VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 11

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burg, Toronto.
(Quelienangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus: Namburger Corresponde¬
27. OKT 1912
vom:
Arthur Schnitzler.
Von Br. Julius Kapp.
Im Xenien=Verlag zu Leipzig.
Dieses Buch bietet eine Betrachtung über sämtliche bisher
veröffentlichten Arbeiten Schnitzlers. Interesse verdient der Band
auch besonders dadurch, daß er Schnitzler's Erstlingswerken volle
Aufmerksamkeit zuwendet.
z. B. seinen Gedichten, den No¬
vellen „mein Freund Ypfilon“, „der Andere“ der Skizze „Ame¬
rika“, dem Dialog „Episode“ und dem dramatischen Gedicht „Al¬
kandis Lied“. Kapp nennt Schnitzler eine „tragische“ Natur. Er
schreibt, daß er zu der Kategorie Menschen gehöre, die er im „Ana¬
tol“ als Typus „leichtsinniger Melancholiker“ charakterisiert. Ein
treffendes Urteil hat auch Hugo von Hofmannsthal über Schnitz¬
ler's Arbeiten im Vorwort zum „Anatol“ gefällt. Er nennt sie
„frühgereift und zart und traurig“. Diese drei Adjektiva kennzeich¬
nen Schnitzler's Werke vollkommen. In geschickter Weise gibt Kapp
ein Bild von der Individualität des Dichters. Er skizziert und
analysiert seine dramatischen und epischen Werke, vom „Anatol“,
der im Jahre 1893 erschien bis zur „Hirtenflöte“ einem 1911 her¬
ausgegebenen Novellenbande. In sachkundiger Weise zeigt er die
Wege, die Schnitzler in diesen Jahren ging. Zur Kenntnis des
Dichters trägt dieses Büchlein ungemein bei. Es wird vielen will¬
kommen sein und der Kunst Arthur Schnitzler's neue Freunde.“
werben, wie der Verfasser im Vorwort hofft.

Minlcapolis,
New-Vork, Paris, Kom, San Francisco, Stockholm, St. Peters¬
burg, Toronto.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
Treie Presse, Wien
vom:
B
S
[Ein Besuch bei Peter Nansen.] Peter
Ransen, der berühmte dänische Romancier, dem seit jeher,
gerade in unserer Stadt, die Sympathien des Lesepublitums
so lebhaft galten, ist seit gestern in Wien zu Gast; er beab¬
sichtigt hier demnächst über Einladung des Akademischen Ver¬
bandes für Literatur gemeinschaftlich mit Karin Michaelis eine
Vorleiung aus eigenen Werken abzuhalten. Ein schlanker, ele¬
ganter, sehr liebenswürdiger Herr, noch immer, trotz seiner
verbürgten fünfzig Jahre, von geschmeidiger Jugendlichkeit,
begrüßt den Besucher in dem Empfangssalon des „Hotel
Meißl & Schadn“. Genau so mit diesen verbindlich mon¬
dainen Alluren, diesem kultivierten Lächeln des schmalen,
scharfgeschnittenen Gesichtes stellt man sich den Charmeur unter
den nordischen Erzählern vor. Als Mann von Welt, der
zunächst der Stadt, die ihn gastlich ausgenommen, Reverenz
erweist, verwickelt er uns sogleich in ein sehr anregendes Ge¬
sprach über Wien und das Wienertum. „Ich kenne,
plaudert Nausen mit leicht fremdländischem Anklang, „Wien
erst seit ein paar Stunden von Angesicht zu Angesicht. Ich
habe bisher bloß ein paar flüchtige, sehr reizvolle Impres¬
sionen empfangen; auf diesen hellen, heiteren Plätzen trat mir
die so oft behauptete Verwandtschaft mit Kopenhagen, meiner
Heimat, bereits sehr deutlich entgegen. Obwohl ich also Ihre
Stadt einstweilen kaum in den allgemeinsten Umrissen gesehen
habe, glaube ich doch, Wien bereits sehr genau zu kennen
durch die Werke Artur Schnitzlers, den ich außerordentlich
verehre und dessen „Anatol=Zyklus ich soeben für die dänische
Bühne übersetze. Schnitzlers Roman „Der Weg ins Freie“ gab
mir, wie vielen meiner Heimatsgenossen, eine so starke An¬
schauung der Wiener Landschaft, des Wiener Gesellschafts- und
Straßenbildes, daß ich überall längst Bekanntes und Geahntes
wiederzusehen erwarte. Ich sehe mich in der Tat in dieser Er¬
wartung keineswegs enttäuscht und ich bedauere nur, daß mich
meine literarischen und Lebensumstände bisher stets nur nach
Hamburg, wo meine Familie ihren Ursprung hat, nach Berlin
und erst jetzt zum erstenmal weiter südlich führten. Wir
brauchten keineswegs gesellschaftliche Artigleit zu markieren, um
Herrn Nansen versichern zu konnen, daß er uns gewiß noch
weit weniger fremd erscheine als wir ihm, daß seine Romane,
Erzählungen und Dialoge mit ihrem eigenartigen, blühend
lyrischen Timbre, da sie erschienen, namentlich unsere Jugend
entzückt und mit sich fortgerissen haben. Wir vermögen die
Frage, die uns längst beschäftigte nicht zu unterdrücken:
warum dieser regen, von so viel Erfolg begleiteten Produk¬
tion viele Jahre des völligen Schweigens folgten, warum man
erst jetzt wiederum, seit der Aufführung des Lustspieles „Die
glückliche Ehe“ im Kopenhagener Dagmar=Theater, in
Berliner Kammerspielen und demnächst im Josefstädter Theater;
wieder von dem Dichter Nansen spreche? „Das hat,“ erwidert
Herr Nansen mit bescheiden abwehrender Geste, „seine be¬
sonderen Gründe. Ich bin längst nicht mehr wie früher Jour¬
nalist und Schriftsteller von Beruf, sondern Verlagsbuch¬
händler, vielmehr gegenwärtig Direktor einer der größten
nordischen Verlagsanstalten. Diese Stellung läßt mir gur sehr
wenig Zeit zu literarischer Betätigung, und diese will ich
jetzt der „Anatol“=Uebersetzung widmen. Ich meine überhaupt:
Es ist für einen Erzähler, wenn er subjektiver Art, nur von
Vorteil, wenn er sich durch einige Jahre gründlich aus¬
schweigt. Meine Werke waren der Ausdruck meiner Jugend;
ich möchte mich jetzt, in reiferen Jahren, nicht selbst wieder¬
holen; ich bin glücklich, wenn ich vernehme, daß sie noch
immer zur Jugend sprechen. Und das glaube ich selbst bei¬
nahe: denn mein Berliner Verleger muß noch immer neue
deutsche Auflagen drucken. Leider genieße ich erst seit einigen
Jahren, seitdem auch Dänemark der Berner Urheberrechts¬
konvention beigetreten ist, auch im Ausland einen erheblichen
Ertrag aus meinen älteren Arbeiten. Und neue schreib' ich
einstweilen kaum.“ Wir wollen Herrn Nansen eben noch ein¬
mal unser Bedauern über diese freiwillige unfreiwillige Ar¬
beitspause aussprechen, da ist er an das Fenster getreten. Der
Herbsttag sunkelt verlockend hineit und unten
dieser 1.
Mittagsstunde aler“
wir nicht mehr über Literatur sprechen, sonbern uns ein!
bißchen diese Wiener Anmut betrachten, von der Ihre Dichter
schwärmen.“ Und der Blick, mit dem Peter Nansen jetzt das
bunte Treiben draußen betrachtet, scheint die nämliche Erkennt¬
nis auszusprechen, die so oft aus den weltlich lebendigen
Büchern dieses „Sohnes eines Priesters“, wie er uns eben an¬
vertraut, und auch aus diesem Gespräche klingt, daß Lebem
und fröhliches Genießen mehr bedeuten als der durch Daseins¬
entsagung errungene Ruhm des Augenblicks...