VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1912–1914, Seite 64

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Legion in den Praterauen, mit ihren Mädchen, Kriegs= und
gearbeitet. Felix in
Liebeslieder singend, vor dem Auszuge? Kluge und verwirrte
nicht zur rechten Z
Worte erklingen in diesen Szenen, Worte der Liebe, der Be¬
komimen zu sein, als
geisterung und Verzweiflung, Bilder voll Glanz und innerer
heute nicht mehr w
Bewegtheit reihen sich aneinänder. Deutsche Theaterdirektoren,
aber, vielleicht die se
sucht ihr nicht in dieser Zeit nach ähnlichen Dramen? In
die Schnitzler gezei
wenigen wird den Zuhörern so stark bewußt, daß auch der
Klagen, wie mani
Zeitung: Berliner Tageblatt
Krieg den großen und mächtigen Tendenzen des Lebens dient,
den letzten Jahren
in wenigen werden Todesschauer so siegreich übertönt vom
zusagen vor der D
Ruf des Lebens.
Ort
passieren, wie unse
Berlin
Doch nicht nur dieses hat uns dieser Dichter zu bieten; ein
dreißig Jahre lang
großes Stück der Psychologie der Schlachten ist in seinen
keine Advokaten, die
Parun .— 7. Sep. 1814
Stücken enthalten, wird im Publikum lebendig. Es ist sehr
— und soga
wesentlich, daß die Todesangst sich darin ebenso elementaren!
die wirklich an Him
Durchbruch erzwingt, wie die todesverachtende Kühnheit.
zwungen, meinen B

„Was wäre denn die ganze Courage wert, wenn man nicht
ich weiß nicht, was
Angst hätte?“ läßt der Dichter einen braven Soldaten, der
wenn's nicht endlich
Der Krieg bei Arthur Schnitzler.
in vielen Schlachten seine Tapferkeit bewies, sprechen. Dieser
Schnitzler dürfte

Gesichtspunkt wird, für uns Zurückbleibende, die wir die Ge¬
Stellung einnehmen
fühle verstehen wollen, welche die Kämpfenden bewegen,
Von Theodor Reik. (Nachdruck verboten.]
Duellfrage einnimm
wichtig.
licher Blödsinn ode
Ws ist verwunderlich genug, daß in den Werken Arthur
Wir lernen ihre Kühnheit, ihren Mut besser verstehen
weder ein Verbreche
Schnitzlers, des bedeutendsten österreichischen Dichters
und tiefer würdigen. Denn Mut heißt nicht Lebensverachtung:
der heute geführt
244 unserer Tage, der Krieg eine so große Rolle spielt, denn
wer das Leben fortwirft wie ein wertlos gewordenes Kleid,
eine erlösende Tat:
diesem Dichter, der gewohnt ist, den kompliziertesten und
hat weder Leben noch Tod verstanden. Nur wer alle Schrecken
ungeheurer Haß nich
dunkelsten Vorgängen des Seelenlebens nachzuspüren, diesem
der Vernichtung erschauernd verspürt und besiegt hat, darf
Es handelt sich nich
Dichter, sollte man meinen, läge nichts ferner als ein so grau¬
mutvoll genannt werden. Schnitzler hat manchmal geschildert,
um das Recht, da zu
sames und wuchtiges Problem. Er, der anmutsvoll, sanft und
daß es gerade das Wachsein ist, das untätige Ausharren, dem
Unter den vielen
gütig, Menschenschicksale zu formen weiß, hat seine Gestalten
die Todesfurcht entstammt. Der Rittmeister im „Ruf des
zweifelten, die wußte
oft auf den blutigen Hintergrund gestellt, hat dadurch oft ihre
Lebens“ erzählt von der schrecklichen Episode, da seine Eskadron) verborgen trägt, die
Tragik vertieft, ihre Komik umschattet. Mancherlei Gründe
stundenlang wartete, ohne sich zu rühren, vor sich eine weite,
heraufkomme, steht
dürften dafür maßgebend gewesen sein. Hellsichtiger als andere
stille Ebene, in der Nähe knatterten die Gewehre, donnerten die
hat seine zornige
hat Schnitzler erkannt, daß Oesterreich über kurz oder lang
Kanonen. Manche Schlacht hatte er tapfer mitgekämpft, doch
was er über Oesterr
ein Krieg bevorsteht. Er hat die drückende, gewitterschwüle
keine Situation schien ihm furchtbarer als diese: „Seit vier
der Liebe. Denn vor
Atmosphäre des letzten Jahrzehnts miterlebt und kei
Uhr morgens saßen wir zu Pferde, Stunde um Stunde ver¬
und zum „Weg ins
Aufrichtiger in diesem Lande der sozialen Unaufrichtigkeiten
ging. Keiner redete mehr. Es war, wie wenn man unserer
Lande stark fühlbar
(wie Schnitzler es einmal genannt hat) hat diesen Druck, diese
vergessen hätte. Wir sehnten uns alle nach dem Befehl zum
gelben Fahnen im
stete Ungewißheit ableugnen können. Auch er konnte sich den
Vorwärtsgehen ..., nur vorwärts, und wenn wir gewußt
unverstandene Tüch
Fragenseiner Zeit nicht entziehen, wenngleich sie sich ihm ge¬
hätten, daß unser Tod so gut wie gewiß war. Sich bewegen,
Wille ihnen den We
dämpfter und ins typisch Menschliche erhoben ausdrängten.
sich rühren. Aber nicht das war unser Los — wir mußten
ein neues, wiederer
Vielleicht liegt ein echt österreichisches Schicksal darin, daß man
warten Wann es kommen werde, das wußte keiner — aber
Arthur Schnitzler
die Größe und Schwere seiner Probleme nicht erkannte, weil
es mußte kommen, das war gewiß.“ Man erinnert sich, wie
der jungen Generat
seine Bücher und Dramen seltsam kluge und gelassene Worte
dieser früher so tapfere Offizier, zum erstenmal gepackt von
Soldat in diesem gr
enthalten, weil sie, auch dort, wo Kanonen donnern, ruhig
einer entsetzlichen Angst vor dem Ungeheuren und Unbekannten!
bleiben, auch dort, wo Begeisterung emporjauchzt, den Blick
des Todes, sein Pferd herumriß und seine ganze Eskadropf

für die Zusammenhänge nicht verlieren.
in die Flucht mitnahm. Alte Soldaten haben des öfteren
Man hat in diesen Tagen oft gesagt, daß die österreichische
versichert, daß nichts der Furchtbarkeit dieses Wartens gleich¬
komme. Man versteht es, wenn die Soldaten zum Zusammen¬
Armee angenehm enttäuscht habe, man hat sich anscheinend
nicht so viel von ihr versprochen. Konnte hinter diesem
stoß drängen, zum Vorwärts, sei es auch in den sicheren Tod.
Sprachengewirr, hinter dieser nationalen Uneinigkeit, hinter
Noch etwas kann der aufmerksame Zuhörer und Leser
dem beständigen „Raunzen“ Kraft sich bergen, Wille, das
Schnitzlerscher Werke hier erfassen: die menschliche, will sagen
Aeußerste zu leisten?
seelische Notwendigren des Soldatenberufes. Es handelt sich,
Doch gute Kenner österreichischer Verhältnisse wußten,
wohlgemerkt, nicht um die Institution des Militarismus, die
daß es nur der harten Prüfung bedurfte, um latente
Schnitzler oft einer unerbittlichen Kritik unterzogen hat, son¬
Kräfte in dem alten Reich freizumachen.
Im Sturm¬
dern um die Befriedigung innerer Bedürfnisse eines be¬
wind erst wird erprobt, welche Bäume morsch sind.
stimmten, gar nicht seltenen Menschentyps. Felix Wegrath
Schnitzler steht vielleicht als derjenige, welcher das neue Oester¬
im „Einsamen Weg“ darf zu diesem Typ gerechnet werden.
reich ahnte, an der Scheide zweier Epochen. Er war es, der
Vielleicht wäre es seinem Vater lieber gewesen, wenn er nicht!
das Wort prägte von der jungen Generation Oesterreichs, die
Soldat geworden wäre, wenn er einen friedlicheren Beruf
weniger Geist, mehr Haltung besitze, und er hat die ersten Ge¬
gewählt hätte. „Es gibt ja heutzutage gar keinen, der fried¬
stalten dieses werdenden Reiches vor uns hingestellt. Künftige
licher wäre,“ bemerkt Herr v. Sala spöttisch. Das ist kein geist¬
Kulturhistoriker werden unschwer in den späteren Werken
reichelndes Gelegenheitswort, sondern der Ausdruck einer Stim¬
dieses Dichters die Anzeichen einer Neugestaltung öster¬
mung, die niemand schmerzlicher empfunden hat als der öster¬
reichischer Dinge erkennen. Es ist kein Zufall, daß der Krieg
reichische Offizier. Der Kriegsminister der Doppelmonarchie
in ihnen einen so breiten Raum einnimmt.
hat kurz vor Ausbruch des Krieges das Wort geprägt, die öster¬
Kein Zufall auch, vom Wesen dieser Dichtung aus gesehen.
reichische Armee „verdorre“. Gott sei Dank, es ist nicht wahr,
Denn das Hauptthema der Werke Schnitzlers ist die Ver¬
aber es hätte wahr werden können, denn es ist ungesund,
änderung menschlicher Beziehungen durch die Todesaussicht.
jahrelang mit der geballten Faust in der Tasche dazustehen,
Man darf von einem wiederkehrenden Motiv der durch die
ungesund für Menschen, die warmes Blut in den Adern ver¬
spüren.
Todesaussicht vertieften Lebenslust sprechen. Wie oft haben
wir seltsam erschüttert, auf der Bühne dieses Motiv in
Jeder, der österreichische Offiziere genau kennt, weiß,
ernsten, starken und gebändigten Akkorden bei Schnitzler er¬
wie gut Arthur Schnitzler diese ihre Stimmung zum Ausdruck
klingen hören. Die Liebesnacht in der belagerten Stadt vor
gebracht hat, weiß auch, wie viele von ihnen ihn gerade des¬
dem verderbenbringenden Ausfall (im „Schleier der Beatrice")
wegen verehren. Schon in Schnitzlers Frühzeit da er
taucht empor, die herbe und reizvolle Gestalt Mariens im
tendenziös die Schattenseiten des österreichischen Offiziers be¬
Ruf des Lebens“ die zu dem Geliebten eilt, der morgen früh
tonte, war es sein Bestreben, ihn menschlich zu verstehen. Der
in den sicheren Tod reitet, und ihre Base Katharina, die es
Oberleutnant Karinski in „Freiwild“ ist ein Mensch, der in
andere Verhältnisse hineingehört. Ein Regimentskamerad
sich mit besonderer Befriedigung zum Bewußtsein bringt, daß
schildert ihn: „Um sich hauen müßt' er können. Was fängt
keine Frau den geliebten Offizier mehr in den Armen halten
wird. Stürmt nicht mit funkelnden Augen der österreichische so ein Mensch in ewiger Friedenszeit mit seinem Temperament
Don Quichotte, Medardus Klähr, heran, kaum geschaffen, an? Wo soll er hin damit? Es ist ja wahr, solche Leute wie
etwas anderes zu erleben, als den Klang von Worten, umher=] der Karinski sollen Soldaten sein, aber für solche Soldaten ge¬
gerissen von geheimnisvollen Händen, zu Abenteuern der Liebe hört der Krieg, sonst haben sie überhaupt keine Berechtigung.“
und der Schlacht, und seine Kameraden von der akademischen] Diese Anschauung wird bei Schnitzler immer schärfer heraus¬