VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 29

2. Cuttings box 37/5
HISI Mieurig
ste Preise.
Franko Lieferung. Brückstr. 21. Werkstätten: Indwigstr. 3-5.
ar, einem Schauspieler, der mitwirkte, die
Was den großen Vorzug von Hauptmanns Dichtung spannt sein, wie der Wiener Dichter sich in diesem
mit den Worten: „Hier, lieber Freund, lesen
ausmacht, das ist ihre fast überall sich offenbarende
seinem eigensten Stile noch weiter entwickelt. Einst¬
anzen Zimmet fertig!“
Les extrèmes
Selbsterlösung und ihr neuartig sich gebender, wenn
weilen bedeutet das Schauspiel Liebelei“ noch den
nt.
Sein Freund Dehmel ist schon im
auch im Grunde altruistisch gearteter religiöser
Höhepunkt seines Schaffens. Bei einer Aufführung
nzlich von ihm verschieden. Groß, hager,
Grundzug.
dieses auch zur Oper gewandelten Werkes war es
hfurcht, mit dichtem, dunklem Haar und
Diese zuversichtliche, wenngleich nicht immer zum
auch, als ich ihn persönlich kennen lernte. Untersetzt,
kurzsichtigen Augen mit scharfen Gläsern
Mitgehen zwingende Subjektivität gibt auch in sei¬
mit dunkelblondem Spitzbart und milden Zügen, be¬
geht er mit der Zeit, in der er lebt.
ner Erscheinung und im Vortrag seiner eigenen Dich¬
sticht Arthur Schnitzler durch eine ruhevolle Freund¬
m Vortragsabend las er einiges, was so
tungen sich kund. Auf jünglinghaft schlankem, hoch¬
lichkeit und liebenswürdiges Interesse. Er erinnerte
daß man meinen sollte, es wäre vor der
gewachsenem Körper ein Kopf mit mächtig klarer
sich sogleich unserer Korrespondenz und des gegensei¬
faniert worden. Das inbrünstige „O du!“
Stirn, der an keine geringeren Meister als Goethe
tigen Bücheraustausches und es war bezeichnend für
enoch in einem nach .. . Und doch kann
und Wagner erinnert, sonnig=blond, von blühendem
ihn, daß er bald von Wien sprach. Leider mußte ich
entlichen Sinne nicht profaniert werden,
Aussehen, doch um Mund und Kinn ein weicher,
erzählen, daß ich noch nicht nach Wien gekommen,
en so intim ist, daß es unberührt in sich
femininer Zug, der sich leidvoll vertiefte, als der be¬
sondern siets in München hängen geblieben sei.
Ich sprach nicht viel mit ihm. Die
rühmte Dichter vor einem durchaus nicht zahlreich er¬
Dort lernte ich auch vor Jahren einmal einen vier¬
ng betraf eine vorangegangene Korrespon=schienenen Auditorium aus seinem „Hannele" und
ten zeitgenössischen Dichter kennen, über den die Ur¬
die neidlose Anerkennung eines jungen dem hier auch bekannten „Armen Heinrich“ vorlas:
teile immer noch sehr auseinandergehen, doch der sie
durch dessen Vermittelung wir uns kennen
nicht gut, aber doch zwingend in der Betonung des
freilich auch herausgefordert hat: Frank Wede¬
m besten lernt man einen Dichter ja durch Metrums, des mitschwingenden Rhytmus, den die
kind. Wir plauderten vor Jahren einen halben
ekennen. Die von Dehmel erscheinen seit
rechte Hand mit lebensvoller Geste begleitete. Seine
Nachmittag in einem Münchener Café, und die Un¬
fhren in einer neu geordneten und durch¬
Rezitation ließ, später auch mit Unveröffentlichtem,
terhaltung, soweit sie sein Schaffen betraf, drehte sich
n Zusammenstellung, die durch ihre lyrische
in die Werkstatt des Poeten sehen. —
um ein jetzt vielgegebenes Stück, das damals Wede¬
atisch sorgfältige Ausgabe und Buchkultur
—Und nun sei noch an zwei Dramatiker aus dem
kind selbst als umöglich für die Bühne betrachtete.
esonders auszeichnet. —
Süden erinnert, mit denen mich freundliche Worte
Ich war anderer Meinung; und — siehe dal nachher
großen, tiefen Eindruck empfing ich auch einen über Zeit und Raum. Arthur Schnitzler,
ging's doch ... Frank Wedekind hat ein intelligentes,
persönlichen Erscheinung Gerhart
wohl der größte und erfolgreichste Wiener Autor
echtes Schauspielergesicht, in dem vor allem die wie
anns, obwohl ich bei seinem künstle¬
unserer Tage, hat mir zu Gedichten und Novellen,
in weite Ferne, unerforschte Zukunft schweifenden
haffen nicht überall mitgehen kann. Er ist
die ich ihm übersandt, einst Worte geschrieben, die
Augen auffallen. So stellt schon sein äußerer Typus
vom Naturalismus, von Turgenjew
viel zu schmeichelhaft und liebenswürdig sind, als
charakteristisch, gedrungen — einen Gegensatz zu
, von Ibsen und Strindberg beeinflußt,
daß ich sie hierher setzen könnte. Er hat den Typus
den vorher geschilderten Dichtern dar.
jedoch auch historischen und mythologischen
des lieben, süßen Mädels und des träumerisch=skep¬
Sein Schaffen, dem man das sittliche Wollen im
u, durchsetzt den Stoff mit seinem persön¬
tischen Wiener Dekadenten festgehalten, die beide
t, umkleidet das Erlebte mit Romantik und
weitesten Sinne nicht absprechen darf, scheint zunächst
zwar ebenso entfernt von deutscher Kraft, wie von
er Weltanschauung durchaus nicht mit den
aus lauter Revolution gegen die Gesellschaft und
Moral sind, aber doch als ästhetische Kleinodien des
ihre Gesetze entstanden. Es leben aber bei genaue¬
schen Errungenschaften seiner Zeit. Gewiß,
literarischen Wienertums ihren vollgültigen Wert
rem Zusehen in ihm Ideale auf, die einer neuen Le¬
dem Dichter nicht philisterhaft seine Gesin¬
haben. Für den früheren Arzt in Schnitzler gibt es;
bensphilosophie, Erziehungstheorie und Asthetik ent¬
en Stil oder gar seine Ethik vorschreiben;
eben nur ein Verstehen aller Menschlichkeiten, das
gegenleuchten, und neben Unerfülltem, neben willkür¬
uß den aufmerksamen Begleiter seines
im Grunde nur verzeihende Güte sein kann.
lichen Ansätzen und schroffen Tendenzen erhebt sich,
doch stutzig machen, wenn er sieht, wie
Eine weiche, milde, träumerische Melancholie,
hbegabte, ja in Vielem geniale Dichter sich
lind wie ein Wiener Maienabend, klingt in seinens oft aus scheuem, verrufenem Winkel ans Licht ge¬
zerrt, eine feine und schuldlose Tragik, die uns unter
wie sein Mangel an Konzentration ihn
feinsinnigen Novellen und Spielen allenthalben
günstigen Umständen noch weit zu tragen vermag,
eibende Werte zu schaffen, und wie er sich
durch. „Wir hätten nur gut zu ihr sein sollen“
vielleicht in die Gefilde einer neuartigen, dem Leben
leichliche Mitleidstheorie vergräbt, die der
lautet das Schlußwort in seinem Vermächtnis“.
seiner Zeit so völlig fremd ist.
genäherten Kunst. Bezeichnend für unsere Zeit und
Und in den auch hier bekannten „Anatol“=Szenen
für die Erscheinung Frank Wedekinds, dem auch das
Vorjahr Gerhart Hauptmanns fünfzigster
heißt es in dem zartfarbigen Stückchen „Weihnachts¬
künstlerische Kabarett viel verdankt, ist es übrigens,
ein so lebhaftes Echo weckte, weil man
einkäufe": „Sagen Sie ihr: „Diese Blumen, mein ...
daß vor nicht langer Zeit ein förmliches „Vertrauens¬
Dichter dankte und weil man doch das un¬
süßes Mädel, schickt Dir eine Frau, die vielleicht
Gefühl hatte, daß kein größerer drama¬
votum“ für ihn erlassen wurde, unter dem viele der
ebenso lieben kann wie Du und die den Mut dazu
chter zur Zeit zu feiern war, vernahm
nicht hatte.“ Das alles, im eigentlichen Sinne lyrisch, besten Künstlernamen Deutschlands stauden. Doch
auch Stimmen, die bedeutsam auf seine
ist durch die Kunst der Konversation, der Dialogfüh= selbst ein so extremer Geist wie Wedekind ist nur aus
g des Tragischen und auf die mangelnde
rung, in der Schnitzler ein wahrer Meister ist, ge=sich selbst zu verstehen.
igkeit vieler seiner Dramen hinwiesen. stützt und in aparte Form gebracht. Man darf ge¬1
Thco Schäfer.
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