VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 65

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2. Cuttings
Legion in den Praterauen, mit ihren Mädchen, Kriegs= und
gearbeitet. Felix im „Einsamen Weg“ scheint es, als wäre er
Liebeslieder singend, vor dem Auszuge? Kluge und verwirrte
nicht zur rechten Zeit geboren; er wünschte, auf die Welt ge¬
Worte erklingen in diesen Szenen, Worte der Liebe, der Be¬
kommen zu sein, als man noch allerlei wagen konnte, was man
geisterung und Verzweiflung, Bilder voll Glanz und innerer
heute nicht mehr wagen darf. Der Oberst im „Ruf des Lebens“
Bewegtheit reihen sich aneinander. Deutsche Theaterdirektoren,
aber, vielleicht die schönste und unpathetischeste Soldatengestalt,
sucht ihr nicht in dieser Zeit nach ähnlichen Dramen? In
die Schnitzler gezeichnet hat, bricht in bittere Klagen aus,
wenigen wird den Zuhörern so stark bewußt, daß auch der
Klagen, wie man sie täglich von österreichischen Offizieren in
Krieg den großen und mächtigen Tendenzen des Lebens dient,
geblatt
den letzten Jahren hören konnte. Dreißig Jahre stand er so¬
in wenigen werden Todesschauer so siegreich übertönt vom
zusagen vor der Tür: „Keinem anderen kann ja so was
Ruf des Lebens.
passieren, wie unser einem. Es gibt keinen Doktor, dem sie
Berlin
Doch nicht nur dieses hat uns dieser Dichter zu bieten; ein
dreißig Jahre lang Puppen für Kranke in die Betten legen —
großes Stück der Psychologie der Schlachten ist in seinen
keine Advokaten, die an gemalten Verbrechern ihre Kunst pro¬
Stücken enthalten, wird im Publikum lebendig. Es ist sehr
bieren — und sogar die Pfaffen predigen öfters vor Leuten,
wesentlich, daß die Todesangst sich darin ebenso elementaren
die wirklich an Himmel und Hölle glauben. Ich aber war ge¬
Durchbruch erzwingt, wie die todesverachtende Kühnheit.
zwungen, meinen Beruf zur Spielerei zu machen. Bei Gott,
„Was wäre denn die ganze Courage wert, wenn man nicht
ich weiß nicht, was ich am Ende noch angestellt hätte, Mar,
Angst hätte?“ läßt der Dichter einen braven Soldaten, der
wenn's nicht endlich doch dazu gekommen wäre.“
in vielen Schlachten seine Tapferkeit bewies, sprechen. Dieser
ur Schnitzler.
Schnitzler dürste zur Frage des Krieges dieselbe zwiespältige
Gesichtspunkt wird, für uns Zurückbleibende, die wir die Ge¬
Stellung einnehmen, die eine seiner Figuren, Willy Eißler, zur
fühle verstehen wollen, welche die Kämpfenden bewegen,
Rein. (Nachdruck verboten]
Duellfrage einnimmt. Das Duell ist „entweder ein ungeheuer¬
wichtig.
licher Blödsinn oder eine unerbittliche Notwendigkeit. Ent¬
ß in den Werken Arthur
Wir lernen ihre Kühnheit, ihren Mut besser verstehen
weder ein Verbrechen oder eine erlösende Tat. Dieser Krieg,
österreichischen Dichters
und tiefer würdigen. Denn Mut heißt nicht Lebensverachtung:
der heute geführt wird, ist für Oesterreich und Deutschland
o große Rolle spielt, denn
wer das Leben fortwirft wie ein wertlos gewordenes Kleid,
eine erlösende Tat: denn sie stehen Mächten gegenüber, deren
hat weder Leben noch Tod verstanden. Nur wer alle Schrecken
den kompliziertesten und
ungeheurer Haß nicht zum Schweigen gebracht werden konnte.
ens nachzuspüren, diesem
der Vernichtung erschauernd verspürt und besiegt hat, darf
Es handelt sich nicht um Macht= und Rechtsfragen, sondern
ts ferner als ein so grau¬
mutvoll genannt werden. Schnitzler hat manchmal geschildert,
um das Recht, da zu sein und zu wirken.
daß es gerade das Wachsein ist, das untätige Ausharren, dem
der anmutsvoll, sanft und
Unter den vielen, die nicht an Oesterreichs Zukunft ver¬
die Todesfurcht entstammt. Der Rittmeister im „Ruf des
weiß, hat seine Gestalten
zweifelten, die wußten, welche starken Kräfte dieses schöne Reich
Lebens“ erzählt von der schrecklichen Episode, da seine Eskadron
ktellt, hat dadurch oft ihre
verborgen trägt, die ahnten, daß eine Zeit besserer Würdigung
stundenlang wartete, ohne sich zu rühren, vor sich eine weite,
tet. Mancherlei Gründe
heraufkomme, steht Arthur Schnitzler in erster Reihe. Man
stille Ebene, in der Nähe knatterten die Gewehre, donnerten die
m. Hellsichtiger als andere
hat seine zornige Stimme oft, mühsam verhalten, in allem,
Kanonen. Manche Schlacht hatte er tapfer mitgekämpft, doch
ich über kurz oder lang
was er über Oesterreich schrieb, gehört, aber es war der Groll
keine Situation schien ihm furchtbarer als diese: „Seit vier
rückende, gewitterschwüle
der Liebe. Denn vom „Anatol“ bis zum „Jungen Medardus“
ts miterlebt und kein Uhr morgens saßen wir zu Pferde, Stunde um Stunde ver¬
und zum „Weg ins Freie“ ist herzliche Zuneigung zu seinem
zialen Unaufrichtigkeiten ging. Keiner redete mehr. Es war, wie wenn man unserer
Lande stark fühlbar. Nun aber flattern wieder die schwarz¬
t) hat diesen Druck, diese vergessen hätte. Wir sehnten uns alle nach dem Besehl zum
gelben Fahnen im Kampfe, und Oesterreicher zeigen, wieviel
Vorwärtsgehen ..., nur vorwärts, und wenn wir gewußt
Auch er konnte sich den
unverstandene Tüchtigkeit in ihnen lebt, wie ein mächtiger
hätten, daß unser Tod so gut wie gewiß war. Sich bewegen,
lenngleich sie sich ihm ge¬
Wille ihnen den Weg=weist. Will's Gott, haben wir morgen
sich rühren. Aber nicht das war unser Los — wir mußten
e erhoben ausdrängten.
ein neues, wiedererwachtes und selbstbewußtes Reich. Auch
warten. Wann es kommen werde, das wußte keiner — aber
Schicksal darin, daß man
Arthur Schnitzler gebührt dann ein verehrungsvoller Gruß
es mußte kommen, das war gewiß.“ Man erinnert sich, wie
eme nicht erkannte, weil
der jungen Generation, —
denn auch er war ein tapferer
dieser früher so tapfere Offizier, zum erstenmal gepackt von
uge und gelassene Worte
Soldat in diesem großen Kampfe.
einer entsetzlichen Angst vor dem Ungeheuren und Unbekannten
Kanonen donnern, ruhig
des Todes, sein Pferd herumriß und seine ganze Eskadropf
emporjauchzt, den Blick
in die Flucht mitnahm. Alte Soldaten haben des öfteren
ten.
versichert, daß nichts der Furchtbarkeit dieses Wartens gleich¬
igt, daß die österreichische
komme. Man versteht es, wenn die Soldaten zum Zusammen¬
han hat sich anscheinend
stoß drängen, zum Vorwärts, sei es auch in den sicheren Tod.
Konnte hinter diesem
nialen Uneinigkeit, hinter
Noch etwas kann der aufmerksame Zuhörer und Leser
sich bergen, Wille, das
Schnitzlerscher Werke hier erfassen: die menschliche, will sagen
seelische Notwendigleit des Soldatenberufes. Es handelt sich,
rVerhältnisse wußten,
wohlgemerkt. nicht um die Institution des Militarismus, die
Schnitzler oft einer unerbittlichen Kritik unterzogen hat, son¬
bedurfte, um latente
dern um die Befriedigung innerer Bedürfnisse eines be¬
machen. Im Sturm¬
stimmten, gar nicht seltenen Menschentyps. Felix Wegrath
Bäume morsch sind.
im „Einsamen Weg“ darf zu diesem Typ gerechnet werden.
welcher das neue Oester¬
Vielleicht wäre es seinem Vater lieber gewesen, wenn er nicht
fpochen. Er war es, der
Soldat geworden wäre, wenn er einen friedlicheren Beruf
heration Oesterreichs, die
gewählt hätte. „Es gibt ja heutzutage gar keinen, der fried¬
und er hat die ersten Ge¬
licher wäre,“ bemerkt Herr v. Sala spöttisch. Das ist kein geist¬
uns hingestellt. Künftige
reichelndes Gelegenheitswort, sondern der Ausdruck einer Stim¬
den späteren Werken
mung, die niemand schmerzlicher empfunden hat als der öster¬
Neugestaltung öster¬
reichische Offizier. Der Kriegsminister der Doppelmonarchie
in Zufall, daß der Krieg
hat kurz vor Ansbruch des Krieges das Wort geprägt, die öster¬
nimmt.
reichische Armee „verdorre“. Gott sei Dank, es ist nicht wahr,
er Dichtung aus gesehen.
aber es hätte wahr werden können, denn es ist ungesund,
Schnitzlers ist die Ver¬
jahrelang mit der geballten Faust in der Tasche dazustehen,
durch die Todesaussicht.
ungesund für Menschen, die warmes Blut in den Adern ver¬
n Motiv der durch die
spüren.
prechen. Wie oft haben
Jeder, der österreichische Offiziere genau kennt, weiß,
ühne dieses Motiv in
forden bei Schnitzler er¬
wie gut Arthur Schnitzler diese ihre Stimmung um Ausdruck
er belagerten Stadt vor
gebracht hat, weiß auch, wie viele von ihnen ihn gerade des¬
„Schleier der Beatrice")
wegen verehren. Schon in Schnitzlers Frühzeit, da er
lle Gestalt Mariens im
tendenziös die Schattenseiten des österreichischen Offiziers be¬
tonte, war es sein Bestreben, ihn menschlich zu verstehen. Der
en eilt, der morgen früh
Oberleutnant Karinski in „Freiwild“ ist ein Mensch, der in
Base Katharina, die es
andere Verhältnisse hineingehört. Ein Regimentskamerad
Bewußtsein bringt, daß
schildert ihn: „Um sich hauen müßt' er können. Was fängt
hr in den Armen halten
so ein Mensch in ewiger Friedenszeit mit seinem Temperament
Augen der österreichische
an? Wo soll er hin damit? Es ist ja wahr, solche Leute wie
heran, kaum geschaffen.
ng von Worten, umher= der Karinski sollen Soldaten sein, aber für solche Soldaten ge¬
zu Abenteuern der Liebe hört der Krieg, sonst haben sie überhaupt keine Berechtigung.
en von der akademischen! Diese Anschauung wird bei Schnitzler immer schärfer heraus¬
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