VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 46

2. Cuttings
box 37/5
Husschnitt aus: Henes Wiener Jourual, Wier
vom
KEtkIeTA
Eine Wiener Theaterfrage.
Artur Schnitzler und das
(Der Raimund=Preis unter Dach.
Das dramatisch¬
Wiener Volksstück. — Das „Martinelli=Theater
Asylchen für Obdachlose in Favoriten.)
Von
Siegmilnd Schlesinger.
Der Raimund=Preis ist mit Ach und Krach unter Dach
er weiß nur nicht, unter welches. Die niederöster¬
gebracht
reichische Statthalterei hat sich endlich des armen seit Jahren
theimatlos gewordenen Preises erbarmt und auf Fürsprache des
schriftstellerischen Verbandes „Concordia“ ihm gestattet, unter
ob er unter
sämtlichen Wiener Thealerdächern herumzusuchen,
einem derselben etwas für ihn Passendes findet. Er braucht sich
nicht mehr an das eine Haus zu halten, für das er gestiftet, nach
dem er benannt worden ist und das sich vorderhand und auf nicht
absehbare Zeit weiter hinaus um ihn wenig schert
kann seinen Preisdichter und sein Preisstück von überall
hernehmen, wo er sie findet. Wenn er sie überhaupt
findet, denn aufgeführt müssen sie doch zuvor sein — und welches
Wiener Theater richtet derzeit sein Repertoire auf Stücke ein, die
geeignet wären, um den Raimund=Preis zu konkurrieren? Der
Autor, der heute zu einem Wiener Direktor einer größeren Bühne
mit dem naiven Begehren käme: „Führen Sie mein Stück auf,
denn ich reflektiere damit auf den Raimund=Preis“ — auf welches
mitleidige Lächeln würde der gute Mann treffen. Und wenn's
Raimund in Person wäre — es könnte ihm vielleicht genau so
passieren. Nur ist damit noch lange nicht erwiesen, daß das
„Wiener Stück“ bei räsonabler Pflege und selbstverständlich im
Sinne der neuen, unserer Zeit, nicht imstande wäre, seinen
Direktor zu ernähren, sich seine Dichter und sein Publikum
zu finden.
Ein werktätiger Zeuge für die Gültigkeitskraft des Wiener
Stückes ist doch wahrhaftig zu zitieren — nur wird sein Name
in eine andere Rubrik des dramatischen Adreßbuches hinplaciert —
Artur Schnitzler meine ich. Oder ist „Liebelei“ nicht ein
rechtskräftiges Wiener Volksstück? Ist es nicht „Der junge
Medardus“? Der aber hätte wohl schwerlich anderswo in Wien
Unterkunft gefunden, wenn nicht die Hofbühne dem Volksdrama
Unterkunft gewährt hätte. Und wer weiß, ob „Liebelei“ so
sohne weiteres an einem anderen Theater brangekommen wäre,
sob die Theaterklugen nicht eben zu viel „Wiener Volksstück“
darin gefunden hätten. Es wird noch immer nicht genügend gewürdigt,
worin eigentlich das Geheimnis des tiefinneren Zusammenhanges
des Burgtheaters mit den Wienern wurzelte — ein Zusammen¬
hang nicht mit dem Publikum bloß, sondern mit dem Gesamt¬
leben der Bevölkerung, wie sich kein anderes Hoftheater dessen
berühmen konnte. Das war, weil das Burgtheater so voll durch¬
sogen war von der Essenz des Wiener Volkslebens, weil es
dieses Volkstum, wenn auch nicht im sprachlichen, so doch im
seelischen Dialekt konsequent mit aller Sorgfalt pflegte.
Wien hatte um diese Zeit der „lokalen Beschränktheit“ überhaupt.
nur „Volkstheater“ — natürlich mit Ausnahme der weltbürger¬
lichen Musikbühne des „Kärntnertortheaters“, der Hofoper. Die
Theater der Leopoldstadt, der Josefstadt und an der Wien waren.
mit allen Fasern verwachsen mit dem Wienertum. So manche
unserer heutigen Bühnen aber ist nur darum ein Wiener Theater,
weil sie zufällig in Wien steht.
Dadurch wird selbstverständlich auch die lokale Produktion
verschüchtert und abgeschreckt. Denn es ist nicht wahr, daß keins
Talente mehr da sind, das Wiener Stück zu pflegen. Aber was
damit anfangen? Es in der Schreibtischlade liegen lassen —
denn wo ist der Theaterdirektor, der mit Laubes Zähigkeit
ein solches Stück durchzusetzen entschlossen wäre, wenn es auch
im Anfang nicht ziehen würde? Freilich kommt da die Geldfrage
in Betracht. Ein Hoftheaterdirektor hat leicht „durchsetzen“, da es
nicht aus seiner Tasche geht wie beim Privatdirektor. Da müßte
also — heißt es dann gewöhnlich — eine „Subvention“ herbei¬
geschafft werden. Aber woher? Aus öffentlichen Mitteln —
etwa vom Rathause her? Daß so ein Theater gleich von vorn¬
herein das Stigma eines „Parteitheaters“ aufgeprägt erhielte —
wie wir's ja am Währinger Jubiläums=Stadttheater und seinem
damaligen Zerteiler erlebt haben? Darum fehlt mir auch der
ören der neuesten Botschaft von der auftauchenden