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2. Cuttings
601- S
810
1440
SCHATTENSPIELE.
22
Noch ein Wort über Schnitzler.
Von Dr. H. Friedemann.
Nachdruck verboten.
Das Mai-Juni-Heft dieser Zeitschrift brachte über
Jahrhundertelange Jnnenschau hat der Phantasiewelt des
Arthur Schnitzler einen Aufsatz, der das Schaffen des
jüdischen Dichters das seltsam Körperlose gegeben, ein
Wiener Dichters von den Problemen der Liebe und des
Gebilde aus haarscharfen Abstraktionen, Lichten, Farben
Todes aus beleuchtete.
und Tönen, flimmernd wie in heisser Luft ... Seinem
Hier sei eine andere Seite dieser eigenartigen Dichtung
Auge, das in naturalistischer Zeit nach gestaltbarer
gezeigt, die mir für die Kultur des Jungwienertums
Wirklichkeit verlangte, zeigte die Aussenwelt ein fremdes
besonders charakteristisch scheint.
und unheimliches Antlitz. Der Fuss scheint ins Leere
Eigenartig und seltsam beherrscht ein Empfinden
zu treten, die suchende Hand nach Schatten zu greifen.
die ganze Gr.ppe, und sie sucht ihm immer neue Formen
Der Gestalter verlangt nach Dingen und sieht Er¬
zu finden; das Gefühl des Unwirklichen.
scheinungen. Die Brücke, die der naive Sinn vom Ich
Ist vordem alle Poesie bestrebt gewesen, dem traum¬
zum Mitmenschen schlug, ist zerbrochen; auch der Mensch
haft Enteilenden Wirklichkeit zu geben, so versuchen
wird zum Bilde unter Bildern, zu einem fremdartigen Stück
diese Dichter, gerade das geheimisvoll schreckende
Aussenwelt. Seine Worte und Geberden, zum ersten
Empfinden darzustellen, dem die realste Aussenwelt in
Mal in einfacher, physischer Tatsächlichkeit empfunden,
wankende Schatten zerfliesst. Was hat diese Gefühlsweise
wirken als sinnliche Erscheinungen wie alle anderen,
möglich geinacht? Zweierlei: Romantik und Judentum.
inkommensurabel und unverständlich in ihrem Innenwesen
„Schattenküsse, Schattenliebe.
wie Windesrauschen und Lichtreflexe. Das Innenleben,
Schattenleben wunderbar.“ — Heine hat den Ton
das den Automaten bewegt, wird zur ungreifbaren
wieder angeschlagen, der schon in der Illusionskomödie
Hypothese; denn kein Weg führt zur fremden Seele
Tiecks erklungen war — der heute so oft erklingt. Am
hinüber. Ein Orchester ohne Melodie, ein Farbenspiel
wundervollsten in Hoffmannsthals Versen:
ohne Körper, erscheint die Aussenwelt wie absurde Laune,
das Wirkliche Richt sinnvoller noch wahrscheinlicher als
„Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt.
das Unwirkliche. Diese Dichter sehen die Welt gleichsam
Und viel zu grauenvoll, als dass man klage:
zweidimensional, in Bilderreihen; das mimmt den Vor¬
Dass alles gleitet und vorüberrinnt...
gängen ihrer Dichtung die Wucht des Wirklichen; erlaubt
oder in der dämmerhaft versinkenden „Ballade des
ihnen, das Leben als Schattenspiel zu behandeln.
äusseren Lebens“, Hoffmannsthals Verse, die so verblüffend
Aus solcher Stimmung gestaltet Schnitzler. Von
genial zu Schnitzlers Dramoleter die Ouvertüre spielten,
hier aus erklären sich auch seine schwachen Schöpfungen:
haben ihre Stimmung und Melodie über das Gesamtwerk
der „Ruf des Lebens“ und die „Marionetten“.
des älteren Dichters gebreitet: sie haben ihn in Musik
Schnitzler fiel im Kreise der Jungwiener die Auf¬
gesetzt, und wenn sie in den Zwischenakten erklingen,
gabe zu, die etwa Tieck bei den Romantikern hatte.
scheint der feinste Reiz dieser Dramatik in ihnen
Die Stimmungen und Ahnungen der Dichtergruppe zu
verdichtet.
gestalten; Aufschlüsse zu geben; als dramatisch begabter
Jedenfalls enthalten sie die Stimmung, die Schnitzler
Konferencier zum Publikum zu sprechen. Er ist unter
und dem ganzen Jungwienertum gemeinsam ist: das
den wesensverwandten Poeten der bewussteste; am meisten
Zerfliessen des Wirklichkeitsbewusstseins. Diese Dichter
Artist. Sein Verhängnis in den letzten beiden Dramen
haben eine letzte menschliche Naivität verloren: Das
war der Wunsch, zu verdeutlichen; der Trieb, an einem
Gefühl des Realen. Sie stehen vor der Welt mit Hoff¬
P’aradigma die selbsterkannte Wesensart zu demonstriefen;
mannsthals tiefem Erstaunen. Das Wirklichste wird
und, zumal in den „Marionetten“, die Zuschauer hinter
zur Illusion; das Sinnfällige unwahrscheinlich. Alles
die Kulissen dichterischen Schaffens blicken zu lassen:
Seiende scheint sich mit rätselvoller Willkür in den Raum
psychologische Aufschlüsse zu geben. Schnitzler ist, nach
zu drängen; die Menschen regen sich sinnlos wie Automaten;
Novalis feinem Wort, zu sehr sein eigener Leser gewesen,
ihre Worte schlagen als leere Schallwellen an die un¬
so dass er die „literarische Unschuld“ darüber verloren
durchdringliche Einsamkeit des Ich. Und dieses Ich
hat. Das künstlerische Bild, das ihm die Lektüre seiner
selbst, seiner Einheit beraubt durch die Kritik des
Werke spiegelte, musste etwa dies sein: Dichter der
Philosophen, betäubt im Chaos unbegriffener Erscheinungen,
Grenzfälle. Heimisch im Zwischenreich, um das Illusion
sicht sich mit fassungslosem Erstaunen reden, handeln
und Wirklichkeit schaukeln. Der Künder verschwiegener
und dahingleiten, sich selbst „wie ein Hund unheimlich
Währheiten und sekundenlanger Erkenntnisse. Der ver¬
stumm und fremd“
hüllte Gebieter über Schatten und Masken. Das ist es,
So grübelt Hloffmannsthal über die Seltsamkeit der
was in populärer Vergröberung vor den Kulissen der
Dinge. So vertauscht Schnitzler in Dramen und Komödien
„Ruf des Lebens“, hinter den Kulissen die „Marionetten“
Wahrheit und Illusion. So überfällt in jedem Roman
zeigen sollten.
Wassermanns den einen oder anderen dies jähe Gefühl.
Stärker hat andere, aus Judentum und Romantik
das den Boden unter dem Schreitenden wanken macht:
gemischt, das Gefühl unlebendiger Erstarrung der Aussen¬
„Sein Anblick war unglaubwürdig, dass er sprechen
welt bezwungen. Schnitzler ist es auferlegt, dies Gefühl
konnte, war erstaunlich
Plötzlich erscheinen
zu gestalten. Und er tut es mit der überwachen Bewusst¬
alle äusseren Dinge wie etwas Niegesehenes, sinnlos und
heit, die immer in romantischen Zeiten gerade der
zufällig, und doch von der unabweisbaren Tatsächlichkeit
feinsten poetischen Erkenntnis die Quellen unmittelbaren
der Sinneseindrücke.
dichterischen Schaffens verschüttet hat.
Dies Seltsame, das auch Schnitzler immer wieder
Dennoch: wenn er seine Puppen tanzen lässt und
zu gestalten sucht, ist jüdisches Erbteil. Die modern
seine Masken vorbindet, schreiten auch über seine bunte
verfeinerte Eigenart der Rasse, die bei allem praktischen
Bühne die seltsamen Schatten des Unwirklichen, die einer
Sinn im kontemplativen, künstlerischen Anschauen der
sensiblen Dichtergeneration das grosse Rätsel des
Aussenwelt wie keine andere wirklichkeitsfern ist.
Seienden bedeuten.
2. Cuttings
601- S
810
1440
SCHATTENSPIELE.
22
Noch ein Wort über Schnitzler.
Von Dr. H. Friedemann.
Nachdruck verboten.
Das Mai-Juni-Heft dieser Zeitschrift brachte über
Jahrhundertelange Jnnenschau hat der Phantasiewelt des
Arthur Schnitzler einen Aufsatz, der das Schaffen des
jüdischen Dichters das seltsam Körperlose gegeben, ein
Wiener Dichters von den Problemen der Liebe und des
Gebilde aus haarscharfen Abstraktionen, Lichten, Farben
Todes aus beleuchtete.
und Tönen, flimmernd wie in heisser Luft ... Seinem
Hier sei eine andere Seite dieser eigenartigen Dichtung
Auge, das in naturalistischer Zeit nach gestaltbarer
gezeigt, die mir für die Kultur des Jungwienertums
Wirklichkeit verlangte, zeigte die Aussenwelt ein fremdes
besonders charakteristisch scheint.
und unheimliches Antlitz. Der Fuss scheint ins Leere
Eigenartig und seltsam beherrscht ein Empfinden
zu treten, die suchende Hand nach Schatten zu greifen.
die ganze Gr.ppe, und sie sucht ihm immer neue Formen
Der Gestalter verlangt nach Dingen und sieht Er¬
zu finden; das Gefühl des Unwirklichen.
scheinungen. Die Brücke, die der naive Sinn vom Ich
Ist vordem alle Poesie bestrebt gewesen, dem traum¬
zum Mitmenschen schlug, ist zerbrochen; auch der Mensch
haft Enteilenden Wirklichkeit zu geben, so versuchen
wird zum Bilde unter Bildern, zu einem fremdartigen Stück
diese Dichter, gerade das geheimisvoll schreckende
Aussenwelt. Seine Worte und Geberden, zum ersten
Empfinden darzustellen, dem die realste Aussenwelt in
Mal in einfacher, physischer Tatsächlichkeit empfunden,
wankende Schatten zerfliesst. Was hat diese Gefühlsweise
wirken als sinnliche Erscheinungen wie alle anderen,
möglich geinacht? Zweierlei: Romantik und Judentum.
inkommensurabel und unverständlich in ihrem Innenwesen
„Schattenküsse, Schattenliebe.
wie Windesrauschen und Lichtreflexe. Das Innenleben,
Schattenleben wunderbar.“ — Heine hat den Ton
das den Automaten bewegt, wird zur ungreifbaren
wieder angeschlagen, der schon in der Illusionskomödie
Hypothese; denn kein Weg führt zur fremden Seele
Tiecks erklungen war — der heute so oft erklingt. Am
hinüber. Ein Orchester ohne Melodie, ein Farbenspiel
wundervollsten in Hoffmannsthals Versen:
ohne Körper, erscheint die Aussenwelt wie absurde Laune,
das Wirkliche Richt sinnvoller noch wahrscheinlicher als
„Dies ist ein Ding, das keiner voll aussinnt.
das Unwirkliche. Diese Dichter sehen die Welt gleichsam
Und viel zu grauenvoll, als dass man klage:
zweidimensional, in Bilderreihen; das mimmt den Vor¬
Dass alles gleitet und vorüberrinnt...
gängen ihrer Dichtung die Wucht des Wirklichen; erlaubt
oder in der dämmerhaft versinkenden „Ballade des
ihnen, das Leben als Schattenspiel zu behandeln.
äusseren Lebens“, Hoffmannsthals Verse, die so verblüffend
Aus solcher Stimmung gestaltet Schnitzler. Von
genial zu Schnitzlers Dramoleter die Ouvertüre spielten,
hier aus erklären sich auch seine schwachen Schöpfungen:
haben ihre Stimmung und Melodie über das Gesamtwerk
der „Ruf des Lebens“ und die „Marionetten“.
des älteren Dichters gebreitet: sie haben ihn in Musik
Schnitzler fiel im Kreise der Jungwiener die Auf¬
gesetzt, und wenn sie in den Zwischenakten erklingen,
gabe zu, die etwa Tieck bei den Romantikern hatte.
scheint der feinste Reiz dieser Dramatik in ihnen
Die Stimmungen und Ahnungen der Dichtergruppe zu
verdichtet.
gestalten; Aufschlüsse zu geben; als dramatisch begabter
Jedenfalls enthalten sie die Stimmung, die Schnitzler
Konferencier zum Publikum zu sprechen. Er ist unter
und dem ganzen Jungwienertum gemeinsam ist: das
den wesensverwandten Poeten der bewussteste; am meisten
Zerfliessen des Wirklichkeitsbewusstseins. Diese Dichter
Artist. Sein Verhängnis in den letzten beiden Dramen
haben eine letzte menschliche Naivität verloren: Das
war der Wunsch, zu verdeutlichen; der Trieb, an einem
Gefühl des Realen. Sie stehen vor der Welt mit Hoff¬
P’aradigma die selbsterkannte Wesensart zu demonstriefen;
mannsthals tiefem Erstaunen. Das Wirklichste wird
und, zumal in den „Marionetten“, die Zuschauer hinter
zur Illusion; das Sinnfällige unwahrscheinlich. Alles
die Kulissen dichterischen Schaffens blicken zu lassen:
Seiende scheint sich mit rätselvoller Willkür in den Raum
psychologische Aufschlüsse zu geben. Schnitzler ist, nach
zu drängen; die Menschen regen sich sinnlos wie Automaten;
Novalis feinem Wort, zu sehr sein eigener Leser gewesen,
ihre Worte schlagen als leere Schallwellen an die un¬
so dass er die „literarische Unschuld“ darüber verloren
durchdringliche Einsamkeit des Ich. Und dieses Ich
hat. Das künstlerische Bild, das ihm die Lektüre seiner
selbst, seiner Einheit beraubt durch die Kritik des
Werke spiegelte, musste etwa dies sein: Dichter der
Philosophen, betäubt im Chaos unbegriffener Erscheinungen,
Grenzfälle. Heimisch im Zwischenreich, um das Illusion
sicht sich mit fassungslosem Erstaunen reden, handeln
und Wirklichkeit schaukeln. Der Künder verschwiegener
und dahingleiten, sich selbst „wie ein Hund unheimlich
Währheiten und sekundenlanger Erkenntnisse. Der ver¬
stumm und fremd“
hüllte Gebieter über Schatten und Masken. Das ist es,
So grübelt Hloffmannsthal über die Seltsamkeit der
was in populärer Vergröberung vor den Kulissen der
Dinge. So vertauscht Schnitzler in Dramen und Komödien
„Ruf des Lebens“, hinter den Kulissen die „Marionetten“
Wahrheit und Illusion. So überfällt in jedem Roman
zeigen sollten.
Wassermanns den einen oder anderen dies jähe Gefühl.
Stärker hat andere, aus Judentum und Romantik
das den Boden unter dem Schreitenden wanken macht:
gemischt, das Gefühl unlebendiger Erstarrung der Aussen¬
„Sein Anblick war unglaubwürdig, dass er sprechen
welt bezwungen. Schnitzler ist es auferlegt, dies Gefühl
konnte, war erstaunlich
Plötzlich erscheinen
zu gestalten. Und er tut es mit der überwachen Bewusst¬
alle äusseren Dinge wie etwas Niegesehenes, sinnlos und
heit, die immer in romantischen Zeiten gerade der
zufällig, und doch von der unabweisbaren Tatsächlichkeit
feinsten poetischen Erkenntnis die Quellen unmittelbaren
der Sinneseindrücke.
dichterischen Schaffens verschüttet hat.
Dies Seltsame, das auch Schnitzler immer wieder
Dennoch: wenn er seine Puppen tanzen lässt und
zu gestalten sucht, ist jüdisches Erbteil. Die modern
seine Masken vorbindet, schreiten auch über seine bunte
verfeinerte Eigenart der Rasse, die bei allem praktischen
Bühne die seltsamen Schatten des Unwirklichen, die einer
Sinn im kontemplativen, künstlerischen Anschauen der
sensiblen Dichtergeneration das grosse Rätsel des
Aussenwelt wie keine andere wirklichkeitsfern ist.
Seienden bedeuten.