VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1903–1906, Seite 80

2. Cuttings
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(Quellenangabt ohne Gewähr.)
∆ Ausschnitt aus
Nrager Tagblatt
E vom:
1
*— Ein franzäsisches Urteil über Arthur
Schnitzler.
In der „Nouvelle Revue“ ergeht sich
MNe Muret in einer längeren Betrachtung
Aber Arthur Schnitzler, seine Werke und sein
dramatisches Können. Arthur Schnitzler verdiene
wohl ein Pariser Wiener genannt zu werden. Seine
Werke sind von fesselnder Grazie, enthalten einen
leichten Charm, der den Franzosen außerordentlich
zusagen muß. Sein Haupttalent liegt auf dem
Gebiete des Theaters. In Oesterreich und Deutsch¬
land berühmt und beliebt, ist er bei uns nicht ganz
unhekannt. Im Theatre Antoine wurde sein
„Grüner Kakadu“ gegeben, in den Bouffes sein
„Abschiedssouper“ „Liebelei“ (Amourette) ist lei¬
2er bisher in Paris nicht gegeben worden, obgleich

es wohl der Mühe wert gewesen wäre, da „Liebelei“
das beste Werk dieses Autors ist. Faguet hat das#
Stück in einer Matinée Litteraire vorgelesen und
man kann behaupten, daß alle Anwesenden von dem
eigenartigen Reiz des Werkes ergriffen waren.
Auch „Anatol“ und „Reigen“ haben ihren Wert,
trotzdem ist Muret der Ansicht, daß die Novellen
Schnitzlers über den Rest dessen zu stellen sind, was
er hier zitierte. Schnitzler hat dem Naturalismus
in seiner kraffesten Form niemals geopfert, trotz¬
dem alles, was er sagt, logisch und lebenswahr ist.
Uebrigens hat sich Wien immer gegen den Natura¬
lismus zur Wehr gesetzt, der von Norden kam.
Die aristokratische Natur der Stadt kann sich hier
nicht verleugnen. Es hat Leute gegeben, die
Schnitzler mit Maupassant verglichen haben. Eine
solche Parallele ist aber absolut falsch. Während
Maupassant einen bitteren Zug hat, ist Schnitzler
sentimental, Maupassant hat Noten der Kraft,
Schnitzler nur solche der Sanftheit. Wie alle fran¬
zösischen Realisten malt Maupassant mehr, als er
erzählt. Ganz im Gegenteil Schnitzler. Mau¬
passant zeichnet dem Leser die Seele seiner handeln¬
den Personen, durch die Handlungen selbst, welche
er sie begehen läßt. Bei Schnitzler ist alles Kon¬
versation. Durch dritte Personen erfahren wir, was
vorgeht. Oder es wird uns angedeutet. Schnitzler
ist der Dichter der Liebe und des Todes. Nur
diese beiden Probleme scheinen ihn zu interessieren.
Und da man in Berlin nicht so zu lieben scheint,
wie in Paris in Rom nicht so wie in New York,
können wir Schnitzler den Dichter der Wie¬
ner Liebe nennen. Ich weiß nicht, schließt
Maurice Muret seine Betrachtung, ob Schnitzler
mit den ersten Romanschriftstellern seines Landes
rivalisieren könnte, wenn es ihm ernstlich darum
zu tun wäre, es ist sogar möglich, daß dies nicht der
Fall sein würde, aber in seinem Genre ist er ent¬
schieden einer der Besten seiner Nation, vielleicht
der Beste.

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