VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 65

2. Cuttings
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P8 Das literarische
406 Prof. Rich. M. Meyer: 183888241
von Grund aus lyrisch ist und auch die Ge¬
Wiener Dramatikern werden es Mittel, und
Hofmann versuchte es zu erneuern. Frei¬
danken nur als Werkzeug der Stimmung
Hauptzweck wird die Stimmung. Und hier
lich, bis in das tiefste Geheimnis der Men¬
nutzt. Denn auch diese Essays sind lyrische
treffen sie dann mit der norddeutschen Mi¬
schen tauchte auch er nicht, und der plötzliche
Rhapsodien, in denen der Reiz ausgelöst
lieukunst, mit Hauptmanns Stimmungsdra¬
Fall der tugendhaften Gattin bleibt ein
wird, den Shakespeares Dramen, Georges
matik zusammen.
dichterischer Gewaltakt. Aber wo der mo¬
Dichtungen, Altenbergs Skizzen auf den
Aber ein echter Wiener, ein typischer Jung¬
derne Dichter sein eigenes Fühlen in die
liebenswürdig empfänglichen Freund aus¬
wiener bleibt Hofmannsthal; nur daß er
fremden Seelen gelegt hat, da erklingen
geübt haben. Auch sie zeigen noch mit Bahrs
neben Schnitzler bei weitem der größte unter
wundervolle Töne: in den Klagen des Hel¬
kritischen Umdichtungen Verwandtschaft, hal¬
ihnen ist. Darum auch gerade wird er jetzt
den, in der Beichte des Richters von seiner
ten sich aber freilich auf ganz anderer Höhe
so unerbittlich angefeindet. Er sei nur ein
eigenen Unsicherheit oder in der prachtvollen
der Stimmung; und eben deshalb ist es
Virtuos der Worte, heißt es immer wieder.
Nebenfigur des Virtuosen, den der Verlust
gerade hier, wo doch die volle Klarheit ver¬
Wortkunst gebe er statt Poesie. Nur eins
seiner Stimme zum schlechten Kerl gemacht
standesmäßigen Denkens erfordert wird, der
übersieht man dabei: daß die Worte für
hat. Dazu dann weiter eine bewunderns¬
Versuchung wirklich nicht immer entgangen,
Hofmannsthal Wert haben nur wegen ihres
werte Schulung des äußeren Sinns; die
vor solcher störenden Helligkeit sich in das
Stimmungsgehalts.
Theaterdekoration, das Bühnenbild als Sym¬
wohlige Helldunkel tönender, klingender
Nein, er gehört doch nicht zu denen, die
bol der Handlung und doch voll eigenen
Wortlaute zu flüchten.
nur „mit Worten Musik machen“, so groß
Zaubers. Wer kann den unvergleichlichen
Um so höher muß es gerade diesem Ta¬
auch oft der Reiz ist, den der bloße Klang
Eindruck jener Szene vergessen, da in dem
lent, das sich so gern auf dem schwellenden
von Lieblingsworten auf ihn ausübt. Was
verdüsterten Gemach nur noch die lodernde
Polster weicher Formen dehnt, angerechnet
aber macht sie ihm zu Lieblingsworten? Es
Kaminflamme zwei miteinander im Gespräch
werden, daß es an den strengen, scharfen
sind die Assoziationen, die Gefühlswerte, die
ringende Gestalten beleuchtet? Zumal wenn
Forderungen der dramatischen Technik seine
sich mit ihnen verbinden. Das unterscheidet
man die unvergeßliche Aufführung im Deut¬
Begabung auch zur Strenge auszubilden
ihn von romanischen Wortkünstlern wie
schen Theater gesehen hat, in der ein für
suchte. Schrittweise nähert er sich dem Ziel.
d'Annunzio, die wirklich nur mit den Klängen
die Darstellung solch kranker Sinnlichkeit
Von den lyrischen Genrebildern und Stim¬
der Vokale und dem Rhythmus der Akzente
geborener Schauspieler, Moissi, die inter¬
mungsgemälden („Theater in Versen“, 1899,
wirken. Der deutsche Wortkünstler aber geigt
essanteste Figur verkörperte: den Liebhaber
„Der Abenteurer“) steigt er zu seinem bis
sich, wie Grillparzers „Armer Spielmann“,
der Schönheit, dessen fieberhaft flackernde
jetzt größten Werk: der „Elektra“ (1903).
die Laute an, die ihm die sicherste Stim¬
Schwäche zur unwiderstehlichen Stärke wird?
Wieder ist es die düstere, grauenvolle Stim¬
mung schenken.
Wie nah sich all diese Talente verwandt
mung eines antiken Kunstwerks, die ihn
Nicht Worte, sondern Stimmungen zu
sind, fühlt man am deutlichsten bei dem be¬
gepackt hat; wieder sind die Figuren ganz
komponieren, ist sein Ehrgeiz und seine Vir¬
deutendsten unter ihnen: Hugo von Hofmanns¬
auf eine Stimmung gestellt: einen Mo¬
tuosität. Diese Kunst erfand Heinrich Heine;
thal (geb. 1876). Seine berühmtesten Werke:
nolog der in unerhörter Erregung der
aber bei dem weichen, oft selbst weichlichen
„Elektra“ (1903), „Das gerettete Venedig“
Nachesehnsucht schwelgenden Elektra habe
Österreicher erinnert nichts an die Schärfe
(1905), „Odipus und die Sphiur“ (1906)
ich das Drama einmal genannt, in der die
des Rheinländers, und der Mangel des
sind wie der „Graf von Charolais“ Um¬
pathologischen, aber packend wahren Ge¬
Humors macht sich oft sogar empfindlich
dichtungen alter Dramen, und wie bei Beer¬
stalten ihrer Mutter und Schwester wie
bemerkbar. — Verkörperte Stimmungen sind
Hofmann hat sich der Prozeß vollzogen.
Traumbilder der Heldin wirken. Aber ist
die Helden seiner Kunst= und reizvollen
Wenn Lessing (in „Emilia Galotti“) die alte
es ihm nicht gelungen, diese ferne, furcht¬
kleinen Gesprächspiele („Gestern“ 1892, von
Virginiafabel in Kostüm und Fühlen seiner
bare Atmosphäre wieder zu schaffen? Ist es
dem Achtzehnjährigen verfaßt und in der
Zeit übertrug, so war es eben die Hand¬
ihm nicht gelungen, zu Trägern der Stim¬
goldenen Pracht des Ausdrucks von ihm selbst
lung, die ihn interessierte; wenn Goethe die
mung hier lebende Menschen zu machen,
nur in dem „Tod Tizians“ aus dem gleichen
Iphigenie des Euripides auf seine Bühne
unseresgleichen — und das vielleicht zu sehr!
Jahre übertroffen; „Das Tor und der Tod“,
brachte, so reizte ihn die Gestalt der unter
in Angst und Hoffnung und Verlangen?
1894; Der Kaiser und die Here“ 1897;
die Barbaren verbannten Hellenin; wenn
Wirkliche Größe birgt dies Drama — das
„Das kleine Welttheater“, 1898). Voll und
Grillparzer in der „Jüdin von Toledo“ ein
einzige unter den vielen geistreichen, liebens¬
reich sprechen sie sich aus, wie Stimmungen,
Drama Lope de Vegas neu schuf, wirkte
würdigen und bedeutenden Kunstwerken der
die reif geworden sind; und wunderschöne
beides zusammen. Indes hier: es ist die
jungen Wiener, dem ich das nachzusagen
Gleichnisse fließen aus der lyrischen Erregung
Atmosphäre des Stückes, es ist der Gesamt¬
wage; nur allenfalls noch Schnitzlers „Ka¬
— freilich nicht ohne sich gern zu
hervor
eindruck, der die modernen Dichter fesselt.
kadu“ ausgenommen.
wiederholen, wie das von den „Vöglein im
Den suchen sie — mit anderen Mitteln na¬
Denn Hofmannsthal selbst sinkt in dem
Nest“. Wie von selbst gleiten bezaubernde
in sich wiederzuerwecken und in
„Geretteten Venedig“ (1904) zu der undra¬
türlich!
Rhythmen dahin, finden und verflechten sich
uns: das dumpfe Grauen einer rechtlosen
matischen Stimmungskunst der früheren
im Tanz die Reime. Aber wie diesen ver¬
Zeit, die wilden Stimmungswechsel eines
Dramen zurück. Auch diese Erneuerung des
körperten Stimmungen das feste Knochen¬
um Glück und Leben würfelnden Abenteurer¬
alten Schauspiels Otways ist ganz auf eine
gerüst eines bestimmten Willens fehlt, so
lebens („Der Abenteurer und die Sängerin“
Stimmung gestellt: auf die Angst des Feig¬
erscheinen dem Dichter die Menschen über¬
in dem „Theater in Versen“ 1899). Aus der
lings, der in wilde Abenteuer hinausgerissen
haupt und ihre Schicksale als Schattenspiel
Stimmung, aus der Lyrik sind diese Dramen
wird. Dieser Seelenzustand mit seinen fie¬
ohne haltendes Gefüge; und wie Schnitzler
geboren in Saars Novellen wie Adrians
bernden Gesten übt auf die jungen Wiener
bildet er sich aus seinen ästhetischen Nei¬
Erzählung. Und das widerspricht nicht der
einen besonderen Zauber aus: schon Hof¬
gungen und künstlerischen Gewohnheiten eine
heimischen Tradition: an Grillparzers
mannsthals Casanova („Der Abenteurer“
eigene Dichterphilosophie heraus. Sie kommt
„Traum ein Leben“ mit seiner wunderbaren
oder Schnitzlers „Leutnant Gustl“ haben
in jenen lyrischen Gesprächstücken oder in
Traumpsychologie, an Ferdinand Raimund
in dem phantastischen Auf und Ab der asthma¬
einzelnen fast vollendet zu nennenden Ge¬
kann erinnert werden. Sie aber schrieben
tischen Seele die bewegende Kraft ihrer Mo¬
dichten („Ballade vom äußern Leben“ in
nicht, um selbst noch einmal und nun bis
nologe. — Aber so wirksam auch in einzelnen
den „Gedichten“) noch stärker zum Aus¬
zum Letzten und Allerletzten selbst die Stim¬
druck als in seinen Aufsätzen und Kritiken Momenten diese Poesie der Atemlosigkeit
mung auszukosten. Charakterzeichnung und
Handlung ward ihnen die Hauptsache; den (Schriften in Prosa“, I, 1907), weil sie eben sich ausspricht, sie genügt nicht, um eine