VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 25

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2. Cuttings
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sich da („Heimliche Liebe“ heißt der öde Schmarren) als Profoß Allgegenwärtigkeit ist an Schnitzler, die sehr viel Größere
Schnitzler im italienischen Kriege und entdeckt durch Zufall, daß der Re- unter den lebenden Dichtern für uns nicht besitzen: wir be¬
gimentstambour ein Weib ist, das sich aus glühender Liebe dem obachteten eine Dame mit Paketen, die Weihnachtseinkäufe
emäer gab es einen Bild= Hauptmann nachgeschlichen hat. Er will nun dem Vorgesetzten machte, wir fuhren mit der Eisenbahn durch sonnefließende
Vorstädte, wir sahen über einen grünen Gartenzann Georginen¬
t, irgendeiner Laune sol- den Tatbestand aufklären, kann aber, teils weil beide nicht
büsche nicken, und wir fühlten schon Schnitzler.
pt und tierischen Abfällen
allein im Zimmer sind teils vor eigenem Erstaunen, nicht
dere gemacht hatten, nicht
In einem Sonett, das er dieser Tage an ihn richtete, rief
recht mit der Sprache heraus und macht deshalb vor seiner
Arbeit dieses Mannes den
Eulenberg aus, Schnitzler sei fast das „Einzige, wodurch wir
eigenen Brust verzweifelt konvere Bewegungen, die andeuten
draußen Wien noch kennten“. Das ist schon richtig; denn
agte er, „einer wie großen sollen: „Der Kerl dort ist kein Mann, er hat einen Busen!!“
zu machen, daß diese Fi¬
Schnitzler ist wirklich der einzige unter den Könnern, der in
Das — niemand wird es ernstlich in Abrede stellen wollen —
Wien geblieben ist. Die Hofmannsthal, Beer=Hofmann, Wasser¬
Diese Geschichte ist sich
ist eine Schweinerei. Jetzt aber beobachtet nur, wie Girardi
Alexander Girardi an¬
mann, sie sind körperlich, postalisch, polizeilich in Wien ge¬
es bringt! Als ob ein Panzerturm von Keuschheit um sie her
blieben; geistig aber haben sie nichts gemeinsam mit einer
so weise wäre wie jener plötzlich aus der Erde wüchse, bewegen sich seine Hände. Keine
Stadt, in der sie kein Publikum haben, die nicht einmal ihre
hetzt, anläßlich des wiener! Zote formt sich, sondern höchste Humanität: Gott hat den Mann
Bücher verlegt und die es ihnen übel nimmt, daß sie keine
sich über und über zu
so geschaffen wie er die Frau nicht geschaffen hat; verehren wir
rch vollendete Kunst, die
Texte für Fall und Lehär schreiben — sie leben in einem ide¬
ihn auch darum; ihn, der die Ulme anders gemacht hat wie die
ellen Weimar. Und gar Karl Kraus? Er ist so wenig Wiener,
Eiche. Also Religion. Also für das Herz gerettet, was unter
Gestalt von Shakespeare
wie es im Jahre 1805 Napoleon war. Würde er nicht,
den Gürtel treffen sollte: höchste Humanität!
eines reinsten karrari¬
wenn er die Macht hätte, Kahlen= und Leopoldsberg mit Bat¬
Höchste Humanität; aus der kitschigen Operettensentimen¬
terien besetzen lassen und das Tal in einer Sintflut von Kar¬
wahr werdet ihr, die
talität, daß sich ein Mann mit einem Kanarienvogel unter¬
tätschen ertränken? Aber Schnitzler, Schnitzler ist in Wien
meißelnd, einem Mix¬
hält, macht Girardi das grundlegende Zwiegespräch zwischen
geblieben und hat gleich Girardi die unscheinbare und schlechte
keck begegnen. Eng und
Mensch und Tier über die Lasten des Daseins. (Wie er schon
Materie aufgelesen und zur Sonne gehoben. Er hat voll¬
choulifläschchens ist dank
vor Jahren seine berühmteste Leistung, das „Fiakerlied“, vor
bracht, wozu Peter Altenbergs Kraft nicht häufig genug aus¬
Welt schon geworden und
ähnlich ungeheure Hintergründe gestellt hatte. Das Kutschieren
reichte: das Talmi aus eigener Kraft in Gold zu verwandeln.
ammertal: wer zum Bei¬
als Gottesdienst, das Verwobensein mit dem Pferde als ein
keiner Frau reuelos glück¬
Schicksalsgeheiß, dies Auf=dem=Bocke=Sitzen ganz und gar um Auch ihm war es, in einer koketten und spielerischen Jugend,
nicht immer ernst darum. Aber längst ist Schnitzler nicht mehr
bt „dja, ßo a Weiberl is
des Lebens und nicht um der Eitelkeit willen, das war's, ihr
m Verkehr mit der Archi¬
Leute, was euch Tränen erpreßte; und nicht etwa die Glori= der Dichter des süßen Mädels. Eine Durchgottung ist hinzu¬
getreten, eine begierdelose und schöne Ruhe, ein weiseres Ins¬
en Wiens in den Straßen
fizierung speziell wienerischen Fuhrwesens war daran schuld.)
Auge=Fassen der Dinge. Die wissen nichts von ihm, die nicht
darf „Eiserner, eiserner
Jenes Zwiegespräch mit dem Kanarienvogel wird von Girardi
rhöltnis an!“ Schon er¬
freudig bekennen, daß der heutige Schnitzler hundertmal be¬
nicht schlechter gespielt als Homer die Begegnung des
deutender sei als der vor zwanzig Jahren.
und gerade
und Fiakern, Mizzi und
Odysseus mit dem Hunde geschrieben hat —
Was mir der Schnitzler von heute ist, wie fasse ich es ein?
quälender bevölkert, Welt¬
hier erwächst für jeden Liebhaber des Schauspiels die Frage:
Ein Gleichnis muß herbei, das mir einst von ihm träumte.
ien hoch erhoben, stürzen
warum muß sich dieser Künstler überhaupt an so Unwürdiges
In einer der sonderbaren Transpositionen, die Träume vielem
Gott aber, der weder das
verschwenden? Wenn seine Natur ins Klassische sich schon nicht
zu geben pflegen, sah ich Schnitzler einmal als Sache: er war
nte, hat ein Einsehen und
fügen wollte, warum begibt er sich nicht in den Dienst des
ein englisches Landhaus im Wienerwald. Drinnen wurde in
durchaus nicht, wie man Mannes, der, als einziger gleich ihm, ein Wiener bleibend
weiß getäfeltem Raume von kühlen und freundlichen Diene¬
Wieners ist, sondern dessen
das wiener Wesen geadelt und an Gott zurückgegeben hat?
rinnen der Tisch gedeckt, eine weiße, sehr vornehme Kate
die Kultur, ans Große
Warum bringt er uns nicht die Menschen Arthur Schnitzlers?
Arthur Schnitzler: wenn in den letzten Tagen unsere Ge= schnellte die Treppe herauf, dann wurde alles still, nur ein
sirardis zu Wien: daß er
Klavier erklang im leisen Zugwind. Es kam eine Schubert¬
Gott zurückgibt. Siehe,
danken vom Parlamentskonflikt, vom dänischen Thronwechsel,
weise zur Tür herein, sie lächelte durch das Fenster wieder
eiligbringergleichnis wäre,
vom Türkenkrieg gleichwie in eine plötzlich aufgetane Heimat
zu diesem stille leuchtenden Namen immer wieder zurückirrten hinaus; an vielen Fliederbüschen vorbei die Lindenallee ent¬
mal Uebertreibung ist es.
— da fühlten wir auf einmal, wie rettungslos von je die Taten lang zur Donau tauchend zerfloß sie am abendroten Himmel.
Naterie dieser Mann seine
Heinrich Eduard Jacob.
iehmen hat! Er befindet dieses nun Fünfzigjährigen unser Herz umstellt hatten. Eine


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