VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 31

2. Cuttings
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die heute noch vor Theatervorhängen erscheinen, gelingen
können, die Welt an eine Verpflichtung ihnen gegenüber zu
erinnern. Die Vorstellung, daß man nach fünfzig Jahren die
Namen der Herren Hofmannsthal und Schnitzler mit Ehrfurcht
nennen sollte, hat an und für sich etwas, was den Respekt schon
heute bedeutend herabsetzt. Zum Lachkrampf aber steigert sie sich,
wenn man bedenkt, daß die Unsterblichkeit nicht nur Register,
sondern auch Inhalt hat. Denn man kann sich zwar recht wohl
vorstellen, daß die Entwicklung menschlicher Dinge in einem
bestimmten Stadium den Namen Peter Altenberg führte und daß
ohne dieses Glied alles Folgende undenkbar wäre. Aber
das Dasein der Herren Hofmannsthal—und—Schnitzler mit (
irgendetwas metaphysisch zu verbinden, stelle ich mir als
eine anstrengende Aufgabe vor. Es ist dem Genius eigentümlich,
daß man ihn spürt, ohne von ihm zu wissen. Das Wissen tritt
hinzu und kann nie die Dimension des Wirkens ausfüllen.
Bei den Werken des sterblichen Geistes ist es umgekehrt:
man weiß immer mehr von ihm als man spürt. Und es wäre
technisch denkbar, den Herren Schnitzler und Hofmannsthal die
Unsterblichkeit zu sichern, indem man auch die kommenden
Zeitungsgeschlechter verpflichtet, täglich eine Notiz über den
Professor Bernhardi: oder über „Jedermanne zu bringen.
Es ist aber sehr wichtig, auf solche Unsterbliche acht zu
haben, um sie beizeiten vor Enttäuschungen zu bewahren und
auf jenes Gebiet lukrativer Erfolge zu verweisen, auf dem
sich anspruchslosere Verdiener vor der Welt gütlich tun, gehalten
von einer Zeitgenossenschaft mit beschränkter Haftung. Mit den
metaphysischen Verbindungen spießt es sich, und wenn
Herr Wassermann den Versuch macht, noch den Librettisten
Hofmannsthal für die Ewigkeit zu retten, so sehe er zu, daß man
den Künstler Wassermann nicht für den Tag reklamiere. Und
nichts scheint mir übler angebracht als die Einrede jener Relativ¬
kritiker, die mir sagen, Schnitzler sei doch immerhin.
Dieses Immerhin ist eben jener gefährliche Schein, der die Ent¬
hüllungen um wohlgezählte zwanzig Jahre verzögert. Warum
sollen wir Zeit verlieren? Warum sollen wir es nicht heute schon
so gut haben wie die Geschlechter, die, um den Unterschied
zwischen einem Anatolund einem-Auernheimer befragt, sich auf
auf ernstere Sorgen berufen dürften. Viele, die nicht an Uber¬
lieferungen kleben, können sich schon jetzt den Genuß dieses