VI, Allgemeine Besprechungen 2, Ausschnitte 1914–1920, Seite 1

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2: Cuttings
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(Quellenangabg ohne Gewähr.)
#icter Montags Journal, Wien
Ausschnitt aus:
BEFEB 1975
vom:
Seie. 1
Wien, Montag
„„Wiener Montags=Journal“
Est modus in rebus
Wasser in den Wein
Theater, Kunft und Literatur.
leidenschaftlicher Anklagen. Im Wein liegt Wahrheit,
aber die Leiden haft trübt sie immer. Die Wahrheit liegt
in der Mitte. Zu viel Wedekind und Schnitzler ist viel¬
Rückwärts, rückwärts Dr. Funder.?
leicht ungesund, aber gesund ist gewiß auch nicht wenn
(Kritik der Kritik.)
man das Schrifttum für die deutsche Bühne mit Stumpf
Die „Reichspost“ ist los! Lessing gefällt ihr nicht und Stiel ausrotten will, weil ein paar jüdische Schrift¬
steller vermeintlich einen zu breiten Raum einnehmen.
mehr, das Burgtheater gefällt ihr nicht mehr, Wedekind
gefällt ihr nicht mehr, — gerade auf dem Gebiete der
Tyll red.
darstellenden Kunst will sie partout andere Bahnen.
Ich auch. Ich habe das weit früher angestrebt
als die fromme Piusvereinlerin und ich bin
gewiß objektiver und unabhängiger. Ich schwärmte
nie
für Schnitzlers selbstbewußte Stirnlocke, nicht
fi Auernheimers— Salontirolerei, auch nie für
Weoekinds schweinische Perversität. Nur hinderte mich
das nicht, bei Schnitzler talentvollen Ernst, bei Auern¬
heimer moderne Dialektik und bei Wedekind einzelne
geniale Züge vorzufinden, während die „Reichspost“ aus
parteipolitischen Gründen einfach den Juden verbrennt,
wobei ihr der gleichfalls verbrennende Patriarch nicht
Ich, habe mich zur Couloirkritik der
sympathisch ist.
Wiener Zeitungsclique schon vor Jahren fest gestellt.
Damals hat die „Reichspost“ mitgeschmockt. Nun will sie
das Kind mit dem Bade, Lessing mit Wedekind hinaus¬
schmeißen, — mit Verlaub, das ist auch pervers.
Das kommt von der Judenriecherei. Immer, wenn
man Autodafés veranstaltet, kommt auch hier und dort
ein gläubiger Christ mit auf den Scheiterhaufen,
wozu die Brennerei, wenn man ohne sie sauber machen
kann. Hätte sich nur die „Reichspost“ und ihre Literatur¬
papstei gegen diese Uebergriffe des Wiener Schrifttums
gestellt so lange es Zeit war. Ich hab's gewagt und bin
darob nicht schlecht angefeindet gewesen. Wenn aber die
Piaristengasse jetzt, während der Kriegszeit plötzlich das
Saubermachen kriegt und das ihr unrein dünkende
Wasser wegschütten will, ohne sauberes dafür zu bieten,
so muß man sie dumm schelten.
Oder hat die „Reichspost“ für Lessing dem Theater
etwas Besseres zu bieten? Am Ende den Herrn Kralik?
Auch ihre eigenen Redakteure haben sich ja bühnentechnisch
versucht, Gott sei bei uns, was dabei herausgekommen ist.
Es sitzen ja in der Redaktion noch ein paar von diesen
Tausendsassa herum, da ist mir, weiß Gott, noch der
Zweig lieber. Mit Lessing ist das Burgtheater ein Men¬
schenalter hindurch oder auch länger, nicht schlecht ge¬
fahren, warum soll sie ihn jetzt durchaus als Antichrist
verwerfen? Weil er ein allzu menschliches Werk ge¬
schrieben, ohne zu ahnen, daß einmal ein Dr. Funder
auf die Welt kommen wird, der eine neue Parole aus
gibt? Sein Nathan ist ein von aller Welt angestaunter
Edelmensch, warum soll er jett meuchlings umgebracht
werden?
Und weshalb sollen Auernheimer, Schnitzler alle
ihre Trabanten und Monde von der Bühne hinweggefegt
werden? Ihre Vorherrschaft liegt mir längst im Magen,
aber so viel haben sie sich doch um die deutsche Bühne
verdient, daß man ihnen ihr Plätzchen an der Sonne
gönnt. Die Schaubühne hat ihre Wandlungen durch¬
gemacht, wie wir während der Kriegszeit. Nur hat sie
länger gebraucht, was ja begreiflich ist. Wenn die Fran¬
zosen und die Engländer und vielleicht auch die Russen
von der deutschen Bühne verbannt werden, vielleicht wer¬
den die bisherigen Erfolgreichen erst den Nachwuchs
schaffen müssen. Schließlich sind Hauptmann, Suder¬
mann, Ernst, Halbe usw. usw. auch noch da, den nach
der „Reichspost“ vollständig verjudeten Literaturwald
man muß nur
mit arischen Tannen zu durchschießen, —
Sn