mit Sicherheit da, wo Unfähigkeit oder doch Unreife sich der
Mode bemächtigen. Uebertreibungen und das Hervor¬
kehren des Unnötigen zeichnen immer das Werk
aus, das sich nicht von innen heraus naturnotwendig
nach ihm innewohnenden Gesetzen bildet, zeigen sich da,
wo nicht vornehmlich die Seele den Leib, sondern der
Leib die Seele macht. Unwesentliches schießt ins Kraut, wenn
von außen Absicht, Tendenz, Mode in entscheidender Weise mit¬
formen dürfen oder gar als die eigentlichen Erzeuger sich nur
des Kopfes und der Hand des Dichters bedienen. Manredet dann
plötzlich von Naturalismus, Symbolismitis, Impressionismus,
Aestheticismus und Neuromantik. Von alledem kann am
echten Kunstwerk etwas haften. Das was es zum Kunst¬
werk macht, das Wesentliche und Wertbestimmende an ihm
freilich ist etwas ganz anderes.
Es ist wohl denkbar, das einmal das Gestalten des
Wesentlichen statt des Unwesentlichen, des Schönen statt der
Auswüchse Mode würde. Nur würde der Umstand, daß es
Mode ist, dann ein Beweis dafür sein, daß sein Ewigkeits¬
gehalt nicht erkannt würde, und daß es wieder verdrängt
werden müßte durch das, was unschöner und oberflächlicher
ist, als wäre dies ihm völlig gleichwertig.
Vorläufig brauchen wir meiner Ansicht nach, noch
nicht zu bedauern, daß was heute Mode ist, es morgen
nicht mehr sein wird. Wenigstens, wenn ich den bei
Wertheim von H. H. Ewers herausgegebenen „Führer
durch die moderne Literatur" für orientiert halten
will. Wir erfahren da, daß Jakob Wassermann „einer von
den wenigen modernen Dichtern ist, bei denen Verstand
und Gefühl harmonisch wirksam sind“, Arthur Schnitzler fü
„einen modernen Dichter ersten Ranges“ anzusehen ist,
Scheerbart „unser allerfeinster Humorist", Baar „eine der
liebenswürdigsten Erscheinungen unserer Literatur“, die „einzige
in deutscher Sprache schreibende Frau der Modernen aber, die eine
starke Empfindung für alles Psychologische hatte“, — Juliane
Déry ist. Ferner wird uns mitgeteilt: „Bei Freußen wälzt sich!
die Handlung breit in ungezählten Kapiteln daher, um der
Prophetenbegeisterung der Braven und Bescheidenen Nahrung
und Glaubwürdigkeit (?) zu schaffen.“ Sohnrey ist „ver¬
wässerter Auerbach“. Bei Schoenaich=Carolath „ist alles gut,
nur vermißt man die hinter den Worten stehende starke
Persönlichkeit“. Nicht nur Lienhard, sondern auch Weigand
ist „ein sehr bescheidenes Talent, das aber auf hohem
Kothürn daher marschiert". Bartels existiert gar nicht
und nach dem „immer noch so sehr über¬
schätzten Hebbel (warum nicht Herrn Hebbel?) wird ge¬
legentlich ein Seitenhieb geführt. Wedekind aber „hat als
Dichter und als Satiriker einen Platz unter den erstenk
lebenden Künstlern zu beanspruchen.
Wer darauf aus ist, für einen gesellschaftsfähigen Kenner
unserer Literatur gehalten zu werden und dabei Neigung zu
nicht tagesgemäßen Ansichten verspürt, die ihn kompromit¬
tieren könnten, oder wer so schlimm daran ist, keinerlei
eigenes Urteil zu haben und ein unerschütterliches Vertrauen
in die Solidität aller Erzeugnisse des Hauses Wertheim
setzt, der wird freilich gut tun, sich schleunigst den Führer aus
dem „Globus=Verlag“ zu kaufen. Kostet mit Ansichten
9 Nickelgroschen und ist außer von H. H. Ewers gezeichnet
von Victor Hadwiger, Erich Mühsam, René Schickele und
einem Doktor Bläsing, der es sich speziell zur Aufgabe
ge¬
macht hat, die sogenannte „Heimatkunst“ totzutreten. Zus1
ihren Vertretern rechnet er den Elsässer Lienhard, — ob um
seines König Arthur oder der Wartburgtrilogie willen, sagts:
er nicht — nicht aber den Lübecker Thomas Mann, den Ver=!
fasser der Buddenbroks. Er will auch wohl weniger sagen,
die Heimatkünstler passen uns nicht, als die, welche uns
nicht passen, nennen wir „Heimatkünstler.“ Das zu erfahren
ist aus mancherlei Gründen interessant. Es ist eine der###
Schnurrigkeiten, die die literarische Mode zeiligte, und etwas
mehr.