VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 32

2. Cuttings
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Standpunktes verschaffen. Selbst solche, die nicht mit mir der
Ansicht sind, daß der Roman das Versteck jener ist, die nichts zu
sagen haben, und darum die Ausflucht jener, die alles sagen
müssen. Selbst solche, die wirklich nicht glauben wollen, daß ein
Satz von Peter Altenberg eben darum einen Wiener Roman auf¬
wiegt, weil es eben nur ein Satz ist. Man folge meinem Beispiel
und lese die Schnitzler'sche Fortsetzung im Aprilheft der Berliner
„Rundschau“, Ich zwar weiß vorher, daß alles Werk, das
in Fortsetzungen erscheint, nichts außer diesem Modus mit der
göttlichen Schöpfung gemein hat, und ich gehe mit gutem
Mißtrauen Novellen aus dem Wege, welche schon im Titel — Frau
Beate und ihr Sohn. — jene Anhörungsfähigkeit verraten, die mir
das Romanschreiben als eine Sache der Entschließung verdächtig
macht. Aber gerade ich, der auch weiß, daß er Vorurteile lieber
schluckt als Austern, bin oft von Reue über mein enthaltsames
Schlemmerdasein ergriffen, und ergreife dann einen Roman.
Wissend, daß man überall anfangen kann, ohne etwas zu verlieren
oder zu gewinnen, beginne ich in der Mitte, und das Ergebnis ist
immer, daß ich mir über meine Reue Vorwürfe mache. Und
mir sage: Was nützt es, in Gegenwart einer Zeit zu sprechen,
der diese Dinge eingehen! Und mich frage: ob denn wirklich ein
Krieg grausamer ist als diese Duldsamkeit, die die Gehirne mit
solchem Kleister verkleben läßt und eine Industrie fördert, die es
ihnen besorgt. Gewiß, Schnitzler ist immerhin. Aber was sind die
Andern, wenn er die Frau Beate, nachdem er auf zehn Seiten
beglaubigt hat, daß etwas in ihr vorgeht, auf folgende Art zu
folgendem Resultat gelangen läßt:
Mitternacht mußte vorüber sein. Sie war müde und überwach
zugleich. Was tun? Was half alles Uberlegen, alles Erinnern, alles
Träumen, was alles Fürchten und Hoffen? Hoffen? Wo gab es
noch eine Hoffnung für sie? Wieder trat sie zum Fenster hin und
verschloß sorgfältig die Läden. Auch von hier aus schimmerts in die
Nacht hinaus, in meine Nacht, dachte sie flüchtig. Sie versperrte die
Türe, die auf den Gang führte, dann nach alter vorsichtiger Gewohnheit
öffnete sie die Türe zu dem kleinen Salon, um einen Blick hinein¬
zuwerfen. Erschrocken fuhr sie zurück. Im Halbdunkel, aufrecht in der
Mitte des Zimmers stehend, gewahrte sie eine männliche Gestalt. .Wer
ist da?e rief sie. Die Gestalt bewegte sich heran, Beate erkannte Fritz.
Was fällt Ihnen ein? sagte sie. Er aber stürzte auf sie zu und ergriff
ihre beiden Hände. Beate entzog sie ihm: Sie sind ja nicht bei sich.
-Verzeihen Sie, gnädige Fraus, flüsterte er, vaber ich ... ich weiß nicht
mehr, was ich tun soll. Das ist sehr einfache, erwiderte Beate,
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